Für Sima Schermann war es ein ganz besonderer Moment: Zum ersten Mal las sie in einem Gottesdienst aus der Tora vor. Das war am Sonntagabend, irgendwo auf dem Weg nach Zähringen. Denn die egalitäre jüdische Chawurah-Gescher-Gemeinde – die liberale jüdische Gemeinde in Freiburg – weihte ihre neue Torarolle an keinem festen Ort ein, sondern unterwegs: im Straßenbahn-Partywagen, mit viel Feierstimmung am Ende von Sukkot.
Unterwegs Es wackelt, in den Kurven quietscht es manchmal. Rabbiner Walter Rothschild steht in der Mitte des Waggons und liest aus dem fünften und dem ersten Buch Mose, singt, winkt strahlend Passanten vor dem Fenster zu – alles in rasantem Tempo, ohne Pause. Er liebt es: das Unterwegssein, die Bahn, die Fröhlichkeit.
Rothschild reist viel und begeistert in Zügen herum. Zum Beispiel zu seiner derzeit rund 50-köpfigen Gemeinde in Freiburg, die sich in wechselnden Räumen trifft. Weil die 1998 gegründete Gruppe so klein ist, hat sie keinen eigenen Rabbiner vor Ort. Walter Rothschild kommt sechsmal im Jahr vorbei.
Janina Kalinsk sitzt zwischen den rund 35 Menschen, die sich im Partywagen verteilen: Auf den Tischen liegen Süßigkeiten und Obst, an den Haltestangen baumeln Zweige von Oliven- und Johannisbrotbäumen, die auch im Talmud und in der Tora genannt werden.
Gemeinsam Die Bahn tuckert nach Günterstal, Zähringen, Richtung Vauban und Rieselfeld, drinnen geht der Gottesdienst voran. Rabbiner Rothschild und Cornelia E. Krüger, die Vorsitzende der Gemeinde, binden alle mit ein: Nacheinander lesen sie. Sima Schermann wusste vorher nicht, dass sie ihre erste Alija bekommen würde.
»Ich bin ganz aufgeregt, jetzt gehöre ich richtig dazu«, sagt sie hinterher. Dass sie auch den Namen ihres Vaters genannt hat, war zusätzlich bewegend: »Er lebt nicht mehr – ich glaube, das hier hätte ihm gefallen.« Und auch den Feiernden gefällt es. Unter ihnen sind unter anderem zehn Abgesandte der zwei jüdischen Gemeinden in Basel. Badische Zeitung