Wenn sich Bundespräsident Christian Wulff und weitere 600 Gäste Anfang November in der Berliner Synagoge Pestalozzistraße versammeln, werden drei Rabbinerstudenten des Abraham-Geiger-Kollegs im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Konstantin Pal, Boris Ronis und Alina Treiger werden an diesem Tag ordiniert – in einem Jahr, in dem das liberale Judentum seinen 200. Geburtstag feiert.
Boris Ronis gehört wie Konstantin Pal zur zweiten Generation jüdischer Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, beide waren Schüler der Jüdischen Oberschule Berlin. Ronis, der zu Jom Kippur bereits zwei Gottesdienste in verschiedenen Berliner Synagogen leitete, hofft nun, in der Hauptstadt bleiben zu können, er stehe derzeit »mit der jüdischen Gemeinde in Verhandlung«. Der 34-Jährige blickt begeistert auf die Studienzeit am Abraham-Geiger-Kolleg zurück. Die Praktika, die in Gemeinden absolviert wurden, sowie ein Aufenthalt in Israel gehörten für ihn zu den schönsten Momenten. Aber auch »die unzähligen Rabbiner, Professoren und Dozenten, die ich von überall aus der Welt treffen und von denen ich mich inspirieren lassen konnte«, waren wichtig.
Bewussten geistigen Austausch mit Rabbinern pflegte er, seit er etwa 20 war. »Ich fand das Wissen über die Tradition sehr beindruckend und die Art und Weise des Herangehens an Fragen.« Was würde er jungen Menschen zu bedenken geben, die es ihm gleichtun wollen? »Es ist eine große Herausforderung, Rabbiner zu werden, da es viel Zeit abverlangt. Man stößt während des Studiums oft an seine Grenzen. Wer bereit ist, dies auf sich zu nehmen, der wird aber viel Freude an dem Studium haben und seinen Horizont mehr als erweitern.«
KFZ-Ingenieur Auch Konstantin Pal wollte nicht von kleinauf Rabbiner werden – mit dem Wiener Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg traf er ohnehin erst zu Pessach 1998 zusammen, »also ganz zu Beginn unserer Emigration«. Als kleiner Junge wollte er Arzt werden und später KFZ-Ingenieur, sagt er. Mit 17 oder 18 Jahren habe er dann zum ersten Mal daran gedacht, als Rabbi zu arbeiten. Mit dem Studium am Geiger-Kolleg liegt »eine harte, aber auch schöne Zeit, die ich jetzt schon ein wenig vermisse«, hinter ihm. Nach der Ordinierung wird Pal als Rabbiner nach Erfurt gehen. Die Gemeinde lernte er bereits während der Ausbildung kennen. Stadt und Gemeinde seien natürlich »kleiner und überschaubarer« als Berlin, »aber die Gemeinde ist auch auf drei Standorte verteilt, nämlich Erfurt, Jena und Nordhausen. Der Unterschied zu Berlin ist, dass die Gemeinde mehrheitlich aus Zuwanderern besteht und dass sehr viel Integrationsarbeit vor mir liegt. Dies wird die größte Herausforderung sein.«
Als Familie Pal in Berlin ankam, sei eine russischsprachige Sozialarbeiterin der Jüdischen Gemeinde eine große Hilfe gewesen, erinnert sich der 31-Jährige. Ohne solche muttersprachliche Hilfestellung sei »keine Integration in die Gemeinde sowie in die deutsche Gesellschaft möglich.« Im religiösen Bereich sei es unerlässlich, dass Menschen, die jahrzehntelang ihre Religion nicht ausleben konnten, Antworten auf ihre Fragen bekämen. »Unsere Arbeit ist wichtig, weil wir die Mentalität kennen, wir sind selbst Einwanderer und kennen die Probleme«.
emotionen Auch Alina Treiger hat bereits eine Stelle als Rabbinerin gefunden. Die 31-Jährige wird nach Oldenburg gehen, wo sie bereits ein Praktikum absolvierte. Als kleines Mädchen habe sie Sängerin werden wollen, berichtet die 31-Jährige, die in einer kleinen Stadt in der Ukraine aufwuchs. »Dieser Wunsch ist nicht ganz in Erfüllung gegangen«, lacht sie, »aber nun kann ich wunderschöne Gebete singen, die Schönheit eines Gebets, seine Tiefe, die Emotionalität, die Sprache zeigen.«
Und auch ein Lieblingsfach in der Schule passt gut zur späteren Berufswahl, denn nicht nur in der Musik und der Mathematik geht es um logischen Aufbau und die Anwendung von Gesetzen, sondern auch das Rabbinertum hat viel damit zu tun: »Die talmudischen Diskussionen kann man sich auch sehr gut als Tabellen vorstellen, sie sind sehr logisch aufgebaut.«
Wie die meisten Gemeinden besteht auch die in Oldenburg zu einem großen Teil aus Zuwanderern. Treiger wird, wie ihre beiden Kollegen, den Vorteil haben, mit den Menschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion in ihrer Muttersprache kommunizieren zu können. Das sei wichtig, sagt sie, denn »Einwanderer sollten die Möglichkeit haben, das Judentum in ihrer Sprache erklärt zu bekommen. Man muss sich nur einmal vorstellen, wie schwierig es für sie allein schon ist, wenn der Gottesdienst auf Hebräisch und Deutsch geführt wird, also in gleich zwei Sprachen, die sie noch nicht so gut kennen.« Um so bedeutender seien Erklärungen auf Russisch, »damit werden dann sprachliche Brücken vom Russischen ins Hebräische und ins Deutsche gebaut.«
Integration Gleichzeitig hofft sie, sprachlich ein Vorbild zu sein: »Ich spreche mit Akzent, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die deutschsprachigen Mitglieder der Gemeinden, in denen ich Praktika gemacht habe, sehr geduldig waren und sich immer Mühe mit mir gegeben haben. Mir hat das sehr geholfen, die Sprache zu lernen.« Wenn russischsprachige Juden sähen, dass sie sich traue, deutsch zu sprechen, dann falle es auch ihnen leichter, Fragen zu stellen – auch wenn ihr Deutsch noch nicht so gut sei. »Integration ist schließlich dann besonders erfolgreich, wenn sie nicht unter Druck geschieht, sondern auf natürlichem Wege«, sagt die zukünftige Rabbinerin.