Lesen

Ein Buch für Marisha

Gabriele Hannemann schrieb die Geschichte von Malka Rosenthal auf. Foto: Joachim Welding

Das kleine Gefängnis in der Scheune ist Marishas Ort der Zuflucht, der Sicherheit. Nur eine Stunde am Tag darf das Mädchen das Fass verlassen, alles andere ist zu gefährlich. Von einer polnischen Familie in jener Scheune versteckt, überlebt Marisha den Holocaust und wandert 1948 nach Israel aus. Dort nimmt sie den Namen Malka Rosenthal an und löst über 70 Jahre später ein Versprechen ihrer Mutter ein, die im Angesicht ihres eigenen Todes einem deutschen Wehrmachtssoldaten entgegenschreit: »Meine Tochter wird leben – und sie wird es der ganzen Welt erzählen!«

Die Lehrerin und Autorin Gabriele Hannemann aus Schleswig-Holstein hat Malka Rosenthal eine Stimme geliehen und die Geschichte der kleinen Marisha aufgeschrieben – so einfühlsam, dass Grundschulkinder sie nachvollziehen können, ohne selbst traumatisiert zu werden.

»Schon 2002 hatten wir Malka nach Norddeutschland eingeladen, damit sie in Schulen ihre Erlebnisse erzählen konnte«, berichtet die Autorin, die den Verein »Yad Ruth« in Hamburg mitgegründet hat. Er unterstützt bedürftige jüdische Holocaust-Überlebende in Israel und Osteuropa. Seit 20 Jahren arbeitet die Lehrerin zudem mit Zeitzeugen in Schulen, damit junge Deutsche direkt von Überlebenden Informationen bekommen können. Für ihr Engagement erhielt Hannemann 2013 das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Vor einiger Zeit führte sie Interviews mit Malka Rosenthal, um deren Geschichte für andere Kinder aufzuschreiben. Ihr Buch Marisha. Das Mädchen aus dem Fass erschien 2015 im Ariella-Verlag. »Es gab bereits Veröffentlichungen über Malkas Leben, doch die sind bisher kaum wahrgenommen worden.« Außerdem hat Yad Vashem einen Film mit und über Malka Rosenthal gedreht, der als DVD erhältlich ist.

Kindgerecht Das Schicksal des kleinen Mädchens Marisha lässt niemanden kalt, insbesondere die Viertklässler in Grundschulen nicht: »Die Neun- und Zehnjährigen sind sehr offen für das Thema – sie sind meist wissbegierig und wollen mehr über den Holocaust erfahren«, hat die Lehrerin bei ihren Lesungen in Schleswig-Holstein festgestellt.

Das Leben der etwa gleichaltrigen Marisha können sie gut nachvollziehen: Das 1934 geborene Mädchen erlebt in ihrer polnischen Heimatstadt eine glückliche Kindheit. Der Vater ist Kaufmann, die Mutter Lehrerin. Zu Hause werden mehrere Sprachen gesprochen, darunter auch Jiddisch. Als die Wehrmacht kommt, ist Marisha sieben Jahre alt. Die vierköpfige Familie muss im Ghetto eine Bleibe finden. Dann erlebt Marisha, wie deutsche Soldaten vor dem Haus zwei Kinder, darunter auch ihren Bruder, erschießen. Die Familie entschließt sich zur Flucht.

Wenig später opfert sich die Mutter vor einer Scheune und stellt sich Soldaten entgegen, während der Vater mit der Tochter fliehen kann. Sie leben monatelang in Wäldern, ernähren sich von Fischen, Beeren und Pilzen. Im Winter brauchen sie einen Unterschlupf. Eine Bauernfamilie ist bereit, Marisha zu verstecken, sie muss sich vom Vater trennen. Das Fass in der Scheune wird von nun an ihre Rettung sein.

Gerechte unter den Völkern Nach Ende des Krieges bleibt sie eine Zeitlang bei der Retterfamilie Kott, die später als »Gerechte unter den Völkern« geehrt wird. Mit dem Schiff »Exodus« versucht sie vergeblich, nach Israel zu gelangen, erst im zweiten Anlauf gelingt es nach einer Odyssee durch Europa. Bei Tante Lea in Haifa kommt sie 1948 an. Sie gründet eine Familie, wird Grundschullehrerin und bekommt zwei Kinder.

»Nur in Israel konnte ich ein Mensch sein«, erzählt Malka Rosenthal nach der Lesung über eine Skype-Verbindung. Das Vertrauen zu den Menschen habe sie nie verloren, weil viele für sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten. Die Hoffnung habe Malka Rosenthal als Kind getragen, denn der Vater habe ihr immer wieder gesagt: Am Ende wird alles gut! Er hat die Schoa nicht überlebt. Doch die Geschichte von Marisha wird weiterleben und in die nächste Generation getragen.

Gabriele Hannemann: »Marisha. Das Mädchen aus dem Fass«. Ariella, Berlin 2015, 80 S., 18 Illustrationen, 9 Abb., ab 10 Jahre, 12,95 €

Soziale Medien

In 280 Zeichen

Warum sind Rabbinerinnen und Rabbiner auf X, Instagram oder Facebook – und warum nicht? Wir haben einige gefragt

von Katrin Richter  20.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Debatte

Darmstadt: Jetzt meldet sich der Pfarrer der Michaelsgemeinde zu Wort - und spricht Klartext

Evangelische Gemeinde erwägt Anzeige wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024

Hessen

Nach Judenhass-Eklat auf »Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt«: Landeskirche untersagt Pfarrer Amtsausübung

Nach dem Eklat um israelfeindliche Symbole auf einem Weihnachtsmarkt einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt greift die Landeskirche nun auch zu dienstrechtlichen Maßnahmen

 19.12.2024

Ehrung

Verdiente Würdigung

Auf der Veranstaltung »Drei Tage für uns« wurde der Rechtsanwalt Christoph Rückel ausgezeichnet

von Luis Gruhler  19.12.2024

Chabad

Einweihung des größten Chanukka-Leuchters Europas in Berlin

Der Leuchter wird auf dem Pariser Platz in Berlin-Mitte vor dem Brandenburger Tor aufgebaut

 18.12.2024

Berlin

Neue Töne

Beim Louis Lewandowski Festival erklingen in diesem Jahr erstmals nur orientalische Melodien

von Christine Schmitt  18.12.2024

»Coffee with a Jew«

Auf ein Käffchen

Das Münchener Projekt ist ein großer Erfolg - und wird nun fortgesetzt

von Luis Gruhler  18.12.2024

Wirtschaft

»Weichen gestellt«

Jacques Weller über ein von der Industrie- und Handelskammer initiiertes Netzwerktreffen mit jüdischen Unternehmern

von Ralf Balke  17.12.2024