Es war ein beeindruckendes Bild: Ende vergangener Woche säumte eine lange Reihe von 160 leeren Stühlen die Darmstädter Innenstadt. An ihnen waren die Bilder der Geiseln angebracht, die sich seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober immer noch in der Gewalt der Terrororganisation befinden.
Ein leerer Stuhl für jede Geisel. Ein Foto, das jedem der Entführten ein Gesicht gab. Und der Versuch, das Schicksal der Geiseln vor dem Vergessen und der Ignoranz zu bewahren; der Versuch, dem Propagandakrieg der Hamas, der seit dem 7. Oktober in den Medien und vor allem in den sozialen Medien tobt, in der realen Welt etwas entgegenzusetzen.
Organisiert wurde die Aktion »Der leere Stuhl« im Rahmen der Initiative »Bring Them Home« von zwei Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Darmstadt: Silke Neumann und Elina Becher. Die beiden holten sich Unterstützung bei der Jüdischen Gemeinde und der Stadt Darmstadt.
Es geht nicht nur um eine abstrakte Zahl, sondern um Menschen
Organisatorin Silke Neumann sagte, dass man mit der Aktion auf das Leid der Verschleppten aufmerksam machen wolle. Denn es gehe nicht nur um eine abstrakte Zahl, sondern um Menschen. Jeder leere Stuhl stehe für einen entführten Menschen und damit für ein schreckliches Schicksal. Doch es blieb nicht bei der Installation allein: Gemeinsam mit dem Oberbürgermeister der Stadt, Hanno Benz, den Mitgliedern des Magistrats sowie vielen Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde wurden die Namen der Geiseln verlesen. Darauf folgte eine Schweigeminute in Erinnerung an die Opfer des Hamas-Massakers vor fast neun Wochen.
Neumann sagte: »Wir haben bewusst auf politische Reden verzichtet und wollten die leeren Stühle und die Bilder der Geiseln für sich sprechen lassen. Denn diese sind tief beeindruckend.« Das sahen offenbar auch viele Passanten so. Sie suchten das Gespräch mit den Helfern der Jüdischen Gemeinde, die die Aktion über den Tag hinweg begleiteten.
Doch es gab nicht nur Anteilnahme. So wusste manch einer gar nicht, wer wo entführt worden war. Ob das in Darmstadt passiert sei, fragte ein junger Mann. Eine andere Passantin beklagte sich darüber, dass man ihr mit dieser Aktion die vorweihnachtliche Stimmung verderben würde. Und wieder andere überzogen die Organisatoren mit aggressiven Anklagen und teils wüsten Beschimpfungen.
Man habe mit den blau-weißen Luftballons »provoziert«, heißt es
Als man die Wachpolizei zu Hilfe holte, meinte diese, dass man sich über solche Reaktionen nicht wundern dürfe. Schließlich habe man mit den blau-weißen Luftballons »provoziert«. Die Organisatoren Neumann und Becher betonten, dass man zwar mit heftigen Reaktionen gerechnet habe, dass sie aber die Aggression, die Beschimpfungen und die Aussagen der Wachpolizei alles andere als kaltließen.
Dennoch zogen die beiden ein positives Fazit. Es sei wichtig, der Unwissenheit, der Ignoranz und dem Hass etwas entgegenzusetzen. Und um Menschlichkeit zu werben. Bei Kindern scheinen diese Regungen noch vorhanden zu sein. So blieb ein kleines Kind mit seiner Mutter an einem Hochstuhl mit dem Bild eines entführten Babys stehen, auf dem jemand ein Stofftier abgelegt hatte. Es streichelte dem Tier über den Kopf und strich dann zärtlich über das Foto des entführten Babys. Manchmal braucht es eben keine Worte. ja