Am kommenden Samstag wird für den Sänger Gabriel Loewenheim ein kleiner Traum in Erfüllung gehen. In der Krankenhauskirche im Wuhlgarten wird er Solo-Parts eines Chorstücks intonieren, in das er sich schon vor einiger Zeit verliebt hat. Bereits zwei Tage zuvor singt er im Eröffnungskonzert des diesjährigen Louis Lewandowski Festivals das »Hashkiveinu« im Duett mit dem Tenor Ron Silberstein.
Am Samstagnachmittag aber steht in jener Krankenhauskirche in Berlin-Biesdorf das »Yafutsu oiécha« auf dem Konzertzettel des Synagogal Ensemble Berlin. Diesem weit über Berlin hinaus bekannten Chor gehört Gabriel Loewenheim seit einigen Jahren als Bassbariton an. Das »Yafutsu oiécha«, das zum Ritus von Jom Kippur gehört, wird diesmal in einer »unglaublich schönen Melodie« ertönen, freut sich der 47-Jährige.
Einmal im Monat fliegt er nach Israel, um seine Familie zu treffen.
Einer Vertonung, wie sie schon vor 100 Jahren in den italienischen Synagogen zu hören war. Das Festival, das in diesem Jahr unter dem Motto »Viva l’Italia« steht, will nicht nur damit »an eine jüdische Welt in Italien erinnern, die mit der Schoa ausgelöscht wurde«.
Auch im Großen Abschlusskonzert in der Synagoge Rykestraße, bei dem alle Chöre gemeinsam auftreten, wird es Stücke geben, durch die sich Gabriel Loewenheim an den Komponisten Gaetano Donizetti erinnert fühlt. Dessen Kompositionen aber stammen von Mizmor Ledavid Ezechiello Levi. Die Beeinflussung Donizettis sei unüberhörbar, sagt Opernsänger Loewenheim. Allerdings habe Mizmor Ledavid Ezechiello Levi im Gegensatz zu Donizetti eben nicht für die Opernbühne, sondern für die italienischen Synagogen geschrieben. Eine Entdeckung.
Akademie In der Vergangenheit war der Name Loewenheim in Programmheften und auf Plakaten in der halben Welt zu lesen. Da hatte der gebürtige Israeli bereits ein langjähriges Gesangsstudium hinter sich, das ihn von der Rubin-Musikakademie in Jerusalem über die University of Michigan in Ann Arbor/USA an die Buchmann-Mehta-School of Music in Tel Aviv führte.
Aber schon während dieses Studiums war Loewenheims Name im Spielplan der Oper in Tel Aviv aufgetaucht, bald auch auf der Besetzungsliste einer Fledermaus-Inszenierung in Shanghai in der Rolle des Notars Falke und als klassischer Konzertsänger auf vier Kontinenten.
Damit setzt Gabriel Loewenheim die lange Tradition einer an Musikern reichen Familie fort. In dritter Generation gehört er zu der des österreichischen Komponisten Erich Zeisl und von dessen weitaus prominenterem Kollegen Arnold Schönberg.
Die Tochter des einen hat den Sohn des anderen geheiratet. Deren Nachfahren sind die Mischpoche von Gabriel Loewenheim, dessen Großmutter Konzertpianistin und dessen Großvater Geiger war. Dieser hielt sich in jenen Tagen – als Hitler seine Truppen in Österreich einmarschieren ließ – für eine Konzertreihe in Teheran auf. Das hatte ihm das Leben gerettet.
Der Hebräisch singende Laienchor LeKulam erkor sich Gabriel Loewenheim zu seinem Leiter.
Obgleich Gabriel Loewenheim als Sänger bereits gut gebucht war, nahm er das Angebot des israelischen Opernstudios an, dort noch einmal für zwei Jahre praxisnah zu studieren. Und während der Sommerakademie in Tel Aviv lernte er dann die aus Berlin angereiste Gesangslehrerin Abbie Furmansky kennen. Das ihm zugedachte Stipendium verwendete er dafür, bei ihr in Berlin weiter Stunden zu nehmen. Hier fand er Anschluss an den damaligen Chor in der Synagoge Herbartstraße und gehörte diesem bis zu dessen Auflösung an.
Dann der Wechsel zum Chor der Synagoge in der Charlottenburger Pestalozzistraße. Kaum jemand, der hier das Gebet verrichtete, ahnte damals, dass der Chorsänger mit der tiefen Stimme oben auf der Empore ein Gesangskünstler ist, der als Solist 25 Opernrollen und über 70 Oratorien zu seinem individuellen Repertoire zählt. Es war der einst amtierende Kantor Issac Sheffer – auch dessen Weg hatte einst von der Oper ins geistliche Amt geführt –, der die sängerische Qualität des jungen Kollegen erkannte. Sheffer holte Gabriel Loewenheim zeitweise aus der Reihe der Chorsänger heraus und bat ihn für solistische Aufgaben zu sich auf die Bima.
Von dem Chor profitieren auch diejenigen, die im Seniorenheim wohnen.
Einmal war der zweite Kantor kurz vor den Hohen Feiertagen krankheitsbedingt ausgefallen, und Sheffer studierte mit dem jungen Kollegen in kürzester Zeit den Feiertagsritus ein. Bald war Loewenheim auch in anderen Berliner Synagogen als Einspringer ein gefragter Mann. Und der Hebräisch singende Laienchor LeKulam erkor sich Gabriel Loewenheim zu seinem Leiter. Obgleich dieser darauf hingewiesen hatte, dass er fast jeden Monat einmal nach Israel fliegt, um seine Familie zu treffen, aber auch künstlerische Aufgaben an der Oper von Tel Aviv wahrzunehmen, blieb der Chor bei seiner Wahl.
Chorleitung Kurz nachdem Loewenheim die Chorleitung übernommen hatte, machten die Corona-Maßnahmen ein regelmäßiges Treffen unmöglich. Dennoch setzte er auch während des Lockdowns die wöchentlichen Proben an, und zwar online via Zoom und in den Sommermonaten – mit ausreichend Abstand – im Hof des Jüdischen Seniorenheims.
Inzwischen hat sich der Chor LeKulam von zwölf Mitgliedern auf mehr als 30 erhöht, was der Qualität des Klangkörpers sehr gutgetan hat. Davon profitieren auch die, die im Seniorenheim wohnen. Dort nämlich tritt der Chor oft auf, und einige von ihnen singen auch mit. Einen Auftritt wird es in der Dernburgstraße am zweiten Tag von Chanukka geben.
Zunächst aber muss das Louis Lewandowski Festival über die Bühne gehen, und das wegen der coronabedingten Verschiebung nun schon zum zweiten Mal im laufenden Jahr. Loewenheim ist daran nicht nur als Künstler beteiligt, sondern hatte auch in der Organisation Aufgaben übernommen, wie die Planung der Proben der beteiligten Chöre, den Transport der Instrumente, wie etwa ein Cembalo, und die Kontrolle der Licht- und Tontechnik.
Wenn dann am Sonntag das Festival in der Synagoge Rykestraße seinen Abschluss findet, wird Loewenheim aus der Familie Arnold Schönbergs auf und hinter der Bühne wertvolle Arbeit geleistet haben.
www.louis-lewandowski-festival.de