Porträt der Woche

Die Zielstrebige

Viktoria Gurevits lernt fürs Abitur und macht eine Ausbildung zur Gymnastiklehrerin

von Zlatan Alihodzic  18.01.2011 14:13 Uhr

Denkt, dass es ihr auch großen Spaß machen könnte, als Tanzpädagogin zu arbeiten: Viktoria Gurevits (19) Foto: Alexandra Umbach

Viktoria Gurevits lernt fürs Abitur und macht eine Ausbildung zur Gymnastiklehrerin

von Zlatan Alihodzic  18.01.2011 14:13 Uhr

Ich bin noch Schülerin. So kurz vor dem Abitur nimmt das im Moment den größten Teil meines Tages ein. Meist habe ich bis 15 Uhr Unterricht, und danach muss ich immer noch versuchen, ein bisschen zu lernen. Deshalb gehe ich nach der letzten Stunde auch schnell nach Hause und fange mit den Hausaufgaben an. Meine Schule ist ein Berufskolleg, wir machen gleichzeitig das Abitur und lernen einen Beruf. Ich lasse mich zur Gymnastiklehrerin ausbilden. Fürs Abitur haben wir die normalen Fächer wie Englisch, Deutsch, Mathe, Religion, Politik. Und wegen der Ausbildung kommt noch viel Tanzen dazu, Körperbewegungsbildung, Gymnastik. Diese Lerneinheiten sind in den Schulalltag integriert.

Montags zum Beispiel haben wir zwei Stunden Deutsch, zwei Stunden Mathe, dann Bewegungsgestaltung, Körperbewegungsbildung und zum Schluss zwei Stunden Gymnastik. Das ist ziemlich anstrengend für mich, denn für manche Fächer muss ich enorm viel tun. Deutsch, Mathe und Englisch sind ja schon schwierig genug, aber ich habe zum Beispiel auch Sportmedizin – was ich da alles lernen muss! Dann kommen noch interne Lehrproben dazu. Da wird geprüft, wie wir eine Gruppe führen, denn als Gymnastiklehrerin muss ich ja auch Kurse geben.

Entscheidung Für diesen Weg habe ich mich früh entschieden, aber das fiel mir nicht schwer. Meine Mutter hat mich schon mit sieben zur Tanzschule geschickt. Und ich bin grundsätzlich so, dass ich mir gleich am Anfang einer Sache überlege, was daraus werden soll. So war das auch mit der Schule und der Ausbildung. Mir war lange klar, dass ich in einem Beruf arbeiten möchte, bei dem ich Menschen helfen und mich bewegen kann. Und natürlich sollte es mir Spaß machen.

Wenn ich nachmittags nach Hause komme, würde ich am liebsten essen und mich schlafen legen, aber das geht nur selten. Meistens versuche ich, zu Hause dann sofort ein bisschen zu lernen, aber das klappt nicht immer. Und gegen Abend muss ich dann zur Arbeit. Ich gebe in einem Fitnessstudio einen Hip-Hop-Tanzkurs für kleine Kinder. Das mache ich schon seit vier Jahren. Angefangen hat es mit einem Praktikum in diesem Fitnessstudio. Als der Chef sah, dass ich tanzen kann, hat er mich gleich gefragt, ob ich das nicht unterrichten möchte.

Nach solchen Montagen bin ich abends dann sehr müde und gehe früh ins Bett. Lernen, arbeiten, schlafen – das ist schon ziemlich anstrengend. Doch manchmal breche ich aus diesem Rhythmus aus. Ich bin vielleicht ein bisschen zielstrebiger als andere, aber selbst, wenn ich am Montag eine Klausur schreibe und eigentlich ganz viel lernen müsste, lasse ich am Samstag alles stehen und liegen, wenn mich meine Freundinnen ins Kino einladen. In dieser Hinsicht bin ich eigentlich so wie die meisten. Auch, wenn es um Urlaub geht, da mache ich keine Abstriche und genieße diese Wochen ganz und gar, das brauche ich.

Erfahrung Letzten Sommer war ich mit meinem Freund in Israel. Zurück in Deutschland, habe ich dann tatsächlich darüber nachgedacht, für ein Jahr in einen Kibbuz zu gehen. Wie immer wollte ich einfach noch mehr Erfahrung sammeln, die Sprache lernen, das Land erkunden, schließlich lebten meine Vorfahren dort. Aber meine Eltern haben mir die Idee wieder ausgeredet. Sie hatten Angst, und ich wäre dann so weit weg gewesen. Außerdem mache ich ja jetzt schon in Deutschland genug und sammle Erfahrungen. Zum Beispiel müssen wir neben der Schule einmal pro Woche in einem Kurs hospitieren, um zu lernen, wie man so etwas leitet. In meinem Fall ist es ein Osteoporose-Kurs. Nach 24 Sitzungen werde ich geprüft und muss eine Einheit selbst gestalten.

Meine Tage sind klar strukturiert, da habe ich wenig Spielraum – es sei denn, ich nehme mir bewusst die Zeit. In der zweiten Wochenhälfte wird es etwas lockerer. Donnerstags habe ich zwar auch wieder bis 15 Uhr Schule, aber anschließend geht’s nach Düsseldorf ins Tanzhaus NRW zum Training. Ich habe angefangen mit Videoclip-Dancing, dann kamen Jazz und Modern, auch Salsa und Rumba. Ich versuche, mich da weiterzuentwickeln und habe darüber nachgedacht, Tanzpädagogik zu studieren. Aber damit bekommt man nur schwer einen sicheren Job. Als studierte Physiotherapeutin ist das anders. Allerdings denke ich manchmal, die Arbeit als Tanzpädagogin würde mir vielleicht mehr Spaß machen.

Zum Tanztraining gehe ich vor allem, um mich persönlich zu verbessern. An Wettkämpfen nehme ich nicht mehr teil. Das war früher. Einmal habe ich den ersten Platz im Videoclip-Tanz in Nordrhein-Westfalen belegt, wurde dann zur Deutschen Meisterschaft eingeladen, kam ins Finale und bin Achte geworden. Bei der Europameisterschaft habe ich den 22. Platz geschafft. Damit war’s dann auch vorbei, weil ich erreicht hatte, was ich wollte. Ich hatte keine Lust mehr auf Meisterschaften, denn da dreht sich alles im Kreis.

Rückzug Um halb acht bin ich donnerstags fertig in Düsseldorf, aber die Rückfahrt nach Duisburg dauert ja auch noch etwas. Wenn ich dann zu Hause bin, verbringe ich meistens noch ein bisschen Zeit mit meinen Eltern, weil ich sie ohnehin viel zu selten sehe. Das gilt auch für meinen Bruder, der kürzlich Vater geworden ist. Und gerade war meine Großmutter aus Estland zu Besuch. Sie bekam mein Zimmer, was meinen Plan natürlich ziemlich auf den Kopf gestellt hat.

Ich konnte mich nicht mehr zurückziehen. Und mit meiner Fitness war es dann auch nicht so weit her. Denn wenn meine Oma Kuchen oder Plätzchen anbietet, die sie gerade selbst gebacken hat, kann ich nicht nein sagen. Letzte Woche ist sie wieder nach Hause gefahren. Auch wenn es für mich in dieser Zeit etwas durcheinander lief, war es schön mit ihr und keineswegs schlimm, dass ich mich nicht zurückziehen konnte.

Das geht ja bei meinem vollgepackten Plan auch sonst kaum. Freitags vielleicht, nach der Schule, da kann ich mir Zeit für mich nehmen. Doch da gehe ich dann auch oft ins Fitnessstudio. Es bleiben aber noch Gelegenheiten, um mich mit den Freunden zu treffen, die ich sonst in der Woche nicht sehe. Dass ich immer so viel zu tun habe, stört mich nicht. Es ist positiver Stress. Wenn ich den bewältige, fühle ich mich gut.

Am liebsten bin ich mit meinem Freund zusammen. Doch selbst dabei bin ich gerade im Stress, denn wir schreiben Bewerbungen. Ich möchte nämlich Physiotherapie studieren und aus Duisburg wegziehen in eine größere Stadt. Mein Freund bewirbt sich gerade bei der Polizei. Hamburg und Berlin haben wir uns ausgesucht, eines von beiden soll es werden. Ich möchte unbedingt etwas Neues anfangen, Leute kennenlernen, denn ich wohne hier schon seit fast 15 Jahren.

Klar habe ich Angst davor, in einer neuen Umgebung zu sein, ohne meine Eltern. Aber mein Freund wird da sein. Und ich werde sicher wieder Anschluss an eine jüdische Gemeinde finden, das wird mir auch helfen. Ich habe schon mit dem Leiter unseres Jugendzentrums gesprochen. Er wird mich den Jugendleitern von Hamburg und Berlin vorstellen, damit ich mit denen schon mal in Kontakt bin.

Diese große Veränderung und der Umzug bedeuten gerade noch etwas mehr Stress für mich, als ich ohnehin schon habe. Wenn ich mich davon ablenken möchte, kann ich das am besten in unserer Gemeinde im Jugendzentrum. Da stecken viele in einer ähnlichen Situation. Wir haben alle eine Menge zu tun.

Aufgezeichnet von Zlatan Alihodzic

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