Als Kind habe ich in den Nachrichten gesehen, wie das Eis im Polarmeer schmilzt. Das fand ich total schrecklich. Seitdem interessiere ich mich für Umweltschutz. Ich war schon länger bei Greenpeace und beim BUND aktiv und nun bei Extinction Rebellion (XR). Das ist eine Bewegung, die mit zivilem Ungehorsam auf den Klimakollaps und das Artensterben aufmerksam macht. Wir besetzen Straßen und Brücken, machen Musik und informieren die Bürger und Bürgerinnen.
Stimmung und Musik machen, Reden halten und mit Leuten diskutieren – das liegt mir. Vor einem Jahr habe ich das Gymnasium abgeschlossen und ging danach nach Israel, mein Geburtsland, zum Freiwilligendienst. Jetzt nehme ich mir die Zeit, um verschiedene Praktika zu machen, mich neu zu orientieren und aktiv zu sein. Ich will einen Beruf mit Bezug zu Umwelt- und Naturschutz ergreifen, möglicherweise in Verbindung mit Politik. Es gibt mehrere solcher Studiengänge in Deutschland.
Greta Thunberg und die Bewegung Fridays for Future (FFF) haben es geschafft, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Der Klimawandel und die Zerstörung der Umwelt sind spätestens seit den 90er-Jahren bekannt, aber es ist nichts passiert. Ich finde, das ist ein kollektives Totalversagen von einzelnen Bürgern, der Politik und den Medien. Dank FFF haben die Menschen verstanden: »Mich betrifft das, und mich betrifft es echt! Da ist etwas, was mich bedroht, und die Politiker nehmen diese Bedrohung nicht wahr.«
BLOCKADE Als die FFF entstanden, war ich noch in Israel. Nach meiner Rückkehr war ich mir nicht sicher, ob ich da hineinpasse, weil das ja eine Schülerbewegung ist. Und in meine alten Strukturen zurückzukehren, hätte sich in meinem neuen Lebensabschnitt nicht richtig angefühlt. Eine Freundin erzählte mir damals von XR, dass es keine Organisation, sondern eine Bewegung sei: sehr unbürokratisch, unhierarchisch, total easy. Mich hat überzeugt, dass die Mitglieder nicht wütend, frustriert und verzweifelt sind.
Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, müssen wir einen anderen Umgang mit den Menschen pflegen, ihnen mit Empathie, Respekt, Verständnis und Liebe begegnen. Ich war seitdem auf vielen Demos, zuletzt in Gummersbach, weil ich sehen wollte, wie es in einer kleineren Stadt zugeht. Kleinere Demos sind immer lauter, habe ich festgestellt.
Am Tag des globalen Klimastreiks im September waren in Köln 17.000 Menschen auf der Straße, aber das sah für mich wie ein Sommerspaziergang aus. Bei der »Rebellion Wave« im Herbst haben wir eine Woche lang Berlin blockiert. Wir besetzten die Siegessäule und den Potsdamer Platz, sodass dort keine Autos fahren konnten. Das hatte eine hohe Symbolkraft, war aber auch sehr eindrucksvoll. Die Menschen konnten auf der Straße laufen, spielen, singen und Musik machen, Kinder rannten herum.
Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, müssen wir einen anderen Umgang mit den Menschen pflegen, ihnen mit Empathie, Respekt, Verständnis und Liebe begegnen.
So eine riesige Blockade gibt es natürlich nicht oft. Sonst besetzen wir Brücken und Straßen. Nachts draußen zu schlafen, kann schon sehr kalt sein. Ein Teil von uns sitzt einfach still da und behindert den Verkehr, ein anderer Teil hält Kontakt zur Polizei und tritt in Dialog mit der Öffentlichkeit. Sie erklären den Autofahrern, welche Route sie nehmen können, dass die Aktion nicht persönlich gegen sie gerichtet ist und dass es uns leidtut, wenn es für sie unbequem wird. Uns macht es auch nicht so viel Spaß, stundenlang auf der Brücke zu sitzen. Aber es muss ein bisschen wehtun, damit die Leute hinschauen.
DIALOG Ich bin seit Jahren in der Umweltbewegung aktiv: Früher haben uns nur Wissenschaftler, Ökos und manche Linke zugehört. Aber das war eigentlich kein echtes Zuhören: Man bestärkte sich gegenseitig in dem, was man eh schon wusste. Es war unheimlich schwierig, mit Leuten auf der Straße in einen Dialog zu treten. Ich habe mit anderen Jugendlichen Flyer in der Fußgängerzone verteilt. Man glaubt es kaum, wie eilig die Leute es plötzlich hatten und mit welchen Blicken sie uns bedachten.
Dabei machten wir krasse Sachen: Wir sind in die Spree gesprungen, haben uns als Weihnachtsmann, Rentier oder Eisbär verkleidet. Es hat keinen gejuckt. Und heute geht man einmal auf die Straße, und »Das Erste« berichtet.
Viele finden das, was wir bei XR machen, gut. Andere sind verständlicherweise frustriert. Wir analysieren jedes Mal die Resonanz unserer Aktionen. Sie sind nicht alle laut. Zu unseren beliebtesten Methoden gehören die »Die-ins«: Man verabredet sich zu viert in der Innenstadt, fällt plötzlich wie tot um und bleibt liegen. Ich mache mal dies, mal jenes. Bei XR gibt es keine festgesetzten Aufgaben: Man macht, wozu man Lust hat, und wenn irgendwo Leute fehlen, springt man eben ein.
Es ist wichtig, dass wir nicht ausbrennen. Es geht alles so langsam, obwohl die Welt untergeht – das zieht einen schon sehr herunter.
Ich habe schon Gruppen moderiert und Bürgerversammlungen geleitet. Diese sind ein wichtiger Teil gelebter Demokratie. Man spricht ein Thema an, es gibt Moderatoren und Protokollanten, und man diskutiert in Gruppen in einem offenen Austausch. Ich habe aber auch zusammen mit einem Freund einfach für Musik und Unterhaltung gesorgt.
Es ist wichtig, dass wir nicht ausbrennen. Es geht alles so langsam, obwohl die Welt untergeht – das zieht einen schon sehr herunter. Deshalb machen wir auch mal regenerative Treffen. Da wird gekocht, Musik gemacht oder ein Ausflug, ohne von der Klimakatastrophe zu reden.
CO2-FUSSABDRUCK Ich persönlich bin kein Stadtmensch. Ich wohne in der Nähe von Köln auf dem Land und bin lieber zu Hause und über Channels aktiv. Demos sind gut und wichtig, aber da ich keine Schülerin mehr bin, hat es für mich keinen Zweck, jede Woche zu streiken. Und Aufmerksamkeit allein ist nicht der Sinn der Sache. Ins Gespräch zu kommen, ist noch wichtiger. Der erste Schritt, um Dinge zu verändern, ist, die Dinge zu verstehen. In diesem Prozess stecken wir gerade.
Aufklärung finde ich sehr wichtig. XR organisiert sogenannte Onboardings zum Kennenlernen. Wir mieten einen Raum und verbreiten die Info über die sozialen Medien. Es kommt vorbei, wer Interesse hat. Wir erzählen, wofür wir stehen und was unsere Werte sind.
Der erste Schritt, um Dinge zu verändern, ist, die Dinge zu verstehen.
Es kommen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Vor allem kommen Menschen, die früher mit Umweltbewegungen nichts am Hut hatten: von Kindergärtnern bis zu Wirtschaftsjuristen. Bei den Vorstellungsrunden sagen sie: »Das Thema hat mich immer so genervt!« Oder: »Ich bin Unternehmer, aber ich verstehe nun, dass auch ich betroffen bin.«
Bei mir fing es mit Bio und Fairtrade an. Ich kaufe schon lange keine nicht fair gehandelten Produkte mehr. Um meinen CO2-Fussabdruck möglichst klein zu halten, überlege ich auch: Was brauche ich? Muss ich das jetzt überhaupt konsumieren? Ich shoppe secondhand: Neue Sachen mag ich gar nicht mehr. Das interessiert mich null, und man weiß die Dinge mehr zu schätzen, wenn man etwas Bestimmtes sucht und es gebraucht findet.
Mit das Wichtigste ist: Ich lebe vegan, weil die Viehwirtschaft einer der größten Klimakiller und Umweltzerstörer ist. Ich fahre Bus, Bahn und Rad. Was mir bisher am schwersten fällt, ist, Plastik zu vermeiden.
Ich shoppe secondhand: Neue Sachen mag ich gar nicht mehr. man weiß die Dinge mehr zu schätzen:
Leute zu inspirieren und mit gutem Beispiel voranzugehen, freut mich am meisten. Ich war schon mit 13 Jahren Umweltbotschafterin bei »Jews Go Green«. Aber damals war mein junges Alter ein Hindernis. Heute heißt es ja: Die Jugend tut so viel! Ich hätte selbstbewusster sein müssen. Ein unheimlich großes Glück ist, dass meine Eltern, besonders meine Mutter, mich immer unterstützen. Sie haben zum Beispiel damals meinetwegen angefangen, Bio zu kaufen. Meine Schwestern wissen, dass ich seit eh und je mein Ding durchziehe und so bin, wie ich bin.
Auch in der Schule war ich als »etwas anders« und Umweltschützerin durch und durch bekannt. Das Motto in dem Alter ist ja oft: Hauptsache cool, alles andere ist egal. Bei manchen heißt es auch: Ja, Umwelt ist wichtig, aber so kann ich bei meinen Peers nicht wirken. Manchmal läuft man schon Gefahr, als Spaßbremse dazustehen.
Wenn jemand in der Klasse Schokolade verteilte, habe ich sie nicht gegessen, falls sie nicht Fairtrade war.
Mit meiner Einstellung konnte ich an manchen gesellschaftlichen Ereignissen einfach nicht teilhaben. Wenn etwa jemand in der Klasse Schokolade verteilte, habe ich sie nicht gegessen, falls sie nicht Fairtrade war. Das Abi-T-Shirt habe ich nicht gekauft, weil es in Bangladesch billig und unter wer weiß welchen Arbeitsbedingungen hergestellt worden war.
Seit einem Jahr schon streiken Schüler, engagieren sich Menschen aus verschiedensten Bereichen – und dann wagt es die Politik, so etwas Hingerotztes wie das Klimapaket vorzulegen! Ich glaube, Politikern fehlt der direkte Kontakt zu den normalen Bürgern. Sie erleben nur die mühseligen Prozesse, das Verhandeln von Regularien, das Scheitern von Abkommen – das macht miese Stimmung. So wie wir bei der Umweltbewegung ein bisschen verklärt sind und nicht immer sehen, wie kompliziert und anstrengend so ein politischer Prozess ist, und dass es nicht einfach mit einem Fingerschnippen geht, vor allem nicht in der Demokratie.
ANTISEMITISMUS Der britische XR-Mitgründer Roger Halam hatte in seinem Buch den Holocaust relativiert. Die XR Deutschland hat sich zum Glück lautstark von seinen Aussagen distanziert. Ich war während der Rebellion Wave in Berlin, und da war der Anschlag in Halle. Ich wollte im Camp unbedingt eine Bürgerversammlung zum Thema Rechtsextremismus organisieren, und das Team hat mich sofort unterstützt. Alle fanden es eine super Idee. Während der Versammlung sind Leute in Tränen ausgebrochen und haben immer wieder gesagt, wie leid es ihnen täte.
Ich finde es sehr wichtig, dass man als Nichtjude Anteilnahme zeigt, und das habe ich bei XR mitbekommen. Leider gibt es auch in den linken Bewegungen Antisemiten oder zumindest Antizionisten. Ich muss immer mit antiisraelischen Kommentaren rechnen oder damit, wegen meiner Religion angefeindet zu werden. Bei XR habe ich bisher eher das Gegenteil erfahren.
Außerdem weiß ich: Auf jedes schwarze Schaf kommen mindestens 100 vernünftige Menschen.
Aufgezeichnet von Matilda Jordanova-Duda