Sie war immer da. Fast jedes Mal, wenn man an den großzügigen Schaufenstern vorbeikam, fiel der Blick auf die ausgestellten Bücher. Doch nun sind die Tage der Literaturhandlung in der Joachimsthaler Straße gezählt, denn sie wird am 1. Mai ihre Türen schließen. 33 Jahre lang lud sie zum Schmökern in jüdischer Literatur ein.
»Wir haben in den vergangenen Jahren einfach nicht mehr die Frequenz an Besuchern in der Berliner Literaturhandlung gehabt. Die Zahlen sind stark zurückgegangen«, sagt Geschäftsführerin Ariella Chmiel über die Schließung des Geschäfts. »Es war uns eine besondere Freude, Sie als treue Kunden zu haben und gemeinsam mit Ihnen die Leidenschaft für Literatur zum Judentum zu teilen. Der Abschied fällt uns nicht leicht«, steht auf dem Plakat, das nun an der Eingangstür hängt.
»Uns ist bewusst, dass wir da eine große Lücke hinterlassen. Aber es ist leider auch so, dass das Stammpublikum eher aus älteren Leuten besteht, das auch immer weniger kommt. Und andere bestellen eben dann doch lieber bei Amazon«, sagt die Geschäftsführerin.
Institution »Ich bedaure die Schließung sehr«, meint Judith Tarazi, die auf ihrem Arbeitsweg zum Kunstatelier Omanut jeden Tag an dem Geschäft in der Joachimsthaler Straße vorbeikommt. Die Literaturhandlung habe ein einmaliges, fantastisches Angebot. »So eine Buchhandlung gehört nach Berlin.« Sie sei eine feste Institution gewesen. »Obwohl sich die Atmosphäre in der Buchhandlung nicht gerade zum Besten verändert hat.« Und die Öffnungszeiten nicht optimal gewesen seien. Sie habe öfter hineingeschaut, um ein Buch oder Judaica zu erwerben.
Ein Stuhl lädt ein, sich hinzusetzen und in einem Buch zu blättern und zu lesen.
An diesem Donnerstagmittag ist es ruhig in der Literaturhandlung, die sich neben der Synagoge und dem Jugendzentrum Olam befindet. Bis vor etwa 15 Jahren war in diesem Haus auch die Gemeindeverwaltung untergebracht. Ein Stuhl lädt ein, sich hinzusetzen und in einem Buch zu blättern. Pessachteller sind in den Regalen ausgestellt, ebenfalls Kidduschbecher und die Haggada. Im Schaufenster wird eine Reihe mit dem Titel »Jüdische Miniaturen« präsentiert, darunter Biografien, Familiengeschichten, israelische Kochbücher und Bestseller wie Eine Familie in Kiew von Dmitrij Kapitelman oder Unter Freunden stirbt man nicht von Noa Yedlin.
lesefutter Man findet beides: umfangreiches Material zur Geschichte des jüdischen Lebens und Wirkens – aber auch aktuelle Produktionen. Klassiker ebenso wie junge Autoren. Kurz: Lesefutter für alle Lebenslagen. Mehr als 40 Sachgebiete – von jüdischer Geschichte und Tradition, Zeitgeschichte und Biografien, Belle-tristik, Kinder- und Jugendbüchern bis hin zu CDs und DVDs – zeigen das gesamte Spektrum des Judentums. Ein Sortiment an Schmuck und alle für das jüdische Leben üblichen Ritualien ergänzen das Angebot der Literaturhandlung.
Seit 2005 können Interessierte aus der ganzen Welt auch über den Onlineshop die mehr als 15.000 Artikel der Literaturhandlung beziehen.
Ein etwa 50-jähriger Mann betritt den Laden: Er braucht ein Kinderbuch und eine Glückwunschkarte und lässt sich beraten. Wenige Minuten später verlässt er zufrieden mit der Karte und dem Buch in der Hand das Geschäft.
veränderung »Der Einzelhandel ist nun mal im Umbruch, und da passiert einiges und dementsprechend muss man sich ein bisschen der Zeit anpassen«, sagt Ariella Chmiel. Dazu komme noch, dass sich die Joachimsthaler Straße sehr verändert habe. »Die Lage ist bei Weitem nicht mehr so gut wie früher.« In den vergangenen Jahren hätten viele Geschäfte geschlossen, Baustellen hätten alles andere als einladend gewirkt.
Aber Chmiel sagt auch: »Ich würde das gar nicht so negativ sehen, sondern eher als eine Veränderung, die manchmal vorgenommen werden muss, um sich dann sozusagen auf andere Dinge zu fokussieren und konzentrieren, um daraus wieder etwas Neues zu schaffen.« In ihrem Fall sei das der Onlinehandel.
Die anderen Geschäfte seien in Museen integriert, wo mehr Besucher vorbeikommen.
Gegründet wurde die Literaturhandlung in Berlin 1991 von Rachel Salamander, deren Hauptfiliale eine Buchhandlung in München ist. Insgesamt gehörten bisher acht Geschäfte dazu. Vor etwa fünf Jahren hat Ariella Chmiel sie alle übernommen – voller Elan und Optimismus. Aber ein Jahr später kam Corona, was dem Buchhandel zugesetzt hat.
Ariella Chmiel, die Politologin ist und sich in verschiedenen Vereinen engagiert, darunter auch in der Arbeitsgruppe »Gedenken an den 9. November 1938« und dem Verein »Mitzwe Makers«, arbeitete zwei Jahre lang in Salamanders Team, bevor sie die Geschäftsführung übernahm.
Die anderen Geschäfte seien in Museen integriert, wo die Besucherfrequenz automatisch höher sei. Nun sollen die Filialen in München, Frankfurt und Dachau sowie der Onlinehandel stärker fokussiert werden.
»Es ist ja auch nicht gesagt, dass es nie wieder eine Literaturhandlung in Berlin geben wird, aber dann wird sie anders ausschauen. Auch wenn wir da natürlich eine Riesenlücke hinterlassen und es schmerzhaft ist, werden wir unsere Berliner Kunden, bis es so weit ist, weiterhin über unseren Onlineshop mit guter Literatur versorgen.«