Herr Generalkonsul, nach einer ersten Amtszeit von 2007 bis 2012 leiten Sie seit 2018 zum zweiten Mal das Generalkonsulat der Ukraine in München. Worin genau besteht die Arbeit eines Generalkonsuls und eines Generalkonsulats?
Die Arbeit ist vielfältig, umfasst aber vor allem die klassischen Konsularaufgaben wie das Ausstellen von Pässen. Wir sind zuständig für Bayern und Baden-Württemberg, und vor dem Krieg waren auf diesem Gebiet 30.000 Ukrainer bei uns konsularisch gemeldet. Jetzt haben wir 300.000. Damit haben sich natürlich auch unsere Aufgaben verändert. Wir betreuen jetzt die geflüchteten Ukrainer mit allen unseren Kräften und Möglichkeiten.
Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Zehn. Und ja, das ist zu wenig …
… eine Herausforderung auf jeden Fall.
Eine große Herausforderung. Natürlich verstehen unsere Vorgesetzten, dass das nicht reicht. Das Problem liegt im finanziellen Bereich, das Land braucht Geld jetzt für andere Dinge. Vor Ort bemühen wir uns hier trotzdem, den Menschen bestmöglich zu helfen, halten uns zum Beispiel nicht mehr mit offiziellen Öffnungszeiten auf. Heute ist Donnerstag, da wären eigentlich keine Sprechstunden …
Die Leute stehen dennoch vor der Tür.
Wir arbeiten trotzdem, und aus Halbtagsöffnungen sind Ganztagsöffnungen geworden. Dasselbe gilt für den Samstag, da arbeiten wir entweder hier oder in anderen Städten in Bayern und Baden-Württemberg. Wir bekommen viele Anfragen, auch von jüdischen Gemeinden, dass wir vor Ort Präsenz zeigen sollen, um die große Menge von Menschen zu betreuen, die unsere Hilfe brauchen. Das machen wir häufiger. Wir waren schon zweimal in Freiburg und einmal in Schliersee, in einer Woche fahren wir nach Friedrichshafen. Wir gehen vor allem dahin, wo behinderte und alte Menschen sind, zum Beispiel vom Blindenverband. Deren Anfrage liegt gerade auf meinem Schreibtisch. Wir überlegen, wie wir das am besten organisieren können mit unseren leider begrenzten Möglichkeiten.
Sie erwähnten, dass Ihre Arbeit sich nach dem 24. Februar verändert hat. Können Sie das erläutern?
Nicht nur unsere Arbeit, unser Leben hat sich entscheidend verändert. Was die Arbeit betrifft, ist es in erster Linie die Masse an Menschen, die jetzt unsere Hilfe brauchen. Dann versuchen wir natürlich auch, humanitäre Hilfe zu sammeln und zu bündeln, wir helfen karitativen Organisationen. Die Solidaritätswelle mit der Ukraine ist zum Glück enorm, und unsere Aufgabe ist es, diejenigen, die hilfsbereit sind, zu unterstützen. Eine Reihe von Projekten läuft bereits. Wir haben wirklich gut zu tun.
Es gab ja vor dem 24. Februar schon seit Jahren eine militärische Auseinandersetzung, etwa im Donbass. Man kann kaum begreifen, dass dieser Krieg jetzt die ganze Ukraine erfasst hat.
Die Frage, warum unser Land jetzt in den Krieg gezwungen wurde, muss man natürlich jemand anderem stellen. Wir verstehen das auch nicht. Und Sie haben vollkommen recht, der Krieg hat nicht am 24. Februar 2022 begonnen, seine Anfänge lagen vor acht Jahren in der Annexion der Krim und den Ereignissen im Donbass, in den Gebieten Donezk und Luhansk. Warum es jetzt zu dieser heißen Phase des Krieges gekommen ist …
Die Frage muss man wohl Wladimir Putin stellen.
Ja. Er hat einmal gesagt, dass der Zerfall der Sowjetunion eine große geopolitische Katastrophe war. Er will nicht akzeptieren, dass die Ukraine unabhängig ist und wir Ukrainer ein Recht haben auf eine eigene Entwicklung. Aber wir entscheiden selbst über unser Schicksal.
Welche Hilfe bekommen Sie denn von Staat und Kommunen?
Wir bekommen von allen staatlichen Ebenen viel Unterstützung, und ich möchte mich beim Freistaat Bayern und auch bei der Landesregierung Baden-Württemberg für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken. In München stehen wir konkret im Austausch mit der Staatskanzlei, mit verschiedenen Ministerien, mit dem Rathaus, dem Job-Center, dem Kreisverwaltungsreferat – mit allen Institutionen, die jetzt ukrainische Geflüchtete betreuen.
Wenn Sie zurückdenken an Ihre erste Zeit hier in München: Dass es heute mehr Menschen sind und mehr Arbeit, liegt auf der Hand. Gibt es darüber hinaus einen atmosphärischen Unterschied?
So einen Unterschied sehe ich im Grunde nicht, weil unsere Verbindungen mit Bayern immer hervorragend waren. Bayern hatte Kontakte mit der Ukraine, und zwar, was ein bisschen ungewöhnlich ist, schon seit den späten Sowjetzeiten. Es gab hier viele historische Verbindungen, eine bedeutende Diaspora, die Ukrainische Freie Universität – die einzige Hochschule im Ausland mit Unterricht in ukrainischer Sprache. Wir haben außerdem die Ukrainisch-Bayerische Regierungskommission, die einzige bilaterale Regierungskommission der Ukraine mit einer Region und nicht mit einem unabhängigen Staat. Dazu kommt jetzt die wichtige Solidarität: von Privatpersonen, aber auch von Institutionen, etwa über Städtepartnerschaften wie zwischen München und Kiew.
Wenn ich an die Zeit vor dem Krieg zurückdenke: Da gab es jeweils zum 9. Mai eine Kranzniederlegung auf dem jüdischen Friedhof – gemeinsam mit den Russen.
Das stimmt. Heute besteht da kein Kontakt mehr; wie können wir jetzt etwas mit Russland zu tun haben? Das bedeutet aber nicht, dass wir auf die Kranzniederlegung und Gedenkveranstaltungen verzichten, sie finden nur ohne Russen statt, aber mit Regierungsvertretern und anderen Konsulaten. Diese Erinnerungskultur ist uns sehr wichtig, auch an anderen Orten wie etwa Dachau.
Hier standen und stehen Sie in enger Abstimmung mit Gemeinden wie der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG). Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit den jüdischen Gemeinden generell bewerten?
Wir hatten schon immer einen sehr guten Kontakt zu den jüdischen Gemeinden. Ein Punkt, der mir hier besonders wichtig ist: Die allererste Kundgebung für die Ukraine in München fand Anfang März mit rund 45.000 Menschen auf dem Königsplatz statt. Das war etwas Besonderes auch für mich, dort hat Ministerpräsident Söder gesprochen und auch die Präsidentin der IKG, Charlotte Knobloch. Sie hat die Position ihrer Gemeinde sehr deutlich dargestellt; für diese Unterstützung und ihre Solidarität mit dem ukrainischen Volk sind wir sehr dankbar. Ganz aktuell gibt es natürlich viele jüdische Geflüchtete, denen wir zu helfen versuchen. Unter ihnen sind noch Holocaust-Überlebende, ich weiß von 16 Personen. Das sind Menschen, die einmal überlebt haben und bestimmt nicht erwartet hatten, dass sie noch einmal ihre Heimat verlassen und flüchten müssen. Sie sind natürlich besonders schutzbedürftig. Generell kommen die Gemeinden immer wieder auch mit konsularischen Anfragen auf uns zu, die wir so schnell wie möglich abarbeiten. Es ist eine gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Mit dem ukrainischen Generalkonsul in München sprach Miryam Gümbel.