Lokalgeschichte

Ein Mikrokosmos deutsch-jüdischen Alltags

Der Historiker Josef Wißkirchen hat sich im Rheinland auf Spurensuche begeben

von Hans-Ulrich Dillmann  14.10.2022 10:40 Uhr

Auf Spurensuche

Der Historiker Josef Wißkirchen hat sich im Rheinland auf Spurensuche begeben

von Hans-Ulrich Dillmann  14.10.2022 10:40 Uhr

Rudy Herz wollte, ja musste von seiner jüdischen Familie und ihrem Leben in dem kleinen Ort Stommeln bei Köln erzählen. Mehr als drei Stunden hielt er, der vor den Nazis in die USA hatte fliehen können, dann sein Publikum in Bann, machte die »dramatische Wucht der Verfolgungsjahre und die barbarische Grausamkeit in den Konzentrations- und Vernichtungslagern unmittelbar erfahrbar«, so Josef Wißkirchen.

Der 83-jährige pensionierte Lehrer hat Herz und den jüdischen Bewohnern des Dorfes nun ein Denkmal gesetzt, indem er ihre Geschichte aufgeschrieben hat.

Forschung »Die Freundschaft mit Herz ist mir in unauslöschlicher Erinnerung geblieben«, betont Wißkirchen. Er hat bereits neben einer Biografie über Herz zahlreiche weitere Bücher über jüdische Lebenswege geschrieben.

Mehr als 40 Jahre Forschungsarbeit sowie die engen Kontakte mit ehemaligen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Pulheim/Stommeln sollten dann auch die Grundlage von Auf jüdischen Spuren in Pulheim-Stommeln bilden.

Das Buch gleicht einem »imaginären Rundgang durch Pulheim-Stommeln«. In »zwölf Stationen« gliedert sich die Veröffentlichung, die einen Bezug zur jüdischen Vergangenheit des Dorfes mit seinen früher 2100 Einwohner herstellt: ehemalige Häuser von jüdischen Familien, die im ganzen Dorf verstreut lagen, auch heutige Bauplätze, wo einst Jüdinnen und Juden lebten. Ferner verweist Wißkirchen auf Denkmäler, die eng mit jüdischen Schicksalen verbunden sind, auf die ehemalige Synagoge und den jüdischen Friedhof.

Macht Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war die Gemeinde, deren Existenz seit 1349 belegt ist, auf gerade einmal zwölf Mitglieder zusammengeschrumpft, einen Minjan gab es nicht mehr. Wer konnte, floh nach Palästina oder in die USA. 20 in Stommeln geborene Juden fielen der Schoa zum Opfer.

Wißkirchen zeigt Fotos aus dem deutsch-jüdischen Alltag von einst. Auf einem Bild von 1926 präsentiert sich der Kriegerverein Stommeln zu seinem 60. Jubiläum, bei dem auch die jüdischen Kriegsveteranen anwesend sind. In seinen biografischen Schilderungen begleitet er die Menschen in ihren Erinnerungen an das Elternhaus und die Familien, ihre Ängste und Erlebnisse bei der Flucht ins rettende Ausland oder in ihren Verstecken. Aber der Historiker dokumentiert auch ihre Verhaftung, folgt den Deportationswegen in den Osten, belegt mit Karteikarten, Deportationslisten selbst die Stunde ihres gewaltsamen Todes im Ghetto oder Vernichtungslager.

Das Buch macht sinnbildlich »Halt« an der Trauerzeder, die für Herz 2012 neben dem Ehrenmal für die Juden aus Stommeln gepflanzt wurde. Herz selbst war 2011 nur wenige Monate nach dem Besuch seiner alten Heimat verstorben. Wißkirchen hat seither immer wieder Familienangehörige aus dem fernen Florida zu dieser Stätte begleitet. All das fließt in dieses mit sehr viel Herzblut geschriebene Buch mit ein. Hans-Ulrich Dillmann

Josef Wißkirchen: »Auf jüdischen Spuren in Pulheim-Stommeln«. Aschendorff, Münster 2022, 374 S., 24,90 €

Berlin

Gedenkort für früheres jüdisches Altenheim gefordert

Die Einrichtung stand dort, wo sich heute das Haus der Statistik befindet

 11.02.2025

Aufruf

Bündnis »Zusammen für Demokratie« startet bundesweite Aktion

Ein breites Bündnis setzt auf Banner mit klaren Botschaften - auch der Zentralrat der Juden in Deutschland macht mit

 11.02.2025

Düsseldorf

Jüdische Zukunft: Panel-Diskussion mit Charlotte Knobloch

Auf dem Podium sitzen auch Hetty Berg, Armin Nassehi und Philipp Peyman Engel

 11.02.2025

Pädagogik

»Synergien schaffen«

Shila Erlbaum über die nächste Fachtagung der Religionslehrer, didaktische Fragen und Feedback

von Katrin Richter  10.02.2025

Düsseldorf

Verlegerin der ersten Stunde

Gemeinsam mit ihrem Mann gab Lilli Marx das »Jüdische Gemeindeblatt für die Britische Zone« heraus. Nun zeigt eine Ausstellung die Lebensgeschichte der Publizistin

von Jan Popp-Sewing  09.02.2025

Porträt der Woche

Die Rohstoff-Rebellin

Viktoria Kanar hat eine Firma gegründet, um Textilabfall zu recyceln

von Gerhard Haase-Hindenberg  09.02.2025

Ortstermin

Warum ein syrischer Kurde in Freiburg ein israelisches Restaurant eröffnet hat - trotz allem

Eine Geschichte von Mut und Haltung

von Anja Bochtler  09.02.2025

Frankfurt

Sein Leben, ihre Bühne

Die WIZO lud zu einer Aufführung von Georg Kreislers Stück »Heute Abend: Lola Blau«

von Laura Vollmers  09.02.2025

Engagement

Süße Toleranz

»move2respect« heißt ein neues Projekt, das jüdische und muslimische Jugendliche zusammenbringt. Eine erste Begegnung gab es beim Pralinenherstellen in Berlin

von Frank Toebs  06.02.2025