Happy Birthday

»Ein kleines Wunder«

Oft besucht: die Chemnitzer Synagoge Foto: ddp

Ruth Röcher ist die Vorfreude schon jetzt anzumerken. Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz steckt mitten in den Vorbereitungen zu den Jubiläumsfeierlichkeiten der Gemeinde im Herbst – und rührt die Werbetrommel: »Wissen Sie schon, dass die Gemeinde in diesem Jahr 125 Jahre alt wird?«, fragt sie.

Auch für Siegmund Rotstein, ihren Amtsvorgänger, ist mit der Zahl ein kleines Wunder verbunden. Alles begann mit einem Zusammenbruch, erinnert sich der ehemalige Vorsitzende. Juden aus den Länder der untergehenden Sowjetunion kamen nach Deutschland und retteten auch die Chemnitzer Gemeinde vor dem Zerfall aus Altersgründen. Gab es doch 1990 nur noch ein Dutzend schon betagterer Juden in der Stadt. Mittlerweile sind es 650.

»Damals konnte man nicht mehr von einem eigenständigen jüdischen Leben sprechen. Doch Juden haben viel zur Entwicklung von Chemnitz beigetragen. Eine solche Gemeinde durfte nicht untergehen«, sagt der 84-Jährige. Bau und Einweihung der neuen Synagoge 2002 seien entscheidend für die Wiederbelebung gewesen. »Wenn die Leute keine Möglichkeit gehabt hätten, sich zu entfalten, wären sie weggeblieben«, ist Rotstein überzeugt.

»Zwei Hände reichen, um die Einheimischen zu zählen«, bestätigt Gemeindevorsitzende Ruth Röcher, die selbst aus Israel stammt. Doch sie weiß, dass sich die jüdische Kontinuität trotz Schoa in Chemnitz erhalten hat. Und diese müsse man weiterhin bewahren. »Wir wollen mit unserem Jubiläum zeigen, dass wir da sind: Für uns selbst, indem wir uns mit der Geschichte vertraut machen, und nach außen, indem wir zeigen, wer wir sind.« Zuallererst seien die 125 Jahre ein Grund, stolz zu sein und zu feiern – da sei es völlig egal, ob einheimisch oder zugewandert.

Siegmund Rotstein ist einer der letzten Chemnitzer Juden, die den Holocaust überlebt haben und in die Stadt zurückgekehrt sind. Er erinnert sich an eine zu seiner Kinderzeit sehr aktive Gemeinde mit vielen Vereinen und Sozialleistungen. »Es gab viele reiche Juden in Chemnitz«, sagt Rotstein. Die Ärmeren – wie seine Familie – seien vielfältig unterstützt worden, mit Lebensmittelgutscheinen oder Geschenken für die Kinder. Stolz der liberalen Gemeinde war die Synagoge auf dem Kaßberg, die der 13-Jährige im November 1938 brennen sah. Die orthodoxen Juden hatten ihren eigenen Betsaal; es gab eine Mikwe, ein Altersheim, einen Kindergarten und einen Friedhof.

In ihrer Blütezeit hatte die Chemnitzer Gemeinde rund 3.500 Mitglieder. Schon damals sorgten sogenannte Ostjuden für einen Zuwachs, zuerst nach deren Ausweisung aus Leipzig und Dresden im Jahr 1914 und später durch Zuzug in den 20er-Jahren. Großes Ansehen im Wirtschaftsleben genossen insbesondere die Textilunternehmer. Darüber hinaus lebten in Chemnitz zahlreiche jüdische Unternehmer, Kaufleute und Freiberufler, die sich zum einen als Kunstfreunde und zum anderen in der Gesellschaft engagierten.

So weit ist die neue Gemeinde heute noch nicht. Viele ehemalige Sowjetbürger haben in Deutschland beruflich nicht Fuß fassen können und sind auf Sozialhilfe angewiesen. »Einige haben aufgrund ihres Berufs oder ihrer Geschicklichkeit einen festen Platz in der deutschen Gesellschaft, beispielsweise Ärzte und Künstler. Aber Mäzene können sie nicht sein«, sagt Röcher. Bis zur Integration der meisten Zuwanderer werde es ein bis zwei Generationen brauchen. Doch die Feiern zum Jubiläum können für ein weiteres Zusammenfinden nützlich werden, sind Rotstein wie Röcher gleichermaßen überzeugt.

ja

Trauer

Mit gebrochenem Herzen

Die Israelitische Kultusgemeinde nahm Abschied von Rebbetzin Shoshana Brodman sel. A., die Anfang November nach langer Krankheit starb

von Esther Martel  02.12.2025

Kulturtage

»Weitermachen ist die einzige Chance«

»Jüdisches Leben in Deutschland – Heute und Morgen«: Ein Podium stellte die Frage nach gesellschaftlichen Dynamiken und Konsequenzen nach dem 7. Oktober

von Esther Martel  02.12.2025

Planegg

Historische Sensation

Eine Ausstellung erzählt vom Schicksal Jakob Hirschs, der 1818 als erster Jude in Bayern geadelt wurde

von Ellen Presser  02.12.2025

Köln

Bekenntnis zum Leben

Der WIZO-Ball sammelte Spenden für traumatisierte israelische Kinder

von Ulrike Gräfin Hoensbroech  02.12.2025

Interview

»Die Altersarmut bleibt«

Aron Schuster über das Ende des Härtefallfonds, Einmalzahlungen und Gerechtigkeit für jüdische Rentner

von Mascha Malburg  02.12.2025

Berlin

Israel-Flagge vor Rotem Rathaus eingeholt

Nach mehr als zwei Jahren wurde die Fahne am Dienstag vom Mast geholt. Die Hintergründe

 02.12.2025

Berlin-Charlottenburg

Verborgene Schätze im Innenhof

Gemeindemitglied Joachim Jacobs führt durch den wohl jüdischsten Bezirk der Hauptstadt

von Sören Kittel  01.12.2025

Haifa

Nach abgesagter Auktion: Holocaust-Zeugnisse jetzt in Israel

Die geplante Versteigerung von Holocaust-Zeugnissen in Deutschland hatte für große Empörung gesorgt. Nun wurden viele der Objekte nach Israel gebracht und sollen dort in einem Museum gezeigt werden

von Sara Lemel  01.12.2025

Dokumentation

»Sie sind nicht alleine!«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hielt bei der Ratsversammlung des Zentralrats der Juden die traditionelle Gastrede

von Wolfram Weimer  30.11.2025