Hass ist im Internet allgegenwärtig: auf Facebook, ebenso wie auf Twitter, Instagram oder TikTok. Um diesen Hass im digitalen Teil der Gesellschaft ging es am Mittwochabend vergangener Woche in einer Veranstaltung von Schalom Aleikum, der Denkfabrik des Zentralrats der Juden in Deutschland, im Borusseum, dem Vereinsmuseum von Borussia Dortmund.
Über den »Elefant im Raum«, wie die Podiumsdiskussion überschrieben war, sprachen miteinander der Influencer und Theologe Stephan Anpalagan, Anna Ben-Shlomo, Koordinatorin beim Bildungsprojekt SCHLAU Dortmund, die Jugendliche auch durch die dortige Synagoge führt, und Elvedin Goljica, stellvertretender Bundesvorsitzender des muslimischen Jugendwerks. Moderatorin war Josephine Ballon, Co-Geschäftsführerin der Berliner HateAid gGmbH.
Der Abend begann mit zwei Grußworten. Reinhold Lunow, Präsident von Borussia Dortmund, begrüßte die Gäste im Museum. Der Verein engagiert sich seit Jahren gegen Antisemitismus und stellte seine Räumlichkeiten schon mehrmals für Veranstaltungen des Zentralrats oder von Makkabi zur Verfügung. »Wir sind ein Verein mit starker internationaler Präsenz«, sagte Lunow. »Fußball hat eine große Strahlkraft, und wir tragen Verantwortung. Fußball ist dafür da, die Unterschiede zu feiern und nicht zu bekämpfen.«
»In dieser Zeit ist der interreligiöse Dialog wichtig.«
Grigory Rabinovich
»Seit dem 7. Oktober ist nichts mehr so, wie es einmal war«, sagte Grigory Rabinovich, Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er sei Mitte Oktober auf einer Veranstaltung in Erfurt gewesen. Damals sei die Solidarität mit Israel und den Juden groß gewesen. »Aber ich wusste: Wenn sich Israel wehrt, wird bald wieder über Verhältnismäßigkeit geredet.« Der Hass habe sich nach den Angriffen der Hamas am 7. Oktober auch im Netz ausgeweitet und richte sich gegen Juden, Muslime und Einwanderer: »Ich bin Jude und Einwanderer. Vor 30 Jahren kam ich aus Russland nach Deutschland.« Man könne diesen Hass sowohl auf der Straße als auch im Internet spüren. »In dieser Zeit ist der interreligiöse Dialog wichtig.«
TikTok Mit Online-Hass wegen ihrer Religion hatten vor allem Anna Ben-Shlomo und Elvedin Goljica Erfahrung. Ben-Shlomo ist in den Sozialen Medien vor allem aktiv, weil sie mit Jugendlichen arbeitet und wissen will, welches Video gerade auf TikTok oder YouTube viral geht. Für Goljica sind Facebook und Co. wichtig, um Jugendliche dort abzuholen, wo sie ohnehin sind. Zudem sieht sie darin eine Möglichkeit, sich auch international zu vernetzen. Ben-Shlomo sagte, sie bemerke viele Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Muslimen. »Der Hass und die Gewalt, die einem entgegengebracht werden, sind sehr ähnlich. Man wird zum Opfer gemacht.« Für Elvedin Goljica ist es ein Problem, dass vieles, was online veröffentlicht wird, unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegt: »Aber zum Glück gibt es Vereine wie HateAid.«
Debatten »Das Christentum spielt in Online-Debatten keine Rolle«, stellte Stephan Anpalagan fest. Der evangelische Theologe bedauert dies: »Ich hätte es gut gefunden, wenn über die zahlreichen Missbrauchsfälle in den Kirchen auch dort diskutiert worden wäre.«
»Die Konzerne setzen eher auf Reichweite als auf Qualität.«
Anna Ben-Shlomo
Einig waren sich alle darin, dass die Algorithmen der Unternehmen, welche die großen Netzwerke betreiben, ein Problem seien: Radikale Texte würden wegen der höheren Reichweite gepusht; wer sich moderat oder sachlich äußert, habe geringere Chancen, wahrgenommen zu werden. Für Anna Ben-Shlomo ist das ein Problem des Kapitalismus, der die Netzwerkkonzerne dazu treibe, vor allem auf Reichweite und nicht auf Qualität zu setzen. Elvedin Goljica wünschte sich, dass in Zukunft Künstliche Intelligenz die Netzwerke überwacht und bei Hass-Botschaften eingreift, verwarnt und gegebenenfalls löscht.
MEINUNGSFREIHEIT Stephan Anpalagan setzte sich hingegen zugleich für den Rechtsstaat wie für die Meinungsfreiheit ein. Der Influencer zitierte den Journalisten Deniz Yücel, der sagte, Meinungsfreiheit bedeute auch Freiheit für dumme Meinungen. Aber er stellte fest: »Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.« Vor 20 Jahren wären Jugendliche verfolgt worden, die online Musik kopiert hätten. Bei Drohungen und Beleidigungen würde der Staat indes heute kaum tätig: »Das Strafrecht muss auch im digitalen Raum durchgesetzt werden.«
Elvedin Goljica äußerte die Ansicht, nach dem 7. Oktober hätten vor allem rechte Netzwerke versucht, Hass zu säen, indem sie den Eindruck vermittelten, Antisemitismus sei vor allem ein muslimisches Problem. Nach der Podiumsdiskussion meldeten sich zwei Männer aus dem Publikum zu Wort. Ein Marokkaner berichtete davon, wie er in den Sozialen Medien von anderen Muslimen beschimpft worden sei, weil er den Angriff der Hamas als Terror verurteilt hätte.
Versöhnlich gab sich ein anderer Teilnehmer, der seit mehreren Jahren in Deutschland lebt. Natürlich seien Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit ein großes Problem, aber er sei sich sicher, dass die Mehrheit in Deutschland solche Positionen verurteilen würde.