Mitzvah Day

Ein Lächeln ins Gesicht zaubern

»Gerade jetzt, wo es draußen wieder zunehmend dunkel und kalt ist, die Fallzahlen wieder steigen, sollten wir Menschen nicht aus dem Blick verlieren, die von Obdachlosigkeit betroffen sind und sich weder vor der Kälte noch vor der Pandemie ausreichend schützen können.»

Mit diesen Worten fasst Natalie Kajzer aus Düsseldorf ihre Motivation zusammen, beim Mitzvah Day mitzumachen, der am vergangenen Sonntag bundesweit soziale und ökologische Projekte unterstützte. Mitzvah heißt auf Hebräisch Gebot und ist umgangssprachlich der Ausdruck für eine gute Tat.

freiwillige Natalie Kajzer ist eine von knapp 2500 jüdischen Freiwilligen, die an diesem Mitzvah Day aktiv waren. Zusammen mit anderen Mitstreitern vom SABRA-Team hat sie sich zum ersten Mal daran beteiligt. Das Düsseldorfer Antidiskriminierungsprojekt hatte Spenden für wohnungslose Frauen und Mädchen gesammelt und Hygienekits zusammengestellt. Rund 20 solcher Beutel mit Shampoos, Cremes, Zahnbürsten und Pflegeutensilien wurden an karitative Einrichtungen übergeben.

«Obdachlose Frauen und Mädchen sind eine leider oft vergessene Gruppe, deren Bedürfnisse in aller Öffentlichkeit meist unsichtbar bleiben», sagt die 29-jährige Marina Friemelt, die ebenfalls bei der Spendenübergabe dabei war. «Dieses Problem kenne ich auch als Vertreterin einer jüdischen Organisation; es war mir daher wichtig, genau hier in diesen Zeiten zu zeigen, dass wir Mädchen und Frauen in Not sehen und unterstützen.»

Hannah Dannel, die als Referentin für Kultur und Kommunikation im Zentralrat den Mitzvah Day organisiert, ist begeistert über neu Engagierte wie das kleine Düsseldorfer SABRA-Team. «Ich freue mich sehr, dass einige Gruppen zum ersten Mal dabei waren.» So habe es unter anderem auch Erstanmeldungen aus Aachen, Darmstadt und Krefeld gegeben.

engagement Neben den erstmals Aktiven lobt sie das Engagement der langjährigen Mitzvah-Day-Mitwirkenden, die teilweise jedes Jahr dabei sind. Ob Flensburg, eine kleine Gemeinde im Norden mit eher älteren Gemeindemitgliedern, die jedes Jahr mit drei Projekten am Start seien, oder die Frankfurter I. E.-Lichtigfeld-Schule, die sich mit mehreren Hundert Kindern und Jugendlichen jährlich aktiv beteilige – die Zentralratsreferentin ist stolz auf das breite Engagement.

Es gab einen leichten Trend zu Öko- und Outdoor-Initiativen.

Bundesweit fanden in 42 Städten rund 120 soziale Projekte statt. Vor Corona hatten die Teilnehmerzahlen bei knapp 3000 gelegen, im letzten Jahr dann bei 2000. In diesem Herbst, dem zweiten Corona-Herbst, waren die Anmeldungen wieder gestiegen auf rund 2500.

«Wenn man die Größe der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland mit etwa 95.000 Mitgliedern bedenkt, ist dies ein starkes Zeichen, das dafürspricht, wie viele sich engagieren und die positiven Werte des Judentums hinaus in die Welt tragen wollen», sagt Hannah Dannel im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Zu diesen Werten zählen Tikkun Olam (Verbesserung der Welt), Tzedek (Gerechtigkeit) und Gemilut Chassadim (Mildtätigkeit).

signal Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erklärte zum Mitzvah Day 2021: «Es ist ein starkes und positiv stimmendes Signal, dass sich trotz der Corona-Pandemie so viele Jüdinnen und Juden in Deutschland für ihre Umgebung aktiv einsetzen. Gerade in diesen Zeiten brauchen wir einen starken Zusammenhalt.»

Die Aktionen reichten von Briefeschreiben für Senioren und Kranke über Müllsammelaktionen bis zu Spendensammlungen für ein Kinderhospiz. In Berlin und München spendeten jüdische Studierende Blut für das Deutsche Rote Kreuz. Und viele Projekte beschäftigten sich mit Umweltschutz. So wurden Samenbomben und Insektenhotels gebastelt sowie Bäume gepflanzt.

«Es gab einen leichten Trend zu Öko- und Outdoor-Projekten», umreißt es Koordinatorin Hannah Dannel, bei der die bundesweiten Anmeldungen zusammenkamen. Dies habe zum einen daran gelegen, dass es zu Corona-Zeiten einfacher gewesen sei, ein Projekt draußen zu planen und durchzuführen, zum anderen entspreche es dem aktuellen Interesse am Thema Klimaschutz.

BEGEGNUNGSASPEKT Hygienevorschriften, Corona-Schutzmaßnahmen – der diesjährige Mitzvah Day musste wieder unter besonderen Bedingungen stattfinden. So änderten beispielsweise die Frauen vom Augsburger Rabbiner-Henry-Brandt-Verein, die eigentlich gemeinsam in einer größeren Gruppe mit christlichen Frauen Kuchen backen wollten, ihr Vorhaben.

«Wir machen immer interreligiöse Projekte und mussten in diesem Jahr die Teilnehmerinnenzahl limitieren», so Tanya Smolianitski, die Erste Vorsitzende des Vereins. Doch man blieb flexibel. Ein gemeinsames Frühstück im kleinen Rahmen konnte stattfinden, die Kuchen wurden vorab gebacken und dann an Obdachlose gespendet.

Noch kurzfristig seien Angebote angepasst worden, bestätigt auch Hannah Dannel. So wollte man in Bremen eigentlich mit Senioren basteln, änderte dies aber in einen Flohmarkt, dessen Erlös dann an eine Einrichtung für trauernde Kinder und Jugendliche gespendet werden sollte. «Es ist natürlich schade, dass der Begegnungs­aspekt dabei ein bisschen verloren geht, aber dafür wurden mehr Umweltprojekte geplant und durchgeführt.»

INSEKTENHOTEL Umweltprojekte gab es auch an der Frankfurter I. E.-Lichtigfeld-Schule. Es wurden zum Beispiel Blumenzwiebeln in Hochbeete gepflanzt und Insektenhotels gebastelt. Die Aktionen fanden hier bereits am Freitag im Rahmen des Schulunterrichts statt, jede gymnasiale Klasse hatte einen Schwerpunkt. Die einen sammelten Geschichten jüdischer Menschen für ein Erinnerungsprojekt, die anderen machten Straßenmusik, um Spenden zusammenzubekommen für bedürftige Schüler in anderen Ländern.

Und die Klassen der Frankfurter Grundschule hatten in diesem Jahr ein ganz besonderes Projekt: Sie verschönerten den Hof des neuen Schulgebäudes durch Gemälde und selbst gestaltete Spielevorrichtungen. «Die Welt schöner und bunter zu gestalten, ist auch eine Mizwa», erklärt Nurith Schönfeld, die als Fachleitung Jüdische Religion für die Organisation verantwortlich war. Unter dem Motto «Von Generation zu Generation» stand das Vorhaben, etwas Bleibendes zu schaffen und nicht nur für sich selbst, sondern auch für die nächste Generation die Schule kindgerechter zu gestalten.

Kuchen für Obdachlose, Grußkarten für Senioren, Verschönerung der Schule – die Motivation war groß.

Gemeinsam aktiv zu werden, stand auch beim Angebot des Jugendzentrums Kadima Düsseldorf im Mittelpunkt. «Es hat sich gut angefühlt, anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern», sagt Alona Joukoa. Sie betreute am Sonntag die Aktion der älteren Jugendlichen, die Lunchpakete für Bedürftige zusammenstellten.

Auch Alona schmierte stundenlang Brötchen. «Ich muss zwar ehrlich sagen, dass es nach einer Zeit anstrengend wurde, aber ich wusste ja, dass es für einen guten Zweck ist.» Die Jüngeren der knapp 40 Teilnehmenden schrieben Grußkarten und bemalten Tassen, die wiederum mit Snacks befüllt an die Bewohner und Bewohnerinnen des Jüdischen Elternheims der Gemeinde verteilt wurden.

dank Ein Lächeln als Dank, neue Eindrücke vor Ort. «Es war spannend, die Bahnhofsmission in München näher kennenzulernen», sagt Miriam Sonnenfeld Blaufuks nach ihrer Teilnahme am Mitzvah Day. Die 26-Jährige zählte zu denjenigen vom Verband Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB), die selbst gebackenen Kuchen und Spenden von benötigten Hygieneartikeln vorbeibrachten.

«Die Bahnhofsmission leistet unglaublich wertvolle Unterstützung im Herzen unserer Stadt», so der Vorsitzende des VJSB, Michael Movchin.
Bemerkenswert sei der soziale Antrieb, der sich auch in der jüdischen Wohlfahrt wiederfinde. «Ihre Wurzeln hat die Bahnhofsmission unter anderem in der Bahnhofshilfe durch den jüdischen Frauenbund. Ich habe mich sehr gefreut, dass wir mit unseren Spenden unterstützen durften», blickt Movchin zurück auf den Mitzvah Day.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat den Mitzvah Day 2012 bundesweit eingeführt und unterstützt die Gemeinden und Gruppen in der Vorbereitung ihrer Projekte. Hannah Dannel blickt zufrieden auf den jüdischen Tag der guten Taten. «Man merkt eine große Begeisterung in den Gemeinden, sich zu treffen und gemeinsam aktiv zu werden für die Gesellschaft. Gerade in diesem zweiten Pandemie-Herbst freut es mich besonders zu sehen, wie einfallsreich die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ist und wie aktiv in vielen kleinen Aktionen. Ein ganz großes Schkojach!»

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