Nicht alle Prognosen von William Wolff sind eingetreten. Doch die, die er als Journalist des »Daily Mirror« Anfang der 70er-Jahre in der ARD-Fernsehsendung Der Internationale Frühschoppen abgab, die britische Finanzkrise werde beendet, weil das geförderte Nordseeöl dem Staat neue Einnahmen bringe, stimmte. »Damals hatte man mir nicht geglaubt, aber es ist so eingetreten«, erinnert sich Wolff an seinen letzten Auftritt bei Werner Höfer.
Mehr als vier Jahrzehnte später nennt er den geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU »einen der größten historischen Fehler, die das Land jemals begangen hat«. Über den neuen US-Präsidenten Donald Trump möchte er noch nicht urteilen. Und was Angela Merkel angeht, meint er, aus der deutschen Politik halte er sich als Rabbiner lieber heraus – und seine persönliche Meinung behalte er für sich.
Erst spät – in den 80er-Jahren – verwirklichte William Wolff seinen Traum vom Rabbinerberuf. Die internationale Politik verfolgt er dennoch bis heute mithilfe der täglichen Lektüre mehrerer Zeitungen. Diese ist ihm genauso wichtig wie das Vorbereiten einer Predigt. Bereits als Schüler hatte er klare Vorstellungen von seinem künftigen Leben – entweder als Journalist oder Rabbiner. Er wurde dann eben beides. Nach Stationen in englischen Gemeinden trat William Wolff im April 2002 das Amt des Landesrabbiners von Mecklenburg-Vorpommern an. Und das mit 75 Jahren.
Ehrung Am 13. Februar wird er nun 90 Jahre alt. Aus dem einfachen Rabbiner wurde ein Lehrer, Brückenbauer, Versöhner und nicht zuletzt ein Mann, der wegen seiner bescheidenen, aber stets herzlich offenen Art anerkannt und beliebt ist. Das erkannte man auch auf höchster politischer Ebene. Wolff erhielt unter anderem das Bundesverdienstkreuz, die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald, und seit drei Jahren ist er Ehrenbürger von Schwerin.
Dort soll nun der runde Geburtstag des Landesrabbiners mit einem Empfang gewürdigt werden. Und dass dieser 90. gefeiert wird, damit hat sich Wolff inzwischen arrangiert. Denn viele Jahre lang wollte er lieber nicht an diesen 13. Februar erinnert werden: »Da ich einen Zwilling hatte, war es immer unser gemeinsamer Geburtstag. Und nach dem Tod meines Bruders fehlte da jemand, an den ich gerade an diesem Tag sehr viel dachte.«
Als Wolff das Amt des Landesrabbiners antrat, war dies gleichbedeutend mit einer Rückkehr in sein Geburtsland. Der in Berlin als Wilhelm Wolff Geborene war bereits 1933 mit seiner Familie in die Niederlande und mit Beginn des Zweiten Welt- kriegs nach Großbritannien geflohen.
Gemeindezentren Sein Wirken für die beiden jüdischen Gemeinden in Schwerin und Rostock half entscheidend mit, dass Juden in Mecklenburg-Vorpommern wieder Teil der Gesellschaft wurden, kamen doch alle Gemeindemitglieder aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
Eine funktionierende jüdische Gemeinde hatte es in den letzten Jahren der DDR dort nicht gegeben. Inzwischen verfügt die Rostocker Gemeinde über ein neues Gemeindezentrum, die Schweriner über eine Synagoge auf historischem Baugrund. Vor zwei Jahren trat Rabbiner Juri Kadnikow Wolffs Nachfolge an. Doch nach wie vor ist Wolff regelmäßig zu Gast in Deutschland, hilft bei Gottesdiensten, vertritt seinen Nachfolger und ist ein gefragter Gesprächspartner.
Wie Wolff seinen Alltag zwischen London, Schwerin, Rostock und darüber hinaus gestaltet, ist seit dem vergangenen Jahr in der Dokumentation Rabbi Wolff zu sehen. Wenn er es nicht schon war, dann machte ihn der Film von Britta Wauer über die Grenzen Mecklenburg-Vorpommerns hinaus bekannt. Rabbi Wolff füllt Kinosäle.
Und wenn es die Zeit zulässt, folgt Wolff gern Einladungen zu Filmvorführungen. Termine in Celle, Greifswald, Templin oder Erlangen sind bereits gebucht. Die Wochenzeitung »Die Zeit« bezeichnete Wolff als den »vielleicht skurrilsten Rabbiner unter der Sonne«, und das ARD-Kulturmagazin »Titel, Thesen, Temperamente« nannte ihn einen Mann »voller Witz und Weisheit«.
Träume Auf die Frage, ob er heute noch Träume habe, überlegt Wolff eine kleine Weile und verneint. Es lässt sich nur vermuten, dass er sich über einen Anruf der Londoner »Times« freuen würde, die ihn um einen Nachruf für einen prominenten Verstorbenen bittet. Jahrelang hat er solche Texte verfasst, seine letzten »Nachrufe« schrieb er noch von Schwerin aus. 1999 bat ihn die »Times«, den gerade verstorbenen Ignatz Bubis zu würdigen.
Auf den jüdischen Geburtstagswunsch, er möge 120 Jahre alt werden, entgegnet Wolff pragmatisch und mit seinem unnachahmlichen Lachen: »Mir würden 100 mehr als genügen.«
Ehrenbürger Ein Geschenk, das der Jubilar sicher nicht auf dem Wunschzettel hatte, ist die Verleihung der Ehrenbürgerrechte. Der Vorschlag von Rostocks Bürgerschaftspräsident Wolfgang Nitzsche (Linke) muss zwar noch von der Bürgerschaft beschlossen werden, doch das scheint reine Formsache.
»Wenn wir William Wolff das Ehrenbürgerrecht der Hansestadt Rostock verleihen wollen, ist dies auch für unsere Stadt eine große Auszeichnung«, zitiert die »Ostseezeitung« Oberbürgermeister Roland Methling vom Wahlbündnis »Unabhängige Bürger FÜR Rostock«.
Die Würdigung sei ein Dank für die als Landesrabbiner in Rostock geleistete Arbeit und die persönliche Verpflichtung, für seine Ideale der Weltoffenheit, Liberalität und Demokratie einzutreten.
Joachim Gauck Wann die Ehrung, die Wolff selbst als »große Auszeichnung« beschrieben hat, tatsächlich vollzogen werden kann, ist ungewiss. Man habe niemand Geringeren als den bald aus dem Amt scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck als Laudator vorgesehen. Und dessen Terminkalender ist nach wie vor voll.
Seit 1990 wurden bislang drei Ehrenbürger ernannt: der Historiker Yaakov Zur, der Schriftsteller Walter Kempowski und zuletzt 2012 Bundespräsident Joachim Gauck. William Wolff wäre somit erst der Vierte.