In nur 16 Stunden kamen etwa 20.000 Euro zusammen. »Mit dieser Spende konnten wir sofort eine Armee-Einheit in Israel unterstützen«, sagt Lionel Reich. Einen Tag nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel wollte sich der 25-Jährige bei seinem Freund Yaacov erkundigen, wie es ihm geht. Denn der ist jetzt Reservist.
Lionel hatte ihn jeden Sommer auf Machane wiedergesehen, wo der Israeli bei der Sicherheit eingesetzt war. »Fast jeder jüngere Machane-Teilnehmer hat schon mit ihm gesprochen, denn er war viele Jahre bei uns im Einsatz«, erzählt Lionel. Noch am selben Tag schrieb Yaacov zurück, dass er, als das Ausmaß der Terrorangriffe auf Israel bekannt wurde, seine Uniform angezogen habe und zu seiner Einheit gefahren sei.
Weil Israel nicht darauf eingestellt war, dass plötzlich 300.000 Reservisten eingezogen werden mussten, fehlte es an Equipment. Für Reservisten wie Yaacov bedeutete das: Nicht jeder fand eine optimale Ausrüstung vor, als er in seiner Einheit ankam.
Spendenaktion für die Soldaten
Lionel wusste sofort, dass er eine Spendenaktion ins Leben rufen möchte – und fand umgehend Mitstreiter, die seinem Aufruf folgten und die Nachricht teilten. Als nach 16 Stunden die avisierte Summe bereits zusammengekommen war, waren alle überrascht und bewegt. Das Ziel, unbürokratisch und schnell zu helfen, war erreicht, und von diesem Geld wurde Material für das israelische Militär eingekauft.
»Alle benötigen das Gleiche«, sagt Lionel, der derzeit sein Rechtsreferendariat in Berlin absolviert. Beispielsweise Keramikplatten, die man in die Weste steckt, um sie kugelsicher zu machen. Dieses Material sei leichter und somit bequemer als die schweren ursprünglichen Westen.
Schnell sprach sich auch in Israel herum, dass in Deutschland Gelder gesammelt werden – woraufhin sich vier weitere Einheiten bei Lionel mit der Bitte meldeten, sie ebenfalls bei der Materialbeschaffung zu unterstützen. Das Equipment sei mittlerweile in Israel eingetroffen, sagt der Referendar.
Koordiniert wurde die Hilfe von einer vierköpfigen Gruppe, die in den ersten Kriegstagen fast ununterbrochen am Computer saß. Auch einzelne Menschen baten um Hilfe und Ausrüstung für Einheiten, wie beispielsweise eine Hamburgerin, deren Mann bei der Reserve ist. »Nun sind die eigenen finanziellen Ressourcen unserer Spender erschöpft«, sagt Lionel. Zudem seien 20.000 Euro der höchste Betrag, der in Deutschland an Spenden gesammelt werden kann, ohne Steuern zahlen zu müssen.
Wenn Lionels Mitstreiter und er darüber hinausgehen wollen würden, dann müssten sie erst einen Verein gründen. Es würde allerdings etwa acht Wochen dauern, bis alle Formalitäten geklärt wären. Dazu muss es – so ganz akut – nicht mehr kommen, denn Israel werde inzwischen von anderen Ländern mit Material versorgt, erzählt Lionel. »Wir werden die Spendenkampagne den bewährten und bekannten Organisationen überlassen«, kündigt er an.
Vermisstenplakate aufhängen und Angehörige von Geiseln vernetzen
Deshalb schwebe dem angehenden Juristen nun etwas anderes vor: Vermisstenplakate aufhängen, Aktionen vor Ort planen, Angehörige von Geiseln auch in Deutschland vernetzen und sie mit den Medien in Kontakt bringen. »Wir sind flexibel und werden schauen, wo wir helfen können«, sagt der gebürtige Kölner, der in Hamburg, Michigan und in Tel Aviv studiert hat. »Mein Bruder lebt in Israel – und ich habe viele Freunde und Bekannte dort.« Wie zum Beispiel Yaacov.
Der Soldat berichtet Lionel immer wieder davon, dass seine Truppe und er die Moral hochhalten wollen. Was den jungen Mann sehr rühre, sei die Hilfsbereitschaft der Deutschen und der Israelis. Leute kämen mit Sushi und Gegrilltem für die Soldaten vorbei. Musiker lenkten sie mit kleinen Konzerten ab. Und sie feierten gemeinsam den Schabbat.
Als Yuval Rozenberg hörte, dass es nicht genügend Schutzwesten gibt und es an vielen weiteren Dingen fehlt, beschloss der Frankfurter ebenfalls, sofort zu helfen. Von Anfang an mit dabei waren sein Freund Lenny Lemler und drei weitere junge Männer, die früher in Frankfurt lebten und nun in Israel sind. »Wenn ihr die Sachen finanzieren könnt, dann kaufen wir hier alles ein und bringen sie zu den Bedürftigen. Wir kümmern uns um alles vor Ort!«, sagten sie.
Am 9. Oktober gab es dann den ersten Telefonanruf, in dem um Gelder geworben werden sollte – 60 bis 70 Interessierte waren dabei. Ein paar Tausend Euro gingen unmittelbar auf das Spendenkonto ein. Mittlerweile bestehe die Gruppe aus etwa 200 Mitgliedern aus Frankfurt, München, Berlin, London, Barcelona und Buenos Aires.
Später erfuhren die jungen Leute, dass auch Mineralwasser in Plastikflaschen dringend benötigt werde. Allerdings, so stellte sich schnell heraus, war das schwer zu bekommen. Jeder fragte in seinem Netzwerk nach, und prompt meldete sich eine Firma bei ihnen, die Wasserflaschen vertreibt. 6000 Flaschen mit eineinhalb Litern Wasser wurden noch am selben Tag in den Süden Israels geliefert.
»Wir helfen von privat für privat«, sagt Rozenberg. Ihre Initiative nennen die Spendensammler »Frankfurter helfen« – derzeit gibt es zwar noch keinen Internetauftritt, aber mittlerweile haben sie sich entschieden, einen Verein zu gründen, damit sie Quittungen ausstellen, eine höhere Summe an Spenden annehmen und weitermachen können.
Auch Keren Hayesod engagiert sich seit dem 7. Oktober intensiv
Auch Keren Hayesod engagiert sich seit dem 7. Oktober intensiv – mit humanitärer Hilfe für diejenigen, die von den Terroranschlägen betroffen sind. »Wir leisten dringend benötigte Unterstützung für vertriebene Familien, medizinische Versorgung und den Wiederaufbau von Gemeinschaften in Israel«, sagt Rafi Heumann, Gesandter von Keren Hayesod für Berlin und Norddeutschland.
In den vergangenen Tagen hätte es eine große Spendenbereitschaft gegeben. Es melden sich viele neue Unterstützer, die helfen wollen. »Als Israeli freut mich das sehr, weil eine Spende nicht nur eine echte Hilfe ist, sondern auch Solidarität mit Israel zeigt, und das ist keinesfalls weniger wichtig.«
Dies bestätigt auch Aron Schuster, Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). »Wir erleben gerade eine überwältigende Spendenbereitschaft, die uns ein bisschen Zuversicht schenkt«, sagt Schuster. Andere Wohlfahrtsverbände, Stiftungen und Organisationen haben den Link zur Spendenkampagne für Israel geteilt.
Zwei Themen stehen bei der ZWST im Mittelpunkt: die psychosoziale Erstversorgung und die Unterbringung von Evakuierten. Mehr als 100.000 Menschen mussten ihre Heimatorte verlassen, ganze Kibbuzim wurden evakuiert, darunter auch ein Kibbuz, der von der Hamas überfallen wurde. »Für diese Menschen ist jede Form von Unterstützung wichtig«, so Schuster.
Mehr Infos unter zwst.org/de/jetzt-spenden und keren-hayesod.de/projekte/notfallkampagne/oktober-23/