Hugo Heymann stellte künstliche Perlen her. In den Jahren der Hyperinflation und dann der Weltwirtschaftskrise war dieses Massenprodukt eine beliebte Alternative zu Luxusprodukten wie echten Perlen. Rudolf Löb leitete die Mendelssohn-Bank und beriet als angesehener Finanzexperte Regierungen der Weimarer Republik.
Und Richard Semmel gehörte Anfang des vergangenen Jahrhunderts zu den Wegbereitern der boomenden Textilbranche in Berlin-Mitte. Alle drei Berliner Juden hinterließen Spuren in der deutschen Geschichte, die weit über ihr Wirken als deutsch-jüdische Unternehmer in Berlin hinausgehen.
Doch die drei Männer verband nicht nur ihre jüdische Herkunft, sondern auch ihre Nachbarschaft in Berlin-Dahlem: Das nördliche Ende des Karrees zwischen Pücklerstraße, Messelstraße, dem Dohnenstieg und der Max-Eyth-Straße bestand aus drei Grundstücken, die alle eine Seite zur Straßenfront der Pücklerstraße hatten. Das größte gehörte Rudolf Löb, daneben wohnte Hugo Heymann, der Nachbar am Ende dieser Reihe war der Wäschefabrikant Richard Semmel.
ZIELSCHEIBE Der 1877 im heutigen Wuppertal geborene Rudolf Löb wurde nach dem Ersten Weltkrieg rasch eine Legende in Berlin. 1896 begann er nach einer Banklehre seine Karriere bei der Privatbank Mendelssohn & Co., 1919 wurde er Teilhaber. Doch sein Einfluss reichte weit über die angesehene Mendelssohn-Bank hinaus: Er saß im Aufsichtsrat vieler weiterer Banken. Seine intimen Kenntnisse des Finanzwesens verliehen seinem Wort auch in der Politik Gewicht. Er beriet mehrere Reichsregierungen der immer wieder fiskalisch instabilen Weimarer Republik. Zudem wirkte der international hervorragend vernetzte Löb als Generalkonsul Belgiens.
Richard Semmel sah vom Verkauf seiner Villa an den Gewürzfabrikanten Kühne keine einzige Mark.
Löb war eine perfekte Zielscheibe für das von den Nationalsozialisten und ihren Apologeten geschaffene Feindbild des »internationalen Finanzjudentums«. 1935 wurde Löb das erste Nicht-Familienmitglied an der Spitze der Bank. 1938 wurde das Bankgeschäft zugunsten der Deutschen Bank »arisiert«. Der Finanzexperte bereitete daraufhin seine Flucht aus Deutschland vor. Doch viele Staaten hatten ihre Grenzen bereits geschlossen, insbesondere für Juden. Dabei spielte auch die Furcht vor einer Einwanderung in die Sozialsysteme eine Rolle – die meisten Staaten erteilten daher Einreisevisa erst dann, wenn die Flüchtlinge genug Vermögen nachweisen konnten, um ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.
Auswanderung Doch seit der Machtübernahme 1933 hatte das NS-Regime deutsche Juden systematisch ausgeplündert: Vor der Auswanderung musste Löb die sogenannte Judenvermögensabgabe und die »Reichsfluchtsteuer« zahlen. Letztere lag bei 25 Prozent des Vermögens.
Dies bedeutete keineswegs, dass das verbliebene Vermögen – Sachwerte und Geld – bei der Ausreise mitgenommen werden durften. Wertpapiere und Geld, auch aus den Verkaufserlösen von beispielsweise Liegenschaften und Kunstwerken, mussten auf ein Sperrkonto überwiesen werden. Ein Umtausch in Devisen musste von der Deutschen Golddiskontbank (DeGo) genehmigt werden. Diese staatliche Einrichtung erhob ein Disagio, einen Abschlag, der 1934 bei 20 Prozent lag und bis 1939 auf 96 Prozent angehoben wurde. Zumeist musste diese sogenannte DeGo-Abgabe auch auf weite Teile des Umzugsgutes bezahlt werden.
Rudolf Löb verlor bei der Ausreise fast sein gesamtes Vermögen. Er flüchtete über Argentinien in die USA, wo er 1966 in Boston in bescheidenen Verhältnissen starb.
Kurzum: Rudolf Löb verlor bei der Ausreise fast sein gesamtes Vermögen. Eine besondere Ironie lag darin, dass der Großteil seines Vermögens zugunsten des Deutschen Reichs an die Golddiskontbank floss. Dort war Löb selbst seit 1924 Aufsichtsrat gewesen. Seine prächtige Villa ging 1939 an den Fiskus, wohl zur Begleichung der »Reichsfluchtsteuer«. Im selben Jahr wurde sie von der SS-Wissenschaftseinrichtung »Ahnenerbe« weit unter Wert erworben. Aus dem vormaligen Arbeitszimmer Löbs wurden nun furchtbare Versuche an KZ-Häftlingen gesteuert, etwa die »Straßburger Schädelsammlung«. Löb war über Argentinien in die USA geflüchtet, wo er 1966 in Boston in bescheidenen Verhältnissen starb.
KUNSTSAMMLUNG Hugo Heymann war 1926 in die Nachbarschaft von Löb gezogen. Als sich 1932 abzeichnete, dass die NSDAP an die Macht kommen würde, verkaufte er seine Villa unter dem Druck drohender Verfolgung für einen sehr niedrigen Preis und suchte dann Käufer für seine restlichen Immobilien. Der Käufer seiner Villa war ein SS-naher Verleger. Dessen Erben verkauften das Haus nach dem Krieg. Seit 2004 ist es die Dienstwohnung des amtierenden Bundespräsidenten. An Hugo Heymanns Schicksal erinnert vor der Villa seit 2018 eine Gedenkstele. Sie dient nun als Vorbild für eine weitere Stele – für Heymanns Nachbarn Richard Semmel.
1875 als Sohn eines schlesischen Getreidehändlers geboren, war Richard Semmel Eigentümer der Wäschefabrik Arthur Samulon in Berlin. 1922 kaufte er ein weiteres großflächiges Areal in Dahlem mit der heutigen Adresse Pacelliallee 19/21. 1926 stellte der Architekt Adolf Wollenberg eines der geschmackvollsten Wohnhäuser Berlins fertig. Anschließend zog Semmel ein und mit ihm rund 150 Kunstwerke, unter anderem von Pissarro, Gauguin, Liebermann, Renoir, Rembrandt, Rubens und Tizian.
Noch in den Tagen der Machtübernahme 1933 flüchtete Semmel in die Niederlande. Er verkaufte von dort aus seine Villa an Wilhelm Kühne, Eigentümer eines 1772 gegründeten Familienunternehmens, das bis heute für seine Gewürzgurken, Essig und viele andere Lebensmittel bekannt ist. Der Kaufpreis war so niedrig, dass er für Makler und Steuern verbraucht wurde – Semmel sah keine einzige Mark. In einem höchst seltenen Vorgang erließ ihm das Finanzamt einige Hunderttausend Reichsmark »Reichsfluchtsteuer« – weil sein Vermögensverlust so gewaltig war.
Die Familie Kühne verkaufte die Liegenschaft nach dem Krieg für rund das Elffache des seinerzeitigen Kaufpreises weiter.
Die Familie Kühne verkaufte die Liegenschaft nach dem Krieg für rund das Elffache des seinerzeitigen Kaufpreises weiter. Richard Semmel starb 1950 verarmt in New York. Seine Versuche, sein Vermögen zurückzuerhalten, blieben erfolglos.
KRIEGSZUSTAND Seit 2010 ist in jener Villa, die Richard Semmel 1926 in der Pacelliallee in Berlin erbaute und aus der er 1933 vertrieben wurde, die Botschaft des Irak untergebracht. Gerade weil sich der Irak als einziger der Angreifer auf den soeben gegründeten Staat Israel im Jahr 1948 mit diesem völkerrechtlich noch im Kriegszustand befindet, liegt hier eine bemerkenswerte Situation vor.
Experten sagen, Botschafter Dhia Hadi Mahmoud Al-Dabbass könne sich nicht rechtlich dagegen wehren, wenn im öffentlichen Straßenraum vor seiner Botschaft an verfolgte Juden erinnert wird. Nachdem jüngst Stolpersteine gestiftet wurden, soll nun auch eine Gedenkstele vor der Botschaft errichtet werden.
Stefan Leitz, der Vorstand der Carl Kühne KG, hat deren Finanzierung spontan zugesagt, als das Unternehmen mit der Rolle Wilhelm Kühnes in der Liegenschaftsgeschichte konfrontiert wurde. Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, setzt sich für diese Stele ein. Ob die irakische Botschaft dagegen zu intervenieren versucht, bleibt abzuwarten.
Der Autor ist Historiker an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zu seinen Forschungsfeldern gehören Flucht, Vertreibung und Restitution. Jüngst forderte er im Magazin Cicero von der Bundesregierung eine zentrale Stelle zur Erfassung aller vor 1945 erbauten Bundesliegenschaften.