Mittwochabend, Schlesisches Tor. Vor dem Club »BiNuu« im alten Postleitzahlbezirk SO 36, im Gebäude des U-Bahnhofs, steht eine lange Schlange. Hip-Hop-Fans warten geduldig auf Einlass zu einer Veranstaltung, die bei Insidern längst Kultstatus hat: »Rap am Mittwoch«.
Als die Show beginnt, drängen sich Hunderte von Besuchern im Saal. Moderiert wird Deutschlands derzeit größte Live-Battle-Rapliga von Ben Salomo, der mit bürgerlichem Namen Jonathan Kalmanovich heißt und weitaus jünger wirkt als 37 Jahre.
»Rap am Mittwoch, kommt alle mit – doch wenn ihr nichts mit Hip-Hop am Hut habt, müsst ihr gehen!«, skandiert der Mittdreißiger ins Mikrofon, und der ganze Saal macht mit. Später treten »MCs« mit Punchlines gegeneinander an, die die Ohren klingen lassen.
Fast keine Zeile kommt ohne das »F-Wort« aus. Deutsche, palästinensische, türkische und libanesische Berliner beleidigen sich gegenseitig in einer Wortwahl, gegen die Eminem-Texte gediegen wirken. »Du langhaariger Punk-Arier« ist noch eine der harmloseren Zeilen. Das meiste ist nicht zitierfähig.
YouTube Die Show zieht sich bis weit nach Mitternacht. Ben Salomo, der mehrere Mitarbeiter beschäftigt, ist während der langen Nacht kaum ansprechbar. Ein paar Tage später erklärt er, wie er es geschafft hat, ausschließlich von »Rap am Mittwoch« leben zu können.
Auf YouTube hat die Kombination aus Cypher (eine Art Casting) und Battlemania (die verbale Schlacht), die jedes Mal aufgezeichnet wird, 80.000 Abonnenten und bis zu einer Million Views im Monat. Und Anzeigen, die Geld bringen. Gegründet wurde »Rap am Mittwoch« schon 1999. Auch Ben Salomo war damals dabei, und heutige Rap-Größen wie Sido kamen in die Ufa-Fabrik.
Nach einer zehnjährigen Pause wurde die Veranstaltung 2010 wieder aufgenommen. »Battle Rap ist verbaler Krieg – jedes Mittel ist recht, solange die Leute sich hinterher die Hand geben können«, sagt Ben Salomo. Rassistische Punchlines würden im Battle Rap nicht geduldet: »›Jüdischer Vollidiot‹ oder ›türkischer Vollidiot‹ ist okay. ›Scheiß Jude‹ oder ›Scheiß Türke‹ geht nicht.«
Rechovot Ben Salomo ist Israeli, der sich selbst als »Jude von der Straße« bezeichnet. Geboren wurde er 1977 im süd-israelischen Städtchen Rechovot, was auf Deutsch »Straßen« bedeutet. Zeitweise arbeitete er als Barkeeper, und nicht ohne Koketterie betont er, er sei keineswegs wie andere Berliner Juden »in diesem selbstgewählten jüdischen Milieu« aufgewachsen. Die Familie seines Vaters stammt aus Rumänien, seine Mutter wurde in Odessa geboren.
Als Vierjähriger kam er aus Rechovot nach Deutschland, seine Eltern trennten sich wenig später. Der kleine Jonathan durchlief eine durchaus chaotische Schullaufbahn und wuchs zwischen Wittenberg- und Nollendorfplatz auf. »Als ich zwölf Jahre alt war, wurde ich auf dem Hof plötzlich gefragt: Woher kommst du eigentlich? Ich sagte: Israel. Am nächsten Tag wurde ich von Türken und Arabern gemieden. Und als bekannt war, dass ich Jude bin, hatte ich nur die Wahl: Entweder lasse ich mich diskriminieren, oder ich wehre mich.« Jonathan wehrte sich – auch mit den Fäusten: »Wenn man sich in die Opferrolle drängen lässt, wird man auch so behandelt. Wenn man sich wehrt, verschafft man sich Respekt«, sagt er.
Der Antisemitismus, der im vergangenen Sommer bei propalästinensischen Demonstrationen offensichtlich wurde, ist für Ben Salomo nichts Neues: »Mich hat das nicht überrascht«, sagt er. Demonstrationen gegen Antisemitismus seien schön, verfehlen seiner Meinung nach, aber häufig ihr Ziel: »Die Leute, die wir erreichen wollen, deren Satellitenschüsseln gehen in eine andere Richtung«. Für wichtiger hält er Bildungsarbeit an Schulen und interkonfessionelle Projekte.
Er selbst geht in seiner Dialogbereitschaft weit: Mit dem Rapper Fard, der im Frühjahr 2014 gemeinsam mit seinem »Kollegen« Snaga ein antiisraelisches Video (mit Zeilen wie »Contra Tel Aviv – Pro Freiheit«) und einer ausgesprochen aggressiven Bildsprache veröffentlichte, hat Ben Salomo ein längeres Gespräch geführt – über den Inhalt will er aber nicht sprechen. Dass sich Menschen, die aus palästinensischen Flüchtlingsfamilien kommen, gegen Israel äußern, kann der Israeli sogar verstehen: »Das persönliche Leid ist nicht erfunden.«
Durch Fernsehbilder wie im Gaza-Krieg seien viele Migranten in einen Hassstrudel gerutscht. »Ich habe viele Diskussionen mit Freunden. Ich habe sehr viel versucht, zu erklären«, sagt Ben Salomo. Ob es hilft? »Zu Rap am Mittwoch kommen etwa 800 Leute, viele mit Ressentiments gegen Juden. Wenn ich nur einen von 100 Leuten dazu bekomme, umzudenken, dann habe ich etwas bewegt.«
Jugendzentrum Im Sommer ist Ben Salomo im Jugendzentrum »Olam« aufgetreten. Dort präsentierte er Texte, die er auf einem eigenen Album veröffentlichen will. »Sie nennen ihn Gott, du nennst ihn Allah, wir sagen Adonai/... und so wie Gott der Hand mehr als nur einen Finger gab/gab er den Menschen mehr als nur einen Weg zu Gott«, heißt es in einem seiner Songs. Er sei »irgendwie religiös«, sagt Ben Salomo, er glaube an Gott und die Zehn Gebote, »das reicht mir – und fertig«. Seine Barmizwa feierte er in der Synagoge Joachimsthaler Straße. Doch den Schabbat hält er nicht, und Pizza Salami ist für ihn kein Gräuel.
Als Kind fuhr er mehrmals zu Machanot. Doch zwischen 14 und 30 Jahren blieb er jüdischen Events so gut wie fern. Was hielt ihn ab? »Ich hatte nie Markenklamotten. Wenn ich meine Mutter darum gebeten hätte, hätte ich sie vielleicht sogar bekommen. Aber meine Mutter hat meine Schwester und mich alleine erzogen, und ich wollte sie nicht darum bitten. Und ich hatte dann keine Lust mehr auf diese Leute.« Als er 30 war, kehrte Ben Salomo in die jüdische Gemeinschaft zurück – um als Rapper an einem Machane teilzunehmen. Und da habe er gemerkt, dass sich auch die anderen weiterentwickelt hätten und die »materielle Phase« vorbeigegangen sei.
Bis heute lebt Jonathan Kalmanovich in Schöneberg – dem Kiez, der in seinen Augen alles vereint: Brennpunkte und »High Society«. Manchmal fragt er sich, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn seine Eltern nicht nach Deutschland ausgewandert wären. Doch als Rapper sieht Ben Salomo in Israel keine berufliche Zukunft.
Verdrossenheit Auch die politische Entwicklung macht ihm Sorgen: »Die Verdrossenheit der israelischen Bevölkerung wegen Raketen und Gewalt treibt Wähler aus der Mitte immer weiter nach rechts.« Aber er sagt auch: »Kein israelischer Pilot fliegt los und freut sich, Frauen und Kinder zu töten. Wäre das so, würde ich meinen israelischen Pass wegwerfen.«
Auf seine Weise, resümiert der 37-Jährige, habe er immer »Hasbara«, also Überzeugungsarbeit für Israel, gemacht, ob nun in der Rap-Szene oder in seinem Schöneberger Kiez: »Ich bin mein Leben lang für Israel und die Juden eingetreten.«