Rudy Herz wollte, ja musste von seiner jüdischen Familie und ihrem Leben in dem kleinen Ort Stommeln bei Köln erzählen. Mehr als drei Stunden hielt er, der vor den Nazis in die USA hatte fliehen können, dann sein Publikum in Bann, machte die »dramatische Wucht der Verfolgungsjahre und die barbarische Grausamkeit in den Konzentrations- und Vernichtungslagern unmittelbar erfahrbar«, so Josef Wißkirchen.
Der 83-jährige pensionierte Lehrer hat Herz und den jüdischen Bewohnern des Dorfes nun ein Denkmal gesetzt, indem er ihre Geschichte aufgeschrieben hat.
Forschung »Die Freundschaft mit Herz ist mir in unauslöschlicher Erinnerung geblieben«, betont Wißkirchen. Er hat bereits neben einer Biografie über Herz zahlreiche weitere Bücher über jüdische Lebenswege geschrieben.
Mehr als 40 Jahre Forschungsarbeit sowie die engen Kontakte mit ehemaligen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Pulheim/Stommeln sollten dann auch die Grundlage von Auf jüdischen Spuren in Pulheim-Stommeln bilden.
Das Buch gleicht einem »imaginären Rundgang durch Pulheim-Stommeln«. In »zwölf Stationen« gliedert sich die Veröffentlichung, die einen Bezug zur jüdischen Vergangenheit des Dorfes mit seinen früher 2100 Einwohner herstellt: ehemalige Häuser von jüdischen Familien, die im ganzen Dorf verstreut lagen, auch heutige Bauplätze, wo einst Jüdinnen und Juden lebten. Ferner verweist Wißkirchen auf Denkmäler, die eng mit jüdischen Schicksalen verbunden sind, auf die ehemalige Synagoge und den jüdischen Friedhof.
Macht Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war die Gemeinde, deren Existenz seit 1349 belegt ist, auf gerade einmal zwölf Mitglieder zusammengeschrumpft, einen Minjan gab es nicht mehr. Wer konnte, floh nach Palästina oder in die USA. 20 in Stommeln geborene Juden fielen der Schoa zum Opfer.
Wißkirchen zeigt Fotos aus dem deutsch-jüdischen Alltag von einst. Auf einem Bild von 1926 präsentiert sich der Kriegerverein Stommeln zu seinem 60. Jubiläum, bei dem auch die jüdischen Kriegsveteranen anwesend sind. In seinen biografischen Schilderungen begleitet er die Menschen in ihren Erinnerungen an das Elternhaus und die Familien, ihre Ängste und Erlebnisse bei der Flucht ins rettende Ausland oder in ihren Verstecken. Aber der Historiker dokumentiert auch ihre Verhaftung, folgt den Deportationswegen in den Osten, belegt mit Karteikarten, Deportationslisten selbst die Stunde ihres gewaltsamen Todes im Ghetto oder Vernichtungslager.
Das Buch macht sinnbildlich »Halt« an der Trauerzeder, die für Herz 2012 neben dem Ehrenmal für die Juden aus Stommeln gepflanzt wurde. Herz selbst war 2011 nur wenige Monate nach dem Besuch seiner alten Heimat verstorben. Wißkirchen hat seither immer wieder Familienangehörige aus dem fernen Florida zu dieser Stätte begleitet. All das fließt in dieses mit sehr viel Herzblut geschriebene Buch mit ein. Hans-Ulrich Dillmann
Josef Wißkirchen: »Auf jüdischen Spuren in Pulheim-Stommeln«. Aschendorff, Münster 2022, 374 S., 24,90 €