Im nordrhein-westfälischen Detmold soll ein geschütztes Denkmal dem Erdboden gleichgemacht werden. So will es zumindest der Eigentümer und Rechtsanwalt Hendrik Schnelle.
Das Problem dabei: Forscher hielten 2011 in einem wissenschaftlichen Gutachten fest, dass es sich bei dem schon damals unter Denkmalschutz stehenden Objekt nicht – wie zuvor gedacht – um ein historisches Gartenhäuschen handelt, sondern um eine 1633 errichtete Synagoge, die mehr als 100 Jahre der Jüdischen Gemeinde diente. Sie gilt seither als das älteste jüdische Bethaus Norddeutschlands.
»vermutungen« Für Schnelle, dem vorgeworfen wird, der rechten Szene nahezustehen, sind dies nur »Vermutungen«, wie er der Jüdischen Allgemeinen auf Anfrage mitteilte. An seinen Abrissplänen wolle er nach wie vor festhalten und die Synagoge durch Parkplätze ersetzen.
Ein Brief aus der vergangenen Woche ließ den seit Jahren anhaltenden Konflikt erneut aufbrechen. Volker Beck, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft (DIG), forderte darin die Landesregierung Nordrhein-Westfalens zum sofortigen Einschreiten auf und eine Enteignung des Gebäudes einzuleiten. Ob Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dem folgt, bleibt abzuwarten. Er erklärte bislang, dass der Sachverhalt aktuell geprüft wird.
Ein Brief aus der vergangenen Woche ließ den seit Jahren anhaltenden Konflikt erneut aufbrechen.
Volker Beck unterstellte Schnelle zudem, mit rechten Ideologien zu sympathisieren, nicht zuletzt auch, weil er in der Vergangenheit mehreren Rechtsradikalen juristischen Beistand leistete. Noch deutlichere Worte fand Matitjahu Kellig, Vertreter der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold, im Gespräch mit dieser Zeitung. Für ihn ist schon lange klar: »Das ist ein Nazi!« Er bezog sich dabei auf ein Gerichtsverfahren aus dem Jahr 2002, in dem Schnelle wegen Volksverhetzung in zweiter Instanz verurteilt wurde. Das Landgericht Detmold bestätigte dies auf Anfrage.
vorwürfe Schnelle beschreibt diese Vorwürfe als »besonders grobe Unverschämtheit«. Jahrelang habe er »alle möglichen Fördergelder für die Sanierung des Denkmals beantragt, aber bedauerlicherweise keine einzige Zusage erhalten«. Schnelle stellte allerdings schon seit 2010 Abrissanträge und klagte wiederholt gegen deren Ablehnung. Wie ernst er es tatsächlich mit einer Sanierung meinte, wird wohl nur er beantworten können. Welche Fördergelder er wo konkret beantragt habe, beantwortete Schnelle auf Nachfrage nicht.
Aus dem Büro des Detmolder Bürgermeisters hieß es auf Anfrage: »Etwaig genannte Förderanträge wurden nicht bei der Stadt Detmold beantragt und konnten somit auch nicht von städtischer Seite abgelehnt werden.« Die Detmolder Bezirksregierung erklärte, dass sie nun prüfen wird, ob und welche Anträge eingegangen sind.
»Das ist purer Antisemitismus«, sagt die Jüdische Gemeinde auf Anfrage.
Unabhängig davon stellte ein Vertreter aber klar: »Wir sind zu Gesprächen bereit. Ein Antrag steht allerdings immer am Ende eines langen Prozesses. Dazu werden wir Herrn Schnelle in den kommenden Tagen einladen. Das Ziel ist es, gemeinsam nach einem Förderzugang zu suchen.« Klar sei auch, dass die Jüdische Gemeinde in diesen Prozess mit einbezogen werde.
empörung Für Empörung sorgte Schnelle zudem mit dem Vorschlag einer Versetzung des Denkmals. »Falls es Ihnen gelingt, die Stadt Detmold für die Versetzung des Denkmals an einen anderen Standort zu gewinnen, können Sie das Gebäude hier gern abholen lassen«, erklärte Schnelle in einem Schreiben, das er an Matitjahu Kellig, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold, richtete.
Darin äußerte er sich zunächst auch positiv gegenüber der Idee, das Denkmal in ein Museum oder Ähnliches zu verwandeln, mit der Bedingung, dass die Jüdische Gemeinde das Gebäude mietet und die Sanierungskosten in Höhe von 400.000 Euro übernehme.
Für Kellig ist ein solches Verhalten »purer Antisemitismus« und die Idee, die Synagoge von ihrem historischen Platz zu entfernen, die tatsächliche Unverschämtheit. »Das Bethaus steht auf diesem Grund und Boden. Das ist jüdische Geschichte. Und es ist auch deutsche und Detmolder Geschichte. Dass jemand nur denken kann, dass so etwas infrage kommt, ist bodenlos.«
Denkmalschutz Die Synagoge an ihrem historischen Platz bewahren will auch die Architektin Katrin Linneweber von der Unteren Denkmalbehörde in Nordrhein-Westfalen. Seit Jahren habe sie ein »sehr, sehr starkes Auge« darauf. Zudem bezeugte sie schon früh, wie Hendrik Schnelle mit der wissenschaftlichen Erkenntnis, wonach das Gebäude eine ehemalige Synagoge ist, umgeht. Denn nachdem Wissenschaftler dies im Jahr 2011 festgestellt hatten, schien er anderer Auffassung zu sein. Es »folgte ein Klageverfahren gegen die neue Denkmalwertbegründung. Dieses hat der Eigentümer als Strafverteidiger selbst vertreten, 2015 aber verloren«, so Linneweber.
Immer wieder klagte Schnelle gegen die Ablehnung seiner Abrissanträge.
Daraufhin habe Schnelle einen der besagten Anträge auf Förderung gestellt, doch der Wirbel ging offenbar anders als erhofft weiter: »Als wir dann Instandsetzungsverfügungen losgeschickt haben, hat er dagegen geklagt«, gefolgt von wiederholten Abrissanträgen und Klagen gegen deren Absagen, so die Architektin. Auch das wiederholte Angebot seitens der Stadt Detmold, dem Eigentümer das Gebäude abzukaufen, sei stets abgelehnt worden.
Linneweber erlebt aber nicht nur den seit Jahren andauernden Rechtsstreit, auch das Haus kennt sie inzwischen sehr gut. In regelmäßigen Abständen ist sie unter Rechtsbeistand vor Ort und kommt zu dem Fazit: »Das Gebäude ist in einem sehr schlechten Zustand. Zurzeit ist es aber so notgesichert, auch durch Baustützen, dass es nicht einfallen könnte.« Mehr tun, als regelmäßige Kontrollen durchzuführen, könne sie allerdings auch nicht.
Nutzungskonzept Bis heute dauert dieser Rechtsstreit an. Doch für den Fall, dass die Synagoge irgendwann tatsächlich gerettet werden sollte, schlägt nicht nur Volker Beck ein »angemessenes Nutzungskonzept« vor. Auch Matitjahu Kellig hofft, dass die Synagoge zu einem Ort der Begegnung und Erinnerung wird.
Doch ob sie abgerissen oder ihre Geschichte doch noch zum Sprechen kommen wird, dürfte nicht nur von juristischen Entscheidungen abhängen.
Die Detmolder Stadtgesellschaft muss sich fragen, »wie sie weiterhin mit der jüdischen Geschichte ihrer Stadt umgehen will«, sagt Zwi Rappoport.
»Meines Erachtens muss sich die Detmolder Stadtgesellschaft fragen, wie sie weiterhin mit der jüdischen Geschichte ihrer Stadt umgehen will«, sagt Zwi Rappoport, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe.
Aufgerufen fühlt sich in dieser Angelegenheit die Historikerin Gudrun Mitschke-Buchholz vom Stadtarchiv Detmold. Seit 30 Jahren erforscht sie die jüdischen Spuren der Stadt. »Allen Besuchern, die Stadtrundgänge zur jüdischen Geschichte mit mir machen, zeige ich natürlich die Synagoge.«
ausstellung Auf der Basis ihrer Forschungen konzipierte sie zudem eine Ausstellung direkt gegenüber. An der dortigen Stadtmauer erfahren Spaziergänger nun auf neun Bannern von dem bedrohten Denkmal, aber auch anderen Orten jüdischer Geschichte in Detmold. Unterstützung bekam sie dafür von einer Schülergruppe, die in Vorbereitung auf einen Israel-Austausch die zerfallene Synagoge besuchte und von deren Zustand entsetzt war. Wie viele sich von den etwa 75.000 Detmoldern zu dem Fall noch positionieren werden, wird sich zeigen. Viel Zeit bleibt ihnen aber nicht mehr.
Versinnbildlicht wird dies durch das Gebäude selbst, vor allem durch seine Fenster, die inzwischen mit Holzbrettern vernagelt wurden. In die jüdische Geschichte Detmolds fällt damit immer weniger Licht.