Die Münchner Volkshochschule widmete ihren jüngsten Semesterschwerpunkt »Die Umkehr des Denkens. 300 Jahre Immanuel Kant« dem Generationen von Denkern inspirierenden Königsberger Philosophen. Ein einziger Beitrag, neben vielen anderen Facetten des Themenangebots, widmete sich der schmalen Nahtstelle zum Judentum. Dafür wurde als Referent Daniel Krochmalnik gewonnen.
Der Religionsgelehrte, der im Laufe seiner akademischen Laufbahn an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und an der Universität Potsdam lehrte, kehrte dafür in seine Geburtsstadt München zurück. Zu einer angemessenen Einordnung nahm sich Krochmalnik gleich das »Dreigestirn der deutschen Aufklärung« vor, nämlich Moses Mendelssohn (1729–1786), Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) und Immanuel Kant (1724–1804).
Der Abend im Jüdischen Gemeindezentrum wurde von Nejma Tamoudi im Namen der MVHS-Programmdirektorin Susanne May eröffnet, die die Idee zu dieser Kooperation von Münchner Volkshochschule und dem Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern hatte. Sie stellte die Frage, warum man sich im 21. Jahrhundert noch mit drei Großmeistern der philosophischen Aufklärung, ihren Vorstellungen von Fortschritt und Freiheit, der »Erziehung des Menschengeschlechts«, wie es in einem Text von Lessing heißt, befassen solle.
Gegenmittel gegen Fake News und Alternative Fakten
So verschieden die drei Denker Tamoudi zufolge waren, so aktuell seien ihre Haltungen doch bis heute geblieben. Kants Forderung, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, Mendelssohns Plädoyer für religiöse Toleranz und Freundschaft und Lessings Humanitätsideal der Mitmenschlichkeit seien gute Gegenmittel gegen all die Fake News und Alternativen Fakten, mit denen man im aktuellen digitalen Zeitalter überflutet werde.
In der Zeit der Aufklärung ging es um Verbesserung, Erziehung, idealerweise um die »Vervollkommnung des Individuums, des Menschengeschlechts«, wie Daniel Krochmalnik in seinem Vortrag ausführte. Dabei gingen jüdische und christliche Gelehrte von unterschiedlichen Standpunkten aus. In den jüdischen Schriften gebe es kaum Stellen über das Jenseits. Nur der Schöpfer allein wisse wirklich Bescheid über die jenseitige Dimension.
In den Augen der Christen waren jüdisches Denken und Handeln auf die diesseitige Welt und damit die politische Zukunft des eigenen Volkes gerichtet. Das Christentum sah sich selbst dagegen als die Religion, die den Himmel öffne. Ausgeblendet blieb dabei gänzlich die rabbinische Vorstellung »Olam Haba«, der Hoffnung auf eine künftige Welt für jeden einzelnen Menschen. Mendelssohn war bezüglich des messianischen Glaubens reserviert. Zu verstörend hatte sich der Sabbatianismus, das Auftreten falscher Messiasse, auf die jüdische Gemeinschaft ausgewirkt.
Man kann Mendelssohn als Verbindungselement der drei Denker betrachten. Mit Lessing war er befreundet. 1777 reiste Mendelssohn sogar nach Königsberg, um eine Vorlesung Kants zu besuchen. Als Studenten sich über den Gast lustig machten, geleitete Kant, der – ganz Mensch seiner Zeit – mit Juden und Judentum nichts am Hut hatte, den namhaften Besucher ostentativ solidarisch aus dem Saal. Bemerkenswert bleibt, dass die Philosophie Kants bis heute populär ist dank jüdischer Gelehrter wie Marcus Herz, Salomon Maimon und Hermann Cohen.