Es gibt das Gerücht, im Deutschen reime sich nichts auf »Mensch«. Und es gibt das Gerücht, das stimme nicht, weil Peter Rühmkorf 1958 ironisch sang: »Die schönsten Verse des Menschen/– nun finden Sie schon einen Reim! –/sind die Gottfried Bennschen«.
Tatsächlich gebührt die Siegesreimpalme aber, darauf hat Christoph Gutknecht in dieser Zeitung hingewiesen, dem jüdischen Schriftsteller Alexander Moszkowski. Der hatte unter dem Titel Mensch, reime dich! schon 1920 geschrieben: »Er hat der Laster mancherlei/Entwickelt zu allen Zeiten;/Doch, dass er nicht mal reimbar sei,/Der sogenannte Mensch,/Das muss man doch ganz entsch./Ja, ganz entschieden bestreiten!/Zwar mancher legt drauf keinen Wert,/Wenn er die Reimbarkeit erfährt,/Die man ihm früher unterschlagen;/Und zeigt sie ihm der Mensch,/So wird er bloß: nu wennʼsch./Nu, wenn schon! wird er sagen.« Wenn es im Deutschen auch schwerfällt, beim Reimen ist alles erlaubt.
Korn ist auch deshalb ein »Mentsch«, weil er immer auf vielen Feldern agiert.
Als Salomon Korn von der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« 2000 der Fragebogen vorgelegt wurde, den einst Marcel Proust ausgefüllt hatte, antwortete der Frankfurter Architekt auf »Was möchten Sie sein?« knapp mit »Ein Mensch (im Sinne der jüdischen Wortbedeutung)«. Was meint: jemand, den man sich wünscht, wenn man in Not ist. Wovon man selbst aber nur wünschen und nicht behaupten kann, es zu sein, darf einem doch von anderen attestiert werden, selbst wenn sie etwas jünger sind: Salomon Korn, der am 4. Juni 80 Jahre alt wird, ist ein wirklicher »Mentsch«.
Leben Er ist es zunächst durch seine, man verzeihe das Paradox, leise kämpferische Natur, die sich aus einer besonderen Generationenlage entwickelte. Denn 1943 im Ghetto von Lublin geboren, gehört er zu denjenigen Juden, die ihre Verfolgung so früh erlebt haben, dass sie im kindlichen Vergessen zurückgeblieben ist. Nicht aber ihre Auswirkungen: Die »displaced persons« seiner Familie kamen in ein Aufnahmelager ganz im Westen Frankfurts. Das brachte ihn früh in die Situation derjenigen, die das Erleben als Augenzeuge nicht brauchten, um der Folgen des Schrecklichsten gewiss zu sein. Einmal hat Korn den Satz Jean Pauls zitiert, Erinnerung sei das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können, um zu betonen, dass sie für manche eine Hölle sei.
Eigentlich war in seiner Familie geplant, in die Vereinigten Staaten oder Israel auszuwandern, aber es kam so lange immer irgendetwas dazwischen, bis man blieb und in Frankfurt neu anfing. Für Außenstehende ist diese Situation, ein aktives Leben inmitten der Gesellschaft aufzunehmen, in der die Mörder des eigenen Volkes und diejenigen maßgeblich blieben, die diesem Mord weitgehend tatenlos zugesehen hatten, nicht leicht nachzuvollziehen. Es ist jedoch eine extreme Variante des Weltbürgertums, dort Wurzeln zu schlagen, wo einen die Umstände hinwehen, es mögen noch so finstere Umstände sein.
Salomon Korn studierte in Berlin und Darmstadt Architektur, eine Disziplin, die auf Bleibendes, Stehendes zielt. Sein Vater hatte ein Immobiliengeschäft, das Korn später übernahm.
STudium Er studierte aber auch Soziologie. 1976 wurde er an der Universität Bremen promoviert, über die Reform des Strafvollzugs mit einer Schrift, die unter dem Titel Sozialtherapie als Alibi? erschien. Da war er schon erwachsen und hatte die berühmten 1968er-Jahre erlebt. Er protestierte seinerseits stets nur gegen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft, nicht gegen diese selbst, und wurde, was man einen Stadtbürger nennen kann. In Frankfurt geht das leichter als anderswo. Hier übernahm er bald Funktionen in der Jüdischen Gemeinde, baute ihr Gemeindehaus, wurde 1999 deren Vorsitzender.
Korn ist also ein »Mentsch« auch deshalb, weil er auf vielen Feldern agiert und darum nicht zu Betriebsblindheiten neigt. Seine Mentoren waren Ignatz Bubis und Marcel Reich-Ranicki.
Wir verdanken ihm viele gute Reden zu historischen
Anlässen.
Er war mithin geprägt durch Kontroversen: durch den Streit von 1985 über Fassbinders Stück Der Müll, die Stadt und der Tod, durch den Börneplatz-Skandal von 1987 um die archäologischen Funde des Frankfurter Judenghettos, die rücksichtslos überbaut werden sollten, durch die Kontroverse von 1998 um Martin Walsers zweideutige Friedenspreisrede und, vergessen wir es nicht, durch die Spendenaffäre der hessischen CDU, die illegales Geld durch die Lüge reinwaschen wollte, es stamme von jüdischen Emigranten.
Stimme In all diesen Streitereien war die klare, besonnene, an rhetorischer Überhöhung und an Effekten vor Kameras desinteressierte Stimme Korns vernehmbar. Der Mythos steigert alles ins Gigantische, Ungeheuerliche, Fatale. Dem setzt Salomon Korn stets den Verstand entgegen, der sich von Phrasen wie »Wiedergutmachung«, »deutsch-jüdischer Verständigung« und »Normalität« freimacht.
Wir verdanken ihm viele gute Reden zu historischen Anlässen, die immer gegenwärtige waren, weil die Geschichte nicht vergeht. Und wir verdanken ihm den Hinweis, dass es nicht die Gedenktermine sind, von denen wir uns etwas erwarten sollten, sondern das tätige tägliche Miteinander.
Der Autor ist Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).