Zwei Dutzend Teilnehmer haben sich zusammengefunden, um zu erfahren, wo in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts jüdische Ärzte in Augsburg praktizierten. Deren Praxen existieren zum Teil noch, doch die Ärzte, die heute hier ihre Patienten behandeln, wissen angeblich wenig bis gar nichts von der ärztlichen Tradition in den Häusern und Räumen.
Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Bahnhofstraße Deutschlands erstmals so bezeichneten »Hauptbahnhof« mit dem Verkehrsknotenpunkt Königsplatz verband, siedelten sich gleich vier jüdische Ärzte hier an: der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Hermann Lemmle, der später eine renommierte Klinik in Indien geführt hat. Als Zweiter der Zahnarzt Dr. Rudolf Weil sowie die beiden Hausärzte Dr. Sophie Mayer, die in München versteckt überlebte und später dort praktizierte, und Dr. Julian Nördlinger, Kolonnenarzt beim SPD-nahen Reichsbanner.
Geschichtsarbeit Benigna Schönhagen, die Leiterin des Jüdischen Kulturmuseums Augsburg-Schwaben hat diesen Stadtrundgang anlässlich der Ausstellung »Fegt alle hinweg!«, zusammengestellt. Vor gut 20 Jahren, anlässlich des 50. Jahrestages des Entzugs der Approbation jüdischer Ärzte, zum 1. September 1938, hatten junge Ärzte eine geschichtliche Arbeit angefertigt.
Eine von ihnen war die Medizinerin Dr. Elisabeth Friedrichs. Sie erinnert sich, dass es damals nicht gelungen sei, »von den Standesvertretungen der Augsburger Ärzteschaft und auch aus dem Klinikum hierzu Informationen zu erhalten, ob aus Unkenntnis oder Ungeschick oder auch aus anderen Gründen.« Auf ihre Idee hin wurde die Ausstellung nach Augsburg geholt.
Und Erinnerung tut not. Denn mindestens 15 Doktoren weist der Medizinische Reichskalender für die 30er-Jahre in Augsburg auf. Die Hälfte von ihnen konnte rechtzeitig das Land verlassen. »Wir wissen nicht, wie viele es tatsächlich waren, einige haben bestimmt in Augsburg gewohnt aber in München gearbeitet«, mutmaßt Benigna Schönhagen.
Erhalten Einige Gebäude haben die Bombennacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 scheinbar ganz gut überstanden, haben heute noch die seinerzeitige Anmutung mit Spitzentürmchen oder Erkern, die Fassade koloriert oder in Sichtsteinbauweise ausgeführt. Andere Häuser stammen offensichtlich aus der Nachkriegszeit. Bahnhofstraße, der Prachtboulevard, die Maximilianstraße, alles erste Adressen in der Fuggerstadt. Hier hatte beispielsweise auch Sanitätsrat Dr. Julian Fabian seine Praxis. Als ihm nach einer ersten vierwöchigen »Schutzhaft« in Dachau, eine zweite Festnahme drohte, erschoss er sich. In der Annastraße praktizierte in der Nachbarschaft des jüdischen Kaufhauses Schocken der Zahnarzt Dr. Paul Engländer.
Interessierte hatten in Anlehnung an Elisabeth Friedrich bei Ärzten nachgefragt, die heute in denselben Räumen praktizieren, in denen bereits vor 80 Jahren Patienten behandelt wurden. Keiner der heutigen Mediziner wollte persönlich Auskunft geben. Sie alle ließen unisono mitteilen, dass ihnen der jeweilige Name eines früheren Arztes, der seine Ordination in diesen Räumen hatte, unbekannt sei. Handelt es sich hier um kollektives Vergessen?, so fragten sich nicht zuletzt die Spaziergänger an diesem Sonntag.
Erinnerung Nach Ansicht von Alexander Mazo, dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg, ist die Erinnerung für die Gemeinde wichtig. Un ihn verwundert nicht, dass sich heutige Ärzte nicht »an diese schwarze Zeit erinnern wollen«.
Elisabeth Friedrichs hatte aus der Nationalzeitung vom 30. September 1938 zitiert: »Augsburg ist seit Ende 1938 frei von jüdischen Ärzten.« Der Ärztliche Kreisverband Augsburg will jetzt helfen, dieses dunkle Standeskapitel aufzuarbeiten, auch wenn damit offenbar nicht alle Mediziner einverstanden sind .