Was tun, wenn die Mehrheitsgesellschaft Weihnachten feiert? Die jüdischen Gemeinden finden auf diese Frage recht unterschiedliche Antworten. Die einen schließen gleich für 14 Tage, andere bieten ihren Mitgliedern einen Extraservice. Und in wiederum anderen ist »alles wie immer«. Das behauptet jedenfalls Leonid Bychovski von der Jüdischen Gemeinde Heidelberg. »Wir haben den ganz normalen Ablauf«, beschreibt der Verwaltungsmitarbeiter. »Zu Schabbat gibt es am Freitag und am Samstag Gottesdienste, der Unterricht findet auch wie immer statt, alles funktioniert wie immer. Für uns ist eben Alltag.«
In Oldenburg wird dagegen am 24. »der Kabbalat Schabbat-Gottesdienst gehalten, anschließend machen wir ein wunderschönes Essen, für alle, die kommen«, erzählt Sara-Ruth Schumann. In diesem Jahr böte sich das einfach an. »Auch, damit unsere Leute nicht zu Hause sitzen und denken, dass alle anderen es gemütlich haben und nur sie allein sind. Der Vorschlag kam übrigens von unserer neuen Rabbinerin.« Denn in der Halbjahrsplanung sie für diesen Freitag kein Gottesdienst vorgesehen gewesen.
Heimlichkeiten Weiß die Vorsitzende eigentlich, ob nicht in den Wohnzimmern mancher Zuwandererfamilien Weihnachtsbäume stehen? »Ich bin nicht die Polizei und prüfe das nich nach, allein schon aus Respekt vor der anderen Religion«, sagt Schumann energisch. »Es sind ja nicht alle Familien durchgängig jüdisch, manche haben eben nichtjüdische Ehepartner, und ich finde, auch die müssen das Recht haben, ihre Feste zu feiern. Auch wenn ich weiß, dass diese Haltung bei manchem auf großem Widerstand stößt.« Umgekehrt »laden wir am 24. auch die nichtjüdischen Ehepartner ein«, am russisch-israelisch-deutschen Essen mit mehreren Gängen teilzuhaben. Ob wirklich, wie von Schumann erwartet, rund 40 Leute kommen, wird wohl vom Wetter abhängen. »Aktuell sind schon wieder 15 Zentimeter Neuschnee gefallen«, seufzt die 72-Jährige.
In der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold findet dagegen weder an Heiligabend noch am 1. Weihnachtstag ein Gottesdienst statt. »Wir sind mit 115 Mitgliedern eine sehr kleine Gemeinde«, sagt der Vorsitzende Harry Rothe. »Kantor Jakov Zelewitsch teilen wir uns mit Paderborn und Minden, so dass wir gar nicht in der Lage sind, einen wöchentlichen Gottesdienst abzuhalten.«
Kapazität Und nach dem eben erst veranstalteten großen Chanukkafest würde man eine weitere Großveranstaltung kaum bewältigen. 90 Gemeindemitglieder feierten in der neuen Synagoge. Diese Anzahl ist vor allem auch deswegen beeindruckend, weil die Anfahrtswege in Ostwestfalen weit sind und das Nahverkehrssystem nicht so gut ausgebaut ist wie im benachbarten Ruhrgebiet. »60 Prozent unserer Mitglieder sind älter als 60 Jahre, viele haben kein Fahrzeug, wohnen bis zu 30 Kilometer entfernt«, erklärt Rothe. Zu den Gottesdiensten und zu Veranstaltungen stellt die Gemeinde deswegen Busse, die die Mitglieder in Detmold und Bielefeld abholen. Das klingt nach einer teuren Lösung, aber Rothe sagt gelassen: »Wir wirtschaften gut, bisher haben wir noch keine Schulden.« Man habe auch früher immer schon pendeln müssen. Denn lange hatte die Gemeinde nur einen kleinen Betraum. An den Hohen Feiertagen besuchte man die Synagoge in Minden. Rothe freut schon auf das nächste Fest in der eigenen Synagoge: Zu Purim werden wieder 90 Gemeindemitglieder erwartet.
»Für viele jüdische Zuwanderer gehört ein Weihnachtsbaum dazu«, hat Monika Bunk von der Jüdischen Gemeinde Marburg festgestellt. Um auch »unsere Traditionen rüberzubringen«, gab es auch in diesem Jahr zu Chanukka kleinere Veranstaltungen, vor allem für Kinder – »wie wir es schon den ganzen Jahre so halten, wenn das Lichterfest so früh liegt«.
Gemeinsam Dann wird gebastelt oder Latkes gebacken, dazu gibt es Lesungen von Chanukka-Geschichten und Spiele. »Es sollen nicht die Riesenevents sein, sondern einfach nur Zusammenkommen, dass man gemeinsam etwas tut«, erläutert Bunk.
Während der christlichen Festtage werden in Marburg weder Gottesdienste noch Veranstaltungen stattfinden, die Gemeinde macht bis zum 3. Januar Ferien. »Der Vorsitzende ist nicht da, ich bin verreist, unser Kantor muss seine erkrankte Mutter pflegen, weil die nichtjüdischen Pflegekräfte, natürlich Weihnachten gern frei haben wollen«, erklärt Monika Bunk. Einige der anderen ehrenamtlichen Helfer flüchten in der Weihnachtszeit vor der Kälte: »Ich fliege ins Warme«, freut sich Bunk. Stört sie eigentlich die Weihnachtsdekoration, die überall zu sehen ist? »Naja, das ständige Geblinke, finde ich schon nervend, aber andererseits sind die vielen Lichter und der weiße Schnee in dieser dunklen Jahreszeit doch sehr schön anzusehen.«