Eine voll besetzte Synagoge Or Chayim, die Übertragung auf eine riesige Fernsehleinwand im Gemeindesaal, ein großes Aufgebot an Polizei und Sicherheitspersonal, stimmgewaltige Kantoren des Abraham Geiger Kollegs: Die Ordination von fünf Rabbinern in Bamberg am 23. November war ein »Megaevent«. So jedenfalls nannte Heinrich Chaim Olmer, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg, dieses besondere Ereignis.
Als »Feiertag für ganz Deutschland« bezeichnete Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Ordination. Das kann auch doppeldeutig gemeint sein. Denn die neue Rabbinerin Antje Yael Deusel ist die erste Deutsche, die nach dem Holocaust in ihrem Heimatland ausgebildet und ordiniert wurde.
Olmer würdigte das Ereignis zudem als »Tag der interreligiösen Begegnung auf höchster Ebene«. Zu den Ehrengästen gehörten der neue Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, Heinrich Bedford-Strohm, Bambergs Erzbischof Ludwig Schick und Vertreter der Muslime. Für die Bayerische Landesregierung war Innenminister Joachim Herrmann gekommen.
21 Rabbiner aus aller Welt machten das Geschehen zu einem internationalen Treffen des Judentums. Und zu einer bewegenden Feier mit dem Öffnen und Schließen des Toraschreins, mit Gesang, Bekenntnis, Gebet für die Bundesrepublik Deutschland und den Staat Israel. Den Segen sagten die frisch Ordinierten in fünf Sprachen: »Es segne dich der Ewige und behüte dich …«.
Vorbilder Die eigentliche religiös-rituelle Zeremonie hatte Rabbiner Walter Jacob, Präsident des Abraham Geiger Kollegs, vorgenommen, an dem die neuen Rabbiner ihre Ausbildung absolviert hatten. Jacob legte jeweils den vier Männern und der Frau den Tallit um und sprach mit ausgebreiteten Armen den Spruch: »Lehre, lehre immer wieder und entscheide das Beste für die ganze Menschheit«.
Auch eine entsprechende Urkunde bekamen die Ordinierten überreicht. Walter Jacob sprach die Erwartung an die neuen Rabbiner aus: Sie sollen die uralte jüdische Tradition nicht nur durch Predigt, Lehre und Ideen beleben, sondern Vorbilder in ihrer persönlichen Lebensführung sein.
Vor dem Kaddisch Jatom zum Abschluss der Feier erinnerte Rabbiner Edward van Voolen an die sechs Millionen Juden, die »durch den deutschen Rassenwahn im Feuer der Schoa umgekommen sind«. Was jetzt in Deutschland an jüdischem Leben wieder aufgebaut werde, beruhe auf ihrem Erbe.
Zentralratspräsident Graumann sieht durch die neuen Rabbiner auch »neue Perspektiven für das jüdische Deutschland«. Er führte »den Hunger nach Rabbinern« an. »Wir brauchen noch mindestens 100 Rabbiner, damit das jüdische Leben in Deutschland wieder erblühen kann«, sagte Graumann. Dabei komme es auf »aktive, kreative, innovative Gemeinden« an, die das Judentum als »spirituelle Kraftquelle frisch präsentieren«.
Gemeindearbeit Drei der fünf neuen Rabbiner werden in Deutschland bleiben. Antje Yael Deusel, 1960 in Nürnberg geboren, ist von Beruf Ärztin mit der Fachrichtung Urologie. Seit Jahren engagiert sie sich unter anderem als zweite Vorsitzende in der Jüdischen Gemeinde Bamberg. Sie ist die erste Frau, die in der 1.00o-jährigen Geschichte der Gemeinde in der Synagoge vorbeten durfte. Dieser Gemeinde bleibt sie auch als Rabbinerin treu.
Yuriy Kadnykov wurde 1975 in Evpatoria auf der Krim geboren und wird in der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach tätig werden. Von 1995 an hat er aktiv am Wiederaufbau des religiösen jüdischen Lebens in seiner Heimatstadt mitgewirkt, bis ihn seine Gemeinde im Jahr 2000 zu einer Weiterbildung in Gemeindearbeit ans Machon, das Institut der World Union for Progressive Judaism in Moskau, schickte. Ab 2005 studierte er in Potsdam.
Tobias Jona Simon wird Niedersachsens Landesrabbiner Jonah Sievers schwerpunktmäßig in den jüdischen Gemeinden Göttingen, Hameln und Hildesheim unterstützen. Simon wurde in Bielefeld geboren, wuchs in Gran Canaria und Gütersloh auf und studierte zunächst in Bielefeld und an der Universidad de Sevilla Romanistik, bevor er 2005 seine rabbinischen Studien am Abraham Geiger Kolleg aufnahm.
Paris und Genf Der 1962 in Lille geborene Rabbiner Yann Boissière studierte zunächst Anglo-Amerikanistik und Linguistik in Dijon und Paris, später Filmregie in Paris, und war in der Film- und Fernsehgeschäft sowie in der Werbewirtschaft tätig. Er wird Rabbiner des 1977 gegründeten Mouvement Juif Liberal de France in Paris.
Paul Moses Strasko aus dem amerikanische Montana war bereits als Teenager ein Jazz-Profi. Von der University of Montana erhielt er zwei BA-Abschlüsse in Klarinette und Komposition und studierte an der Temple University in Philadelphia zwei Jahre lang Komposition und Musiktheorie. Doch von der Musik konnte er nicht leben. Er wird Rabbiner in der Communauté Israélite Libéral de Genève in der Schweiz.
Den fünf neuen Rabbinern und ihren Ausbildern dankte Bayerns Innenminister Herrmann dafür, dass »sie unserer Demokratie im Land vertrauen«. Jüdisches Leben sei in Bayern wieder eine Selbstverständlichkeit geworden. Herrmann versicherte »aus aktuellem Anlass«, dass »der Kampf gegen Rechtsextremismus entschlossen fortgesetzt« werde. Er plädierte für ein Verbot der NPD mit ihren rassistischen und antisemitischen Strömungen.