Es war ein besonderer Moment, als Rabbiner Nathan Grinberg und sein Lehrer, der Hamburger Landesrabbiner Shlomo Bistritzky, die Mesusot an den Eingangstüren der Lübecker Carlebach-Synagoge anbrachten. Besinnliche Feierlichkeit prägte die gesamte Zeremonie, mit der die Carlebach-Synagoge nun endlich auch offiziell wiedereröffnet werden konnte. Die Gemeinde nutzt sie schon seit einem Jahr, doch coronabedingt war der Festakt nicht früher möglich.
Mehr als 100 Gäste aus Religion, Kultur und Politik versammelten sich am vergangenen Donnerstag in dem prachtvoll strahlenden Bethaus, um das restaurierte Gebäude wieder seiner Bestimmung zu übergeben.
FREUDE »Wir sind mit Freude und Stolz erfüllt, heute endlich und zudem im Festjahr ›1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‹ die Carlebach-Synagoge einweihen zu können«, sagte Alexander Olschanski, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Lübeck.
Dieser Festakt habe für Stadt, Land und Bund eine große Bedeutung, und die siebenjährige umfassende Sanierung sei ein sehr schwieriger Weg gewesen. »Wir haben uns aber stets sehr bemüht, das religiöse und gesellschaftliche Leben aufrechtzuerhalten«, sagte Olschanski. Teilweise musste die Gemeinde, die zurzeit 600 Mitglieder zählt, im Keller eines Wohnhauses neben der Synagoge beten.
Eine Fotoausstellung berichtet über die Geschichte der Synagoge.
Über diese mühevollen Jahre der Restaurierung und über die gesamte Geschichte des Bethauses berichtet eine Fotoausstellung in der Synagoge.
Der große Dank der Gemeinde, so Olschanski, gelte allen Unterstützern, vor allem den Spendern, Sponsoren und Stiftern: »Jeder Euro zählte.«
Die Restaurierung der 1870 eröffneten Synagoge sei eine starke Motivation für das jüdische Leben in ganz Deutschland. Das Gebäude wurde mehrfach geschändet, zuerst in der Pogromnacht 1938, nach der das NS-Regime die Synagoge als Lagerhalle missbrauchte, und viele Jahre später erneut, als am 25. März 1994 vier Männer Molotowcocktails in das Haus schleuderten, in dessen Obergeschoss eine jüdische Familie lebte. Das Feuer griff schnell um sich, zwei Räume wurden völlig zerstört, die Familie konnte gerade noch gerettet werden.
Wenige Monate später, am 8. Mai 1995, dem 50. Jahrestag der Befreiung vom NS-Unrechtsregime, folgte der nächste Brandanschlag. 2005 konnte die Gemeinde noch das 125-jährige Bestehen mit der Familie Carlebach feiern, dann verfiel die Synagoge sukzessive zur Ruine. Diesen Brandanschlag konnte die Lübecker Polizei nicht aufklären. Erst 2014 begannen die Aufräum- und Sanierungsarbeiten, sie dauerten bis 2020. Zeitweise herrschte sogar Stillstand wegen finanzieller Engpässe. Doch letztendlich glückte der Wiederaufbau, zu dem Stadt, Land, Bund und mehrere Stiftungen, darunter die Lübecker Possehl-Stiftung, insgesamt 8,4 Millionen Euro gaben.
ZUSAMMENHALT »Die restaurierte Carlebach-Synagoge ist ein Schmuckstück. Heute wollen wir sie ihrer Bestimmung übergeben, damit hier Menschen gemeinsam Gottesdienste gestalten«, sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei der Eröffnung. »In diesen Zeiten, in denen wir mit einer Partei wie der AfD leben müssen, in denen Menschen auf Demos gegen die Corona-Auflagen ohne Skrupel ›gelbe Judensterne‹ tragen, als würden sie verfolgt, in diesen Zeiten brauchen wir den Zusammenhalt besonders dringend«, so Schuster.
Josef Schuster kritisierte, dass Juden in den Schulen meist nur als Opfer der Schoa dargestellt werden.
Der Zentralratspräsident kritisierte, dass Juden in den Schulen meist nur als Opfer der Schoa dargestellt würden, und forderte, die reiche, jüdische Tradition, wichtige jüdische Denker und Künstler und den Beitrag des Judentums zur deutschen Kultur in den Fokus zu nehmen. Entscheidend im Kampf gegen den Antisemitismus sei aber, jüdisches Leben insgesamt wieder sichtbar zu machen, betonte Schuster. »Wir brauchen Orte wie die Carlebach-Synagoge für unsere Gemeinden, aber auch für Begegnungen mit der nichtjüdischen Umgebung.«
FESTJAHR »Wer Menschen diskriminiert, ausgrenzt und bedroht, greift unsere Gesellschaft und uns alle an«, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Er begrüßte die Festgesellschaft mit »Shalom und Moin«, dem Motto des Landes zum jüdischen Festjahr, und bezeichnete die Carlebach-Synagoge »als eine der schönsten Synagogen Deutschlands«, auch wenn der Ort Verzweiflung, Gewalt und Terror erfahren habe.
Günther lobte die Zusammenarbeit aller an der Sanierung Beteiligten und hob als Beispiel hervor: »Die sakralen Möbel sind in einem Kibbuz in Israel getischlert und von einem Tischlerteam aus Manchester hier eingebaut worden.« Günther verwies auch auf das große Engagement von Schleswig-Holsteins Kulturministerin Karin Prien (CDU), die sich persönlich und politisch für eine starke und sichtbare jüdische Kultur im Land einsetze.
KULTURERBE Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bezeichnete die Carlebach-Synagoge als nationales Kulturerbe, zumal sie mitten in der als Weltkulturerbe anerkannten Lübecker Altstadt stehe.
Die Synagoge steht mitten in der als Weltkulturerbe anerkannten Altstadt.
Grütters sagte: »Wie viele andere Bauten in unserem Land zeigen auch diese Synagoge und ihr prachtvoller Betsaal jüdisches Leben als inspirierenden Teil deutscher Geschichte und Gegenwart.« Ihr Erhalt sei auch dem jüdischen Bankier Eric M. Warburg aus Hamburg zu danken, der in jungen Jahren in Lübeck lebte und 1938 vor den Nazis nach New York floh. Er war es, der Lübeck im Zweiten Weltkrieg vor der Bombardierung bewahrte.
Warburg kam 1943 als amerikanischer Verbindungsoffizier nach England zur Royal Air Force und erfuhr, dass Lübeck bei einem zweiten Luftangriff vollständig zerstört werden sollte. Er wandte sich an seinen Cousin Carl Jacob Burckhardt, der in leitender Position beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes tätig war. Wenig später teilte das Rote Kreuz der Regierung in London mit, dass Post und Hilfspakete für britische Kriegsgefangene nach Lübeck gebracht und dort gelagert werden würden. So bewahrte Warburg die historische Altstadt.
»Das Wiederaufblühen jüdischer Kultur ist das größte Geschenk in der deutschen Nachkriegsgeschichte«, sagte Grütters. Es sei beschämend, dass Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland angesichts antisemitischer Anschläge und Angriffe heute wieder um ihre Sicherheit, sogar um ihr Leben fürchten müssten. »Antisemitismus ist ein Angriff auf Menschlichkeit, Demokratie und damit auf uns alle«, so Grütters.