»Hallo, könnt ihr mich hören?« »Du musst das Mikro anschalten!« »Bin ich überhaupt zu sehen?« Diese Fragen dürften dieser Tage wohl einige der mit Abstand am häufigsten gehörten Sätze sein, wenn man mit Familie oder Freunden in Israel Kontakt aufnehmen möchte.
Und weil es derzeit so gut wie keine Flüge zwischen Deutschland und Tel Aviv gibt und niemand mit Gewissheit sagen kann, wann der normale Linienbetrieb wiederaufgenommen wird, bleibt nur eines: die Kommunikation mithilfe von WhatsApp und Skype oder – wenn mehr als zwei Personen daran beteiligt sein sollen – den für alle zugänglichen Videokonferenzplattformen Zoom und Jiltsi.
Die Technik funktioniert manchmal nicht ganz reibungslos, aber das macht nichts.
Sie sind die digitalen »Corona-Helden«, weil sie genau das versprechen, was derzeit alle wollen, und zwar eine stabile und leicht zu bedienende Technik, um mit anderen in Verbindung zu bleiben. Gerade zu Pessach wurden sie ausgiebig genutzt – auch wenn das nicht immer ganz reibungslos funktionierte.
SederAbend »Am Sederabend hat die ganze Familie versucht, sich über Zoom zu treffen und so wenigstens virtuell zusammen zu sein«, berichtet Andrea Livnat. »Also zumindest haben wir es versucht«, erzählt die Historikerin und leitende Redakteurin des jüdischen Internetdienstes Hagalil.com.
Sie lebt gemeinsam mit ihrem Mann und drei Söhnen in Tel Aviv. »Meine Mutter in München, meine Schwiegermutter nebenan im Haus sowie ein Schwager in Givatayim und meine gute Freundin Noa in Ramat Aviv konnten sich alle sehen und miteinander sprechen. Nur wir waren einfach nicht zu hören. Für niemanden.«
Nach mehreren Versuchen haben sie es dann aufgegeben. »Schade eigentlich«, sagt Andrea Livnat. »Denn wenn ich mich mit Freundinnen aus Deutschland auf Zoom treffe, wo wir eine Dreiergruppe gebildet haben, funktioniert das eigentlich recht gut.«
Der Enkel mailte seiner Oma vor dem Pessach-Seder einen Link, damit sie miteinander zoomen konnten.
Dabei ist der Umgang mit den digitalen Kommunikationstechniken keineswegs abhängig vom Alter, wie Eva Ehrlich, die Mutter von Andrea Livnat, bestätigt. »Mein Enkel Orian hat mir vor dem Seder den Zoom-Link zugemailt, und ich hatte mich gefreut, wenigstens auf dem Bildschirm mit dabei zu sein, wenn ich schon nicht nach Israel fliegen konnte.«
TEchnik Dann streikte die Technik. »Erst einmal haben wir versucht, eine Verbindung herzustellen, bei der sich alle nicht nur sehen, sondern sie auch zu hören waren. Natürlich war das mit vielen Diskussionen und guten Ratschlägen verbunden.« Aber irgendwann war Feierabend. »Als Noas kleine Tochter Romy dann mehrfach lauthals anmerkte, dass sie jetzt Hunger hat, haben wir es aufgegeben, und jeder machte seinen Seder bei sich.«
Eva Ehrlich nutzt Zoom ansonsten schon seit dem Lockdown aufgrund der Pandemie recht ausgiebig, um beispielsweise an den Online-Kabbalat-Schabbat-Angeboten der liberalen Gemeinde in Prag teilzunehmen oder mit den anderen Mitgliedern von Beit Shalom, der liberalen jüdischen Gemeinde in München, in Verbindung zu bleiben.
»Und mit meiner Tochter Andrea und den Enkeln in Tel Aviv spreche ich manchmal sogar mehrmals am Tag via WhatsApp. Das funktioniert eigentlich ganz prima.«
Alte Freunde Offensichtlich bewirken die Zugriffsmöglichkeiten auf WhatsApp, Zoom & Co. in Zeiten von Corona noch etwas ganz anderes.
»Personen aus Deutschland, von denen ich eine Ewigkeit nichts gehört habe, tauchen nach Jahrzehnten aus dem Nichts auf, melden sich und fragen, wie es einem geht«, hat Dani Atoun in den vergangenen Wochen beobachtet. Der 56-Jährige ist Sales Manager in Herzlija. »Ich habe mich wahnsinnig darüber gefreut, dass sich meine frühere Freundin Annie aus Düsseldorf bei mir gemeldet hatte und wir jetzt nach Jahrzehnten Pause erneut regelmäßigen Kontakt haben.«
Plötzlich melden sich Freunde, von denen man jahrelang nichts gehört hat.
Dabei sind es nicht nur die digitalen Kommunikationsmittel, die manchen dazu bringen, eine vor langer Zeit abgerissene Verbindung wieder aufzunehmen. »Sie machen es selbstverständlich einfacher, den Entschluss auch spontan umzusetzen«, glaubt Dani Atoun.
»Zudem haben viele durch den Lockdown mehr Zeit zur Verfügung als sonst. Und das scheint einige wohl ins Grübeln darüber gebracht zu haben, wen man auf einmal vermisst – selbst wenn man mit der Person lange Zeit keine Kontakte mehr hatte.«
Telefonieren Überraschenderweise hat das gute alte Telefon bei manchen aber noch nicht ganz ausgedient. »Meine Eltern im Schwabenland rufen mich immer noch mit der gleichen Technik wie vor über zehn Jahren an«, erzählt Oliver Vrankovic aus Ramat Gan. Er selbst arbeitet in einem Elternheim in Israel, was derzeit eine Herausforderung ist und viel Stress bedeutet.
»Genau deshalb überlege ich gerade, zusammen mit einigen alten Kumpels, die ich noch aus meiner Zeit im Jugendzentrum Komma in Esslingen kenne, mittels Zoom eine Art Online-Kneipe ins Leben zu rufen.« Auf diese Weise werden Freundschaften nicht nur aufrechterhalten. Man kann sich auch wunderbar ablenken.
Oliver Vrankovic begleitete bisher Reisegruppen durch das Land, jetzt hat er ein Ratespiel für Israel-Kenner initiiert.
»Das ist unser Plan. Einfach gemeinsam vor dem Rechner sitzen, vielleicht etwas trinken und ungezwungen zu politischen und kulturellen Themen reden, die – wenn möglich – nichts mit Corona zu tun haben.«
Die digitalen Plattformen bieten aber noch ganz andere Möglichkeiten, kreativ und unterhaltsam in Verbindung zu bleiben. »Oft begleite ich ja viele Reisegruppen durch Israel. Und deshalb habe ich auf Facebook so eine Art Ratespiel für Israel-Kenner initiiert. Zu sehen sind zahlreiche Fotos von den verschiedensten Orten, und wer will, kann mitmachen und sagen, wo genau diese Bilder aufgenommen wurden.« Vielleicht wäre Jom Haazmaut ja eine gute Gelegenheit, dieses Spiel fortzusetzen.