Achim Doerfer fühlt sich »wie ein bunter Hund«. Dass der Göttinger Anwalt, Jahrgang 1965, in keine Schublade passt, bereitet eher seiner Umgebung Schwierigkeiten. Ihm selbst, sagt er, eröffne dieses Image viele Freiheiten.
Der »Freiheitsaspekt« war es dann auch, der ihn 1992 Mitglied in der FDP werden ließ. »Wenn es Freiheit zu verteilen gibt, stehen wir immer als Letzte in der Schlange, deswegen müssen wir dafür sorgen, dass genügend davon da ist.« Das findet Doerfer auch aus jüdischer Perspektive wichtig. »Als Jude hat man ein vitales Interesse daran, in einer freien Gesellschaft zu leben, die Pluralität zulässt, sonst hätte man selbst darin keinen Platz.«
Der jüdische Hintergrund ist ihm von der Mutter in die Wiege gelegt worden. Seine Familie habe jedoch assimiliert gelebt, er und sein Bruder hätten sich das Thema Religion »selbst erarbeitet«. Der Bruder arbeitet heute als Rabbiner in Israel. Bei Doerfer, der Mitglied in der liberalen Göttinger Gemeinde ist, wechseln Phasen, in denen er das religiöse Element auslebt, mit solchen, in denen er sich als »politischer Jude« versteht.
Kandidatur Die FDP hat es in Göttingen nicht leicht, einen Fuß auf den Boden zu bekommen, SPD und Grüne haben traditionell mehr Zulauf. Doerfer kandidierte trotzdem für den Landratsposten und die Europawahl. Er war Orts- und Kreisvorsitzender, kennt das Geschäft an der Basis also bestens und weiß, dass man Bier oder Würstchen nicht verschmähen und auch nicht auf die Uhr schauen darf, wenn eine zähe Debatte bis zum bitteren Ende ausgefochten werden muss. Diese »Vereinsarbeit« hat er inzwischen hinter sich gelassen, unter anderem, weil er sich außer seiner Anwaltskanzlei stärker seinen beiden Kindern widmen will.
Viel lieber ist Doerfer mit »thematischen Einzelgeschichten« überregional aktiv. Etwa mit einem Offenen Brief an Parteifreund und Außenminister Guido Westerwelle, in dem Doerfer fordert, dass das Auswärtige Amt doch nicht nur – wie inzwischen geschehen – seine Geschichte vor 1945, sondern auch die nach Kriegsende erforschen lassen möge. Oder eine Initiative, mit »Stolpersteinen« an die türkischstämmigen jüdischen Opfer der Schoa zu erinnern.
türkisch Doerfer, der mit einer türkischen Frau verheiratet ist, wurde vor zwei Jahren Bundesvorsitzender der »Liberalen Türkisch-Deutschen Vereinigung«. Als Jude einem muslimisch geprägten Verein vorzustehen, bereitet ihm sichtlich Freude. Nicht nur wegen der Exotik, sondern auch, weil er davon überzeugt ist, dass der Einsatz für Freiheit zwangsläufig mit dem Engagement für Minderheiten verbunden ist: »Juden haben ein vitales Interesse, gegen Segregation zu kämpfen.« Ihm ist freilich bewusst, dass er mit seinen Leib- und Magenthema, dem Dialog zwischen den Kulturen und Religionen, – auch in der eigenen Partei – nur Minderheiten erreichen wird.
Die schwarz-gelbe Regierungskoalition, prophezeit Doerfer, werde nach der anstehenden Bundestagswahl fortgesetzt. Allerdings »mit einem deutlich schwächeren Partner FDP«.
Was man tun müsste, damit es den Liberalen wieder besser geht, dafür hat Doerfer ein paar Vorschläge: Sie müssten sich, meint er, personell und inhaltlich wieder »stärker auffächern«, mehr Frauen zum Beispiel sollen seiner Meinung nach öffentlich sichtbar sein.
Das »Phänomen Piraten« interpretiert er als eine Aufforderung an die eigenen Reihen. »Wer die Piraten als Spinner abtut, sieht nicht, dass sie vollkommen richtige Themen besetzen.« Bürgerrechte im Internet zum Beispiel. Oder Transparenz. Da gehe es nicht nur darum, Steuern zu senken, »sondern auch transparent zu machen, wer Steuern hinterzieht«. Es habe Zeiten gegeben, in denen sich seine Partei stärker für solche Inhalte engagiert habe.
Staatsbürgerschaft Wehmütig erinnert er sich auch daran, dass die FDP vor der Wahl 1994 fast die Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft in ihr Programm geschrieben hätte. »Wir müssen wieder zu diesem Thema kommen.« Das Land brauche »eine Politik, die den Leuten klarmacht: Einen Migrationshintergrund zu haben, ist etwas Wertvolles.«
Die doppelte Staatsbürgerschaft könne eine jener »Gesten des Respekts, des Willkommens und der Gleichberechtigung« sein, von denen er sich mehr wünscht. Gute Integrationspolitik ist für Doerfer »kein Kuschelthema«, sondern auch ein Bildungsthema, ein Wirtschaftsthema und mit Blick auf den demografischen Wandel eine »praktische Notwendigkeit«.