Potsdam

Ein Haus für alle

Für Michal Pressman ist dieser Tag ein Moment der Freude und Trauer zugleich. Glücklich ist die Rebbetzin und Religionslehrerin darüber, dass die Synagoge in Potsdam endlich feierlich eingeweiht werden kann, traurig aber, dass ihr vor zwei Jahren verstorbener Ehemann, Brandenburgs damaliger Landesrabbiner Nachum Pressman, dies nicht mehr erlebt. Diese Synagoge hätte ihm sehr am Herzen gelegen, so seine Frau nach der Feier.

Die offizielle Zeremonie ist bereits vorbei, viele Besucher strömen zum Ausgang. Doch Ud Joffe, Chef der Synagogengemeinde Potsdam, und ein paar weitere verweilen noch ein wenig. Er bittet einen Bekannten, ein Foto von den Gemeindemitgliedern vor dem Toraschrein zu machen. »Unser Rabbiner Pressman sel A. ist immer mit uns.« Ein paar Minuten zuvor hielt Joffe die Torarolle, die im Gedenken an den Rabbiner vor einem Jahr eingebracht wurde. Ob morgen ein Gottesdienst in der Synagoge stattfinden wird, fragt eine Frau. Joffe verneint. Erst nach den Sommerferien, im September, wird es welche geben.

Doppelt so groß wie geplant

»Schauen Sie, diese großen Fenster geben den Blick frei zur Stadtgesellschaft«, sagt er zufrieden. Dies sei ihm wichtig, auch, dass das Gebäude doppelt so groß geworden ist wie einst geplant. 199 Beterinnen und Beter finden nun darin Platz. Es gibt eine Frauenempore, eine Dachterrasse, einen koscheren Fahrstuhl, eine Mikwe, einen Veranstaltungssaal, ein Besuchercafé, eine Bibliothek, Büroräume sowie Musik- und Kunsträume. Es soll ein offenes Haus sein. Zurück liegt ein jahrzehntelanger Streit um den Bau. Doch an diesem Tag sind alle erleichtert und erfreut, dass das Gebäude eingeweiht werden kann.

»Das Synagogenzentrum ist ein Geschenk an uns alle«, betont der Bundespräsident.

Etwa eine Stunde vor der Feier stimmt Rabbiner Zsolt Balla seine Gitarre in der Synagoge. Er ist unsicher, wie gut die Akustik sein wird. Später wird er sich selbst begleiten – und gut durchdringen. Abraham Lehrer, Präsident der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), hat bereits am Eingang Stellung bezogen und empfängt die Besucher. Das Gelände ist abgeriegelt, zig Polizisten sind im Einsatz. Zaungäste verfolgen aus der Distanz, wer alles ankommt.

Die Liste der Prominenz ist lang: Zentralratspräsident Josef Schuster fährt vor, Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) werden von Lehrer empfangen, Woidkes Vorgänger Matthias Platzeck (SPD), Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert, der israelische Botschafter Ron Prosor, Brandenburgs Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke, Kulturministerin Manja Schüle, Finanzministerin Katrin Lange und zum Schluss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte wegen der Haushaltsberatungen kurzfristig ab.

Bis der Bundespräsident eintrifft, haben alle anderen Gäste, darunter Mitglieder der Gemeinden, Mitarbeiter der ZWST und des Zentralrats wie auch des Architektenbüros Jost Haberlands, Zeit, sich umzuschauen.

»Gleichberechtigtes und friedliches Miteinander«

»Der Wille nach einem gleichberechtigten und friedlichen Miteinander unserer Gesellschaft bleibt ungebrochen, er ist der Vertrauensvorschuss, den die jüdische Gemeinschaft diesem Land und seinen Menschen gegeben hat«, sagt Lehrer in seiner Eröffnungsrede. »Es ist nun an uns allen, sicherzustellen, dass dieses Zentrum ein nach innen und außen offenes Haus sein kann, auch wenn es weiterhin geschützt werden muss, und als Hoffnungsträger dient, für eine bessere Zukunft.«

Dann tritt der Bundespräsident ans Rednerpult. »75 Jahre alt wird unsere Republik in diesem Jahr«, sagt er. Viele Jahre habe es gedauert, bis in unserem Land wieder Synagogen gebaut wurden. Es berühre ihn sehr, an diesem Tag bei diesem Festakt hier in Potsdam dabei zu sein. »Das Synagogenzentrum ist ein Geschenk an uns alle. Möge dieses Haus im Herzen Potsdams für Jüdinnen und Juden ein Ort des Gebets und der Begegnung werden – und ein Haus für alle Völker.«

Weiter sagt Steinmeier: »Überall in Europa haben Jüdinnen und Juden wieder Angst vor Hass, vor Gewalt, vor Ausschreitungen. Weil sie Juden sind. Das ist unerträglich.« Deutschland müsse alles tun, um jüdisches Leben zu schützen. »Nur wenn Jüdinnen und Juden sich in Deutschland ganz zu Hause fühlen, nur dann ist dieses Land ganz bei sich«, betont er und verspricht: »Deutschland bleibt ein Zuhause für Jüdinnen und Juden. Dafür stehe ich persönlich, und dafür tritt die Mehrheit aller Deutschen – das versichere ich Ihnen – ein.«

Geschichte der Flucht und Migration

Viele der Gemeindemitglieder seien geprägt von einer Geschichte der Flucht und Migration, einer Geschichte des Ankommens in Deutschland, so Zentralratspräsident Schuster. Sie seien Mitglieder einer Gründungsgeneration jüdischen Lebens. »Die jüdischen Gemeinden in Potsdam haben nun ein Herzstück. Die Synagoge wird das jüdische Gemeindeleben hör- und sichtbarer machen«, so Schuster. »Der Bau dieser Synagoge ist für sie.«

Immer noch von Mut zu sprechen, wenn es um die Einweihung einer Synagoge gehe, höre sich in diesen Zeiten leider sehr richtig an. Ein Drittel der jüdischen Gemeinden in Deutschland habe in den Wochen nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober antisemitische Angriffe erfahren – von Vandalismus und psychischem Druck bis zu Anschlägen.

»Auch in Brandenburg haben antisemitische Vorfälle und Straftaten zugenommen. Der Kampf gegen Antisemitismus steht als Staatsziel in unserer Verfassung. Wir tun weiter alles, damit Jüdinnen und Juden sich in Brandenburg sicher fühlen können«, sagt Ministerpräsident Dietmar Woidke in seiner Ansprache. »Und wir tun weiter alles, um jüdisches Leben in unserem Land nach Kräften zu unterstützen. Dazu gehört die neue Synagoge in Potsdam.« Jüdisches Leben gehöre zu Brandenburg, und jüdisches Leben brauche Räume und Sichtbarkeit.

Rabbiner Avichai Apel spricht den Segen zur rituellen Eröffnung.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert betont: »Die Synagoge hat nun ihren dauerhaften Platz in unserer Stadt gefunden – dort, wo sie hingehört: in der Mitte Potsdams. Die neue Synagoge spricht unserer Stadt das historische Vertrauen aus, dass hier Religion frei ausgeübt werden kann. Dieses Vertrauen erwidern wir Potsdamerinnen und Potsdamer, egal welches Glaubens: Es gibt kein Ihr, nur ein Wir, und ohne Jüdinnen und Juden, die ihrem Glauben offen und frei nachgehen können, ist Potsdam nicht Potsdam.«

Seite an Seite

Dann spricht der Vorsitzende der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD), Rabbiner Avichai Apel, den Segen zur rituellen Eröffnung der Synagoge. Evgueni Kutikow, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Stadt Potsdam, und Ud Joffe nehmen die Torarollen ihrer Gemeinden aus dem Schrank. Trotz der langen Auseinandersetzung um den Bau der Synagoge stehen sie nun Seite an Seite.

Als das Land Brandenburg und der jüdische Landesverband 2005 in einem Staatsvertrag den Bau eines Synagogenzentrums in Potsdam vereinbarten, schien alles ganz einfach. Brandenburg würde das Gebäude bezahlen und errichten, der jüdische Landesverband bestimmen, was wie gebaut werden soll. Auch 2008, als der Realisierungswettbewerb zugunsten eines Entwurfs des Berliner Architekten Jost Haberland entschieden wurde, herrschte noch Einigkeit. Doch die gehörte rasch der Vergangenheit an.

»Ohne Jüdinnen und Juden ist Potsdam nicht Potsdam.«

OB Mike Schubert

Bis 2011 hatten sich die Mitglieder der größten Potsdamer jüdischen Gemeinde derart zerstritten über den Bau, dass sich eine neue Gemeinde bildete, die den Haberland-Entwurf als äußerlich zu modern und innen ungeeignet für Gemeindearbeit ablehnte. Matthias Platzeck, damaliger Brandenburger Ministerpräsident, legte das Projekt daraufhin auf Eis.

Erst acht Jahre später wurde die Planung wiederaufgenommen. Gebaut werden konnte erst, als das Land die ZWST als verlässlichen Ansprechpartner von jüdischer Seite ins Boot holte. Die ZWST moderierte die Interessen der einzelnen Gemeinden, fand Kompromisse und traf Entscheidungen. Der architektonische Entwurf wurde überarbeitet, sodass sich am Ende alle auf ihn einigen konnten.

Evgueni Kutikow ist sehr zufrieden mit dem Bau. »Er ist sehr schön geworden.« Er freue sich, bald in dem Synagogenzentrum sein Büro zu haben, und auch darauf, dass alle Pakete und Briefe seine Gemeinde erreichen. Da die Gemeinde in einem Provisorium untergekommen ist, war das nicht immer der Fall. Bisher habe es bezüglich des Nutzungskonzepts nur Vorgespräche gegeben, Details seien noch nicht weiter ausgearbeitet worden.

2021 wurde der Grundstein gelegt

2021 wurde der Grundstein für das Gebäude, das 17 Millionen Euro gekostet hat, an der Schlossstraße gelegt. Die historische Synagoge Potsdams war in der Pogromnacht 1938 stark beschädigt, im Krieg zerbombt und 1957 abgerissen worden. Die Potsdamer Gemeinden haben bisher Provisorien genutzt.

Trägerin des neuen Synagogenzentrums ist zunächst für drei Jahre die ZWST. Ihr gelang es in den zurückliegenden zwei Jahren, mit den sich beteiligenden jüdischen Gemeinden ein kooperatives Nutzungskonzept zu erarbeiten, das von der Jüdischen Gemeinde Stadt Potsdam, der Synagogengemeinde Potsdam, der Gemeinde Adass Israel und der Gemeinde Kehilat Israel mitgetragen und umgesetzt wird. Das Synagogenzentrum Potsdam mit religiösen, sozialen und kulturellen Angeboten der vier Gemeinden soll eine Anlaufstelle für alle in Potsdam und Brandenburg lebenden Jüdinnen und Juden sein.

Potsdam war zuletzt die einzige Landeshauptstadt in Deutschland ohne eine Synagoge. Dort gab es bislang nur ein kleines jüdisches Bethaus in der Universität. Die Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde Brandenburg signalisierte kein Interesse, sich am Nutzungskonzept zu beteiligen.

Als die Feier am vergangenen Donnerstag schon zu Ende ist und die Gäste abgeholt werden, stehen immer noch Interessierte hinter der Absperrung. »Wir wollen doch sehen, wer alles so da war«, sagt ein Potsdamer.

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