Herr Rosenberg, zur Stadtbibliothek Nürnberg gehört auch die »Sammlung IKG«, die von Ihnen betreut wird. Was ist das für eine Sammlung?
Es ist ein Konvolut Tausender Bücher und Schriftstücke, die während der Zeit des Nationalsozialismus ihren Eigentümern, darunter vielen Juden, geraubt wurden und in der Redaktionsbibliothek von Julius Streicher landeten, des sogenannten Gauleiters der NSDAP in Franken und Herausgebers des Nazi-Hetzblattes »Der Stürmer«. Nach dem Krieg gingen die Schriften in das Eigentum der IKG über und wurden der Stadtbibliothek in Nürnberg als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Sie führten lange Zeit ein Dornröschendasein, die Aufarbeitung begann erst in den späten 90er-Jahren.
Sie sind der Beauftragte für die Sammlung. Was genau ist Ihre Aufgabe?
Es ist ein sehr komplexes Aufgabengebiet. Zunächst einmal ging es um die Inventarisierung der nahezu 10.000 Bücher und Schriften. Das hat viele Jahre gedauert und ist inzwischen weitgehend abgeschlossen. Ähnlich lange läuft das damit verbundene Projekt, die ursprünglichen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger ausfindig zu machen. Eine Rückführung der Sammlungsstücke unterliegt strengen ethischen und rechtlichen Richtlinien und entspricht dem international geltenden Standard.
Betreiben Sie dann so etwas wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen?
Den Vergleich kann man durchaus ziehen. Oft ist es nur eine handschriftliche Bemerkung auf dem Einband, ein Name oder ein Stempel, die einen Hinweis auf den früheren Eigentümer liefern. Trotzdem ist es uns bisher gelungen, mehr als 2000 Vorbesitzer ausfindig zu machen. Mehr als 700 von ihnen haben Bücher oder Schriftstücke zurückbekommen. Sie stammen aus einem Dutzend verschiedenen Ländern.
Da haben Sie aber noch eine Menge Arbeit vor sich, wenn Sie alle Vorbesitzer ausfindig machen und die Bücher zurückgeben wollen.
Wir haben auf der Internetseite der Nürnberger Stadtbibliothek gerade eine aktuelle Liste mit den uns zur Verfügung stehenden Daten veröffentlicht, um auf diese Weise weitere Eigentümer ausfindig zu machen. Alle werden wir mit Sicherheit nicht finden können, aber wir werden jedenfalls alles Erdenkliche dafür tun, um möglichst viele von ihnen entdecken und kontaktieren zu können.
Weil die einzelnen Bücher oder Dokumente so wertvoll sind?
Ja, das sind sie in der Tat. Ich denke dabei allerdings nicht nur an ihre materiellen Werte. Eher daran, dass mit der Restitution von Raubgut den Opfern nach all den vielen Jahren wenigstens ein kleines Stück Gerechtigkeit zuteilwird. Der emotionale Wert für Hinterbliebene und Nachfahren, der mit einem real existierenden Fragment aus der Vergangenheit verbunden ist, lässt sich dagegen kaum beschreiben. Ich weiß von einer Familie, die ein altes Schulbuch ihres Großvaters neben den Chanukkaleuchter stellt, damit er beim Lichteranzünden dabei sein kann. Das ist ein Hinweis auf den eigentlichen Wert.
Mit dem Beauftragten der Stadtbibliothek zur Restitution von Buchbeständen aus NS-Raubgut sprach Helmut Reister.