Im prall gefüllten Terminkalender von Olaf Scholz war die bayerische Brotzeit in der Traditionsgaststätte »Beim Sedlmayr« jüngst der kurze, aber entspannende Teil seines Besuchs in München. Mehr Zeit, fast eine Stunde, nahm sich der Vizekanzler, Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD für ein Gespräch mit Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, im Gemeindezentrum.
Vor dem Treffen, an dem unter anderem die beiden IKG-Vizepräsidenten Yehoshua Chmiel und Ariel Kligman sowie Geschäftsführer Steven Guttmann teilnahmen, lernte Olaf Scholz erst einmal die schwierigen Münchner Verkehrsverhältnisse kennen. Von den Gastgebern wurde seine 20-minütige Verspätung jedoch mit einem verständnisvollen Lächeln quittiert.
bundestagswahl Wie Charlotte Knobloch nach dem Treffen erklärte, habe Scholz das Gespräch selbst angeregt, um sich im Vorfeld der Bundestagswahl ausdrücklich auch ein Bild von der Stimmung in der jüdischen Gemeinschaft zu machen. »Wer sich zur Wahl stellt, muss wissen, was die Gruppen bewegt, die er nach der Wahl repräsentieren will«, stellte sie fest. Die IKG-Präsidentin bedankte sich bei Olaf Scholz auch ausdrücklich für den Besuch und sein »offenes Ohr« für die Anliegen der jüdischen Gemeinschaft. Direkt an ihn gerichtet, bemerkte sie zum Ausklang des Besuchs: »Sie sind bei uns jederzeit wieder herzlich willkommen.«
Vizekanzler Scholz richtete seinen Blick auch auf den wieder stärker zutage tretenden Antisemitismus.
In einer nach dem Treffen herausgegebenen Erklärung wies Charlotte Knobloch darauf hin, dass man vonseiten der IKG die Gelegenheit genutzt habe, dem Politiker die Sorgen und Nöte der Gemeindemitglieder nahezubringen, zugleich aber auch die Fortschritte zu loben. »Wir erleben heute anwachsenden Judenhass, der auf lange Sicht eine existenzielle Bedrohung für das jüdische Leben in Deutschland darstellt. Aber wir sehen auch eine Politik, die das Ausmaß des Problems verstanden hat«, hielt sie fest.
Für Olaf Scholz gehört jüdisches Leben ohne jegliche Abstriche zu Deutschland. »Aber es gehört auch zur Realität«, sagte er nach dem Gespräch im Gemeindezentrum, »dass Synagogen und andere jüdische Einrichtungen geschützt werden müssen.« Sein sorgenvoller Blick richtete sich dabei auf den wieder stärker zutage tretenden Antisemitismus.
gesetzespaket Für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ist das gerade beschlossene Gesetzespaket der Bundesregierung nach Überzeugung von Charlotte Knobloch der richtige Schritt zur Bekämpfung antisemitischer Tendenzen. Bei dem Treffen habe man vonseiten der IKG aber auch klargemacht, dass diese Maßnahmen allein noch nicht ausreichen würden, schilderte die Präsidentin den Gesprächsverlauf mit dem Minister. Vor allem auch der Hass, der Juden im Internet entgegenschlage und der eine Herausforderung für die Politik darstelle, sei dabei thematisiert worden.
Olaf Scholz schrieb nach dem Treffen mit der Präsidentin auf seiner Facebook-Seite: »Charlotte Knobloch kämpft seit Jahrzehnten gegen Judenhass und dafür, dass das Judentum in Deutschland wieder fest verankert ist. Der Besuch heute bei ihr in München in der Gemeinde war für mich beeindruckend.«
Mit zurück nach Berlin nimmt er auch noch den Hinweis Knoblochs auf ein nicht gelöstes Problem, das die sogenannten Kontingentflüchtlinge betrifft: deren Alterssicherung und die damit verbundene Gleichstellung der jüdischen Rentner unter ihnen. »Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass diese Menschen, die auf Einladung des deutschen Staates hierhergekommen sind, nicht unverschuldet in der Altersarmut enden«, brachte Charlotte Knobloch gegenüber dem Vizekanzler ihre Sorgen und ihre Überzeugung zum Ausdruck. »Hier müssen alle Parteien handeln – und zwar schnell.«