In den Zeiten von Corona hat sich vieles verändert, auch der Schulalltag und die Vorbereitung aufs Abitur. Doch selbst wenn die traditionsreiche Fahrt nach Berlin entfallen musste, eines setzte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern auch 2021 durch: eine würdige, von persönlichen Momenten geprägte Abschiedsfeier.
Charlotte Knobloch empfing vergangene Woche elf von zwölf Abiturienten und Abiturientinnen und deren engste Angehörige im Restaurant »Einstein«, wo die Hygienemaßnahmen zur Folge hatten, dass die Tische jeweils zu »Familieninseln« zusammengestellt wurden. Eine lange Tafel für die nötige Distanz war für die teilnehmenden Vorstandsmitglieder und Lehrkräfte vorgesehen.
Vom IKG-Vorstand mit dabei waren Eugen Alter, Anita Kaminski und Vizepräsident Ariel Kligman, IKG-Geschäftsführer Steven Guttmann sowie die Lehrkräfte Channi Diskin, German Djanatliev, der durch das Programm führte, und Michaela Rychlá. Mit ihnen allen hatten die acht jungen Frauen und drei Männer in ihrer Schulzeit zu tun. Dass sie einen großen Lebensabschnitt hinter sich ließen und in der Erwachsenenwelt angekommen sind, bekräftigten Joana Brand, die das Medizinstudium nach Hamburg führt, und Naomi Acoca, die mit demselben Berufsziel nach Israel geht, später in ihrer Danksagung.
erfolg Dieses besondere Finale für die jungen Erwachsenen wurde mit einer Ansprache von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch eröffnet. Ihre Rede war voller Humor und Respekt, Wohlwollen und Erleichterung über den Erfolg der Schulabgänger angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen. Nicht allein das Abitur, die gesamte Kollegstufenzeit sei eine einzige große Herausforderung gewesen.
»Viele 1000 Jahre Geschichte sind ein Auftrag an jeden von uns.«
IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch
Von ihren Lehrern hätten sie »gelernt, welche Verantwortung jeder Einzelne von uns und von euch für den Erhalt dieser Tradition trägt. Viele 1000 Jahre Geschichte stellen nämlich nicht nur ein paar Monate Pandemie in den Schatten«, fuhr Charlotte Knobloch fort, »sie sind auch ein Auftrag an jeden von uns.« Doch das sei keine Belastung, der jüdische Traditionsschatz sei vielmehr ein Gerüst und Kompass. Ihre Laudatio beschloss sie mit dem Versprechen: »Die Türen eurer Gemeinde stehen euch immer offen. Wenn auch vieles unsicher sein mag, darauf könnt ihr euch immer verlassen.«
Rabbiner Shmuel Aharon Brodman zitierte den Propheten Jesaja: »Geht Kinder, hört mir zu!« und erklärte, warum es nicht »Kommt Kinder« heiße. Denn es gehe um einen Abschied, weil man in die Welt hinausgehe. Wichtig sei, sich zu erinnern, was man gelernt habe.
leidenschaft Die Leidenschaft, die German Djanatliev in seine Aufgabe als Religionslehrer hineinlegt, wurde in seiner Ansprache deutlich, in der er am Ende der IKG dankte, dass »ich diese Kinder unterrichten durfte und dass ich zwölf neue Freunde fürs Leben gewonnen habe«. Er sprach über das Thema »Die jüdische Erziehung heute – Überlegungen zum jüdischen Religionsunterricht«.
Was immer die Schule vermitteln mag, Djanatliev nennt als Grundelement das Elternhaus. Statt Zwang seien »Ahawa, Hitlahawut weKawana« – Liebe, Begeisterung und Intention – wichtig. Statt vom Respekt der Kinder, wie man hätte erwarten können, sprach er umgekehrt vom »Respekt der Lehrer gegenüber den Schülern«. Sein Engagement und die Möglichkeit, bei ihm die Schule des Judentums als Schule des Lebens kennengelernt zu haben, kam von den Schülern genauso respektvoll zurück. Das war förmlich zu spüren.
»Die Schulzeit ist zu Ende, der Prozess des Lernens hat erst begonnen«, sagte German Djanatliev.
»Zur jüdischen Bildung gehört heute auch die jüdische Philosophie und Geschichte, politische Aufklärung, Analyse des aktuellen Geschehens in der Welt, Finanzethik, die Entwicklung der jüdischen Identität und die Unterstützung des Staates Israel«, fasste Djanatliev den Lehrstoff zusammen. Die Schulzeit sei zu Ende. »Der Prozess des Lernens hat jedoch erst begonnen«, gab er dem Abiturjahrgang mit auf den Weg.
kostproben Kostproben des Erlernten präsentierten fünf Abiturienten. Naomi Acoca, die bald ein Praktikum beim Magen Adom in Israel antritt, befasste sich aus Sicht des Judentums mit medizinethischen Fragen zu künstlicher Befruchtung und Abtreibung. Selbst zur Pränataldiagnostik finde man Beispiele im Talmud. Oscar Scher, der momentan ans Reisen, aber auch an die Optimierung seiner Französischkenntnisse denkt, erläuterte, wie sich mit dem Aufruf zu den Kreuzzügen durch Papst Urban 1096 die Situation der Juden in Europa dramatisch veränderte und mittelalterliche Vorurteile systemischen Antisemitismus in die Welt brachten.
»Angesichts einer steigenden Kriminalitätsrate ist in der europäischen Öffentlichkeit vereinzelt der Ruf nach Wiedereinführung der Todesstrafe zu vernehmen. Erörtern Sie diese Problematik aus jüdischer Sicht«, lautete die Kolloquiumsfrage an Ron Bergida. Das Ergebnis seiner Überlegungen trug er so strukturiert vor, dass die Wahl seines Studienfachs klar ist: Jura.
Romy Meiteles wählte aus dem Schwerpunkt »Die Ethik der Feiertage« den Monat Elul aus, seine Bedeutung für das Neujahrsfest, Jom Kippur und das dazugehörige Brauchtum, das viele ausüben, ohne die bemerkenswerten Hintergründe zu kennen. Und in Sonja Kukulinas Vortrag ging es schließlich um die verschiedenen Bünde, die Gott mit den Menschen schloss, insbesondere die Noachidischen Gebote, die für die gesamte Menschheit gültig sein sollten.