Vier-Tage-Woche, Homeoffice, flexible Arbeitszeiten – derzeit wird intensiv darüber diskutiert, wie und wie viel künftig gearbeitet werden soll. Für Ira Rosensaft sind die aktuellen Entwicklungen und Diskussionen rund um das Thema Arbeit keine große Überraschung. »Dass sich vieles ändern wird, war allen, die im Bereich Change Management arbeiten, schon vor mindestens 15 Jahren klar. Wie sich die Technologie allerdings entwickeln würde, war natürlich noch nicht absehbar.«
Ira Rosensaft ist studierte Organisationsentwicklerin und Veränderungsmanagerin. Bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) leitet sie »Mabat«, den Fachbereich für Digitale Transformation. »Es gibt keinen Weg mehr zurück«, sagt sie und vergleicht die heutige Situation mit der Industriellen Revolution: »Auch damals übernahmen Systeme die Arbeiten, für die Menschen früher ganze Tage oder sogar länger benötigten.« Die Arbeitswochen wurden kürzer, denn ausgeruhte Arbeiter waren produktiver.
work-life-balance »Heute, in einer komplexer gewordenen Welt, nimmt die Notwendigkeit von Ruhephasen zu«, beschreibt Rosensaft die aktuellen Entwicklungen. »Wir sehen, dass für die jüngere Generation die Work-Life-Balance immer wichtiger wird.«
Kürzere Arbeitszeiten sollten im Übrigen nicht bedeuten, dass die gleichen Aufgaben nun in weniger Zeit erledigt werden müssten, betont Ira Rosensaft. »Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, dann ist niemand in den bisherigen 40 Stunden ununterbrochen produktiv.«
Gespräche mit Kollegen und kleine Ruhepausen sind wichtig.
In Unternehmen habe sich schon lange die Erkenntnis durchgesetzt, dass Gespräche mit Kollegen und kleine Ruhepausen wichtig sind und die Produktivität und Kreativität steigern. »Das Zwischenmenschliche soll durch das veränderte Arbeiten keinesfalls wegfallen, dafür ist es viel zu wichtig«, sagt Rosensaft.
Aber wie kann dann dafür gesorgt werden, dass Aufgaben effizienter erledigt werden können? Unter anderem dadurch, dass geprüft wird, welche dieser Aufgaben sich automatisieren oder mit digitalen Tools unterstützen lassen. »ChatGPT-basierte Anwendungen können zum Beispiel ein guter Assistent sein und Textvorschläge machen, das Grundgerüst dafür kann man sich innerhalb weniger Minuten zusammenstellen.« Natürlich müsse die Arbeit der Künstlichen Intelligenz kontrolliert werden, aber auch von Menschen erstellte Texte würden schließlich gegengelesen.
zoom-konferenzen Den Geschäftsführern oder Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden könne sie nur raten, »mit der Zeit zu gehen. Natürlich ist das herausfordernd, aber während der Corona-Pandemie konnte man doch gut erleben, welch große Hilfe die Technik bei der Bewältigung der anstehenden Arbeiten war«. Von Zoom-Konferenzen bis hin zur Arbeit im Homeoffice sei innerhalb kurzer Zeit bereits vieles ganz alltäglich geworden.
»Das Thema ist nicht nur das Home-office oder die Vier-Tage-Woche«, erklärt Ira Rosensaft weiter: »Es ist die Art und Weise, wie und für wen wir als Organisationen arbeiten.« Die starre 40-Stunden-Woche mit fixen Anwesenheitszeiten sei eine »obsolete Form des Arbeitsmodells«, stellt Ira Rosensaft fest. Und fügt hinzu: »Vielleicht ist auch die Vier-Tage-Woche nicht das Richtige, weil sie eben auch zu starr ist – und da kommen Begriffe wie Selbstverantwortung, Selbstorganisation und Ownership ins Spiel.«
Sie stehen für einen selbstbestimmten Umgang von Mitarbeitern mit den zu erledigenden Aufgaben. Wann sie daran arbeiten, entscheiden sie demnach selbst. Ira Rosensaft betont allerdings, dass dazu klare Ziele und Regeln gehören. »Und klare Konsequenzen, wenn dagegen verstoßen wird, insgesamt könnten sich die Gemeinden einiges von den Unternehmen abschauen.«
Ehrenamt Die gewonnene Freizeit könnte im Übrigen ebenfalls Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander haben: »Auch das Engagement für die Gesellschaft könnte sich noch einmal anders entwickeln, weil durch die Flexibilisierung Freiräume entstehen, die Menschen dann für ehrenamtliches Engagement nutzen.«
»De facto haben wir doch bereits eine Art 4,5-Tage-Woche«, sagt Michael Rubinstein, Verwaltungsleiter der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW). »Wegen Schabbat hören wir freitags schließlich bereits mittags auf zu arbeiten.« Das funktioniere gut. »Auch haben wir eine recht hohe Anzahl Teilzeitkräfte«, so der Verwaltungsleiter.
Die Kindergärten und Schulen sind an fünf Tagen geöffnet.
Könnte das Konzept, vier Tage zu arbeiten und drei freizuhaben, denn in der Gemeinde funktionieren? Michael Rubinstein beurteilt die Idee generell skeptisch: »Bei steigenden Lebenshaltungskosten weniger zu arbeiten und damit weniger Geld zu verdienen, geht sicher nicht für alle auf – verkürzt gesagt: Weniger zu arbeiten, muss man sich leisten können.« Umgekehrt könnten auch für die Arbeitgeber Probleme entstehen: »Mehr Personal einzustellen, damit die anfallende Arbeit erledigt werden kann, ist vielerorts sicher unrealistisch.« Arbeitsstunden sind das eine, wichtiger sei Effizienz, findet Rubinstein und ergänzt, dass Technik durchaus helfen könne, die anfallenden Aufgaben zu erledigen.
Mahlzeiten Es gebe aber Bereiche, in denen es einfach nicht möglich sei, dass dort nur vier Tage in der Woche gearbeitet wird: »Der jüdische Kindergarten und die Grundschule sind an fünf Tagen geöffnet, entsprechend müssen die Einrichtungen dann beispielsweise auch mit Essen versorgt werden.«
Im Übrigen sei die Küche »durch die Mahlzeiten und die Kidduschim nach den Gottesdiensten und Veranstaltungen ohnehin im Minimum sechs Tage in Betrieb, daran kann sich einfach nichts ändern«. Andere Abteilungen der Gemeinde »müssen unbedingt rund um die Uhr besetzt beziehungsweise erreichbar sein«, betont Rubinstein und nennt das Rabbinat, die Sicherheit sowie die Hausmeister-Position. »Oder nehmen wir die Sozialabteilung. Wenn am Freitagmorgen etwas Dramatisches passieren würde und niemand wäre da, um zu helfen – das wäre nicht auszudenken.«
Durch die Corona-Pandemie habe sich das Arbeiten durchaus gewandelt, gibt Michael Rubinstein zu. »Aber ich persönlich arbeite gern im Büro, weil ich dann wesentlich effizienter bin als zu Hause.« Das geht jedoch nicht allen so, weiß er. »Wenn es möglich ist, erlauben wir das Arbeiten von zu Hause, wir haben erfahrungsgemäß keine wirklich erkennbaren Nachteile dadurch, gerade bei Büroarbeiten.«
datenschutz Allerdings müssten beim Homeoffice Regeln beachtet und eingehalten werden: »Namentlich im Bereich Datenschutz, da gibt es zu Recht Hürden. Ein Beispiel: Auf einem privaten Rechner zu Hause personenbezogene Daten zu haben, geht natürlich nicht. Da haben wir in der IRGW Vorsorge getroffen.«
Er persönlich sei »sicher gestresster, wenn ich wüsste, dass ich meine ganze Arbeit in vier Tage komprimieren muss«, gesteht Rubinstein. »Sonntags komme ich dagegen schon mal gern ins Büro, um in Ruhe konzentriert arbeiten zu können – für mich wäre es ideal, wenn die fünf Arbeitstage individuell und flexibel gestaltet werden könnten.«
Und er betont: »Hier in der Stuttgarter Gemeinde haben wir flexible Arbeitszeiterfassung, die Mitarbeiter können – vorausgesetzt natürlich, dass das möglich ist – in einem gewissen Rahmen selbst bestimmen oder aufgaben- und situationsbedingt entscheiden, wann sie arbeiten wollen. Und damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.«