Meine Geschichte beginnt, wie bei so vielen jüdischen Familien der Nachkriegszeit, mit der Heimatlosigkeit der Holocaust-Überlebenden und dem klassischen Aufeinandertreffen von Juden aus aller Herren Länder, ihren Hoffnungen und Träumen. Meine Großeltern väterlicherseits stammen aus einem Schtetl in Polen. Nach der Schoa kamen sie eher zufällig nach Deutschland und kämpften sich zurück ins Leben. Ihren Mut kann man nicht in Worte fassen. Ich bewundere sie sehr.
Mein Vater ist ein typisches Kind der zweiten Generation. Er ist zwar in Deutschland geboren und aufgewachsen, verbrachte seine Jugend aber ausschließlich in einem jüdischen Umfeld und fühlte sich lange nur dort zugehörig. Heute hat er seine Identität als bayerischer Jude gefunden – und kann innerhalb einer halben Sekunde von feinstem Jiddisch ins tiefste Bayrisch wechseln.
Meine Mutter, Tochter irakischer Zionisten, kam in Israel zur Welt und wuchs in Givatayim auf. Kennengelernt haben sich meine Eltern 1979 an der Universität in Jerusalem. Gegründet haben sie unsere Familie 1981 in München. Meine drei Geschwister und ich, allesamt Münchner Kindl, wurden als stolze und stark mit dem jüdischen Staat verbundene Juden erzogen, weltoffen und mit selbstsicherem Bewusstsein für unser deutsches Zuhause. Die nächste Generation eben.
Sport, beziehungsweise der Fußball, ist schon immer Teil meines Lebens gewesen. Mein Vater ist – seitdem ich denken kann und noch länger – Mitglied beim TSV Maccabi München. 1969, als sich noch kein anderer Jude aus Deutschland traute, war er der erste schwarz-rot-goldene Fahnenträger bei der Maccabiah in Israel. Sein Bruder Robert ist heute Präsident des Vereins.
anfänge Ich habe meine Fußballkarriere ebenfalls bei Maccabi begonnen – und auch beendet. Zum FC Bayern hat es von uns leider keiner geschafft. Wir waren nun mal ein typisch jüdischer Fußballklub: Jeder wollte die Kapitänsbinde, wenn’s geregnet hat, kamen die wenigsten zum Training, und die Mütter haben sich am Spielfeldrand ständig Sorgen gemacht.
Entsprechend ernüchternd waren auch unsere Leistungen. Aber den Spaß an der Sache haben wir nie verloren. Als wir einmal 1:19 gegen Helios-Daglfing verloren haben, stürmte mein Vater in die Kabine und schrie: »Super habt ihr das gemacht. Die 20 haben wir ihnen nicht gegeben!«
Nach dem Abitur ging ich nach London, um an der Westminster University Medienwissenschaften zu studieren. Es war eine sehr spannende und prägende Zeit, weil die Stadt multikultureller und internationaler kaum sein könnte. Nach drei Jahren wurde die Sehnsucht nach Israel aber immer größer. Bei der Entscheidung zwischen einem Masterprogramm an der Columbia University New York oder der Tel Aviv University siegte der Zionismus. Insgesamt waren meine Studienjahre wertvolle Lehren, und ich fühlte mich bereit für den Einstieg ins Berufsleben.
Zum Deutschen Fußball-Bund (DFB), genauer gesagt zu dessen Kulturstiftung, bin ich 2008 als Praktikant gekommen. Sie verleiht seit 2005 in Erinnerung an den während des Holocausts ermordeten jüdischen Nationalspieler den Julius-Hirsch-Preis. Damit werden Persönlichkeiten, Vereine oder Initiativen gewürdigt, die sich gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzen. Dieser Preis ist wichtiger denn je, wenn man sieht, was seit diesem Sommer wieder an Judenhass in Europa aufgekommen ist.
Im Fußball herrscht inzwischen dank der hervorragenden Arbeit vieler Initiativen allerdings in der Regel eine sehr gute Fankultur. Als ich Kind war, hat man in der Südkurve im Olympiastadion noch antisemitische Lieder gesungen. Heute ist man zu Recht stolz auf seinen jüdischen Ehrenpräsidenten Kurt Landauer.
Dass der DFB Interesse an meiner Mitarbeit hatte, lag auch daran, dass der Verband damals damit anfing, mit der U18-Nationalmannschaft eine jährliche Israelreise zu unternehmen. Bis heute fliegt jeden Winter eine Delegation für ein Turnier nach Israel. Die Fußballer besuchen gemeinsam mit den israelischen Nationalspielern Yad Vashem und lernen neben dem sportlichen Wettkampf auch den jüdischen Staat kennen. Das ist eine ungemein wertvolle Sache für die deutsch-israelischen Beziehungen.
maccabi games Die größten Talente des deutschen Fußballs kommen auch immer mit viel besserem Verständnis für den israelisch-palästinensischen Konflikt zurück. 2009 haben der DFB und der israelische Fußballverband zudem viele weitere Kooperationen vereinbart. Und das Engagement im Fußball geht weiter. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach ist Mitglied im Kuratorium der European Maccabi Games 2015 in Berlin. Der DFB organisiert unter anderem das Fußball- und Futsalturnier. Dass ich daran mitwirken darf, ist eine unbeschreiblich große Ehre und Erfüllung.
Überhaupt bin ich für die vielen Erlebnisse in Diensten des DFB sehr dankbar. Bei der Weltmeisterschaft in Brasilien gehörte ich dem Betreuerteam der Nationalmannschaft an und erlebte somit alles aus nächster Nähe. Dort habe ich mich gefühlt wie auf Machane: Man schläft kaum, verbringt den ganzen Tag zusammen, hat fes- te Essenszeiten, führt tolle Gespräche und schließt Freundschaften. Die Spieler sind zwar Stars, aber im Umgang normale und bodenständige – aber eben außerordentlich talentierte – Fußballer.
Das gilt auch für die sportlichen Leiter. Es sind großartige Persönlichkeiten und es ist eine große Freude, mit ihnen zu arbeiten. Und gearbeitet wurde viel, Tag für Tag, fast sieben Wochen am Stück. Es war ein harter Job. Es sind schließlich mehr als 100 Journalisten mit nach Brasilien geflogen, fast doppelt so viele Medienvertreter aus aller Welt waren täglich in unserem Pressezelt zu Gast.
Da waren wir permanent damit beschäftigt, zu twittern und zu posten, Pressemitteilungen zu schreiben, Pressespiegel zu erstellen, Pressekonferenzen vorzubereiten und Interviews zu autorisieren. Erst nach dem Finalsieg in Rio de Janeiro habe ich daran gedacht, wie besonders dieser Augenblick war und wie unglaublich, dass ich ein kleiner Teil von etwas wirklich ganz Großem sein durfte.
respekt Woran ich besonders gern zurückdenke, ist die Herzlichkeit der Brasilianer. Auch nach dem 1:7 im WM-Halbfinale ist diese geblieben. Unsere Gastgeber haben gemerkt, dass die Deutschen nie den Respekt vor ihnen verloren haben. Ein Trikot vom diesem Spiel ziert jetzt gerahmt meine Wohnzimmerwand.
Direkt daneben hängt ein Trikot des israelischen Teams. Das stammt von einem deutsch-israelischen Freundschaftsspiel in Leipzig 2012, bei dem ich ausnahmsweise die Israelis und nicht die deutsche Nationalmannschaft betreut habe. Diese beiden Trikots sind ein Sinnbild für meine persönliche und berufliche Vita, sie erinnern mich jeden Tag an die besondere Beziehung zwischen Deutschland und Israel.
Nach der Rückkehr aus Südamerika im Juli ging es für mich gleich einen Tag später weiter zur U19-Europameisterschaft nach Ungarn. Auch dieses Turnier konnten wir gewinnen. So kam ich Ende Juli – sichtlich erschöpft, aber auch ein bisschen stolz, mit zwei Goldmedaillen nach Hause.
Und langweilig wird es auch 2015 nicht. Das nächste große Projekt ist die U21-EM im Juni in Tschechien. Wenn wir dort unter die ersten vier kommen, qualifizieren wir uns für das Fußballturnier der Olympischen Spiele 2016 in Rio – das wäre ein wunderschönes Wiedersehen.
Aufgezeichnet von Rivka Kibel