Porträt der Woche

Die Prinzipalin

Nirit Sommerfeld ist seit Juli Intendantin eines kleinen Theaters bei München

von Katrin Diehl  07.10.2013 19:41 Uhr

»Ich muss dafür sorgen, dass der Laden läuft«: Nirit Sommerfeld in ihrem Theater Foto: Christian Rudnik

Nirit Sommerfeld ist seit Juli Intendantin eines kleinen Theaters bei München

von Katrin Diehl  07.10.2013 19:41 Uhr

Der Sommer hat Veränderungen gebracht: Stella, meine jüngere Tochter, ist ausgezogen, zum Studieren nach München. Das ist von Grafing, wo ich wohne, nicht wirklich weit entfernt. Trotzdem. Und Lili, die Ältere, ist schon länger aus dem Haus. Sie lebt in Berlin.

In ein Loch zu fallen, ist aber überhaupt nicht meine Art, dafür bin ich erstens viel zu hummelig, zweitens fahre ich sowieso ständig nach München, um Freunde zu treffen, mich in der Kultur umzusehen und weil ich das Stadtleben liebe. Stella ist also wirklich nicht aus der Welt. Und drittens stehe ich, nachdem ich fast 30 Jahre freiberufliche Künstlerin war, seit dem 1. Juli in einem richtigen Arbeitsverhältnis. Ich habe eine Montag-bis-Freitag-Arbeitswoche mit Kernarbeitszeit.

Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich mich beworben, war richtig stolz, endlich das Schauspieldiplom aus meiner Zeit am Salzburger Mozarteum vorzeigen zu können. Man lud mich zum Gespräch ein, und dann war ich engagiert.

Management Tja, jetzt bin ich Intendantin, Intendantin eines Theaters in Haar, einer Gemeinde knapp 15 Kilometer östlich von München. Das Haus heißt »Kleines Theater Haar«, und laut Vertrag unterliegt mir dessen Gesamtleitung, was bedeutet, dass ich mich nicht erstrangig oder, sagen wir einmal, nicht nur um die künstlerischen Belange kümmern muss, sondern um alles, was es im Hause zu managen gibt. Ich muss dafür sorgen, dass der Laden läuft, angefangen beim Gebäude selbst, einer wirklich wunderschönen Jugendstilvilla im Park eines Klinikums. Ich muss mir überlegen, ob Bäume gefällt werden oder nicht, welche Denkmalschutzbestimmungen zu beachten sind, welcher Belag auf den Parkettboden soll, wenn er denn mal grundgereinigt wurde.

Dann geht es natürlich auch um Personalentscheidungen. Im Moment bekomme ich ganz viele Bewerbungen von Künstlern, die mitgekriegt haben, dass hier ein Wechsel stattgefunden hat. Und weil ich die Künstlerseite gut kenne, bemühe ich mich, die Anfragen schnell zu beantworten, auch wenn ich im Moment niemandem zusagen kann, weil ich ja erst einmal sehen muss, wie weit ich mit meinem Budget komme.

Das Budget darf ich nie aus den Augen verlieren. Mein Neuanfang hier läutet eine klassische Umbruchphase ein. Change Management ist jetzt gefragt. Das ist eine richtige Herausforderung und geht auch nicht von heute auf morgen. So hat mir das mein Mann, der Coach ist, erklärt. Das sollte mich beruhigen, und ich beruhige damit auch oft die Leute um mich herum.

Trotzdem überfällt mich ab und zu etwas Nervosität, und ich denke: »Meetings, Meetings, Meetings – und der Spielplan? Wann, bitte, kann ich mich um den kümmern?« Demnächst wird er stehen, da bin ich mir sicher; im November werde ich ihn präsentieren, ich werde zu einer glanzvollen Gala ins fein gemachte Theater laden, werde bei den Leuten Interesse dafür wecken, unser Haus auch längerfristig zu unterstützen.

Laienspielgruppe Ich lerne gerade unheimlich viel dazu. Jeder Tag ist spannend. So gegen zehn Uhr komme ich ins Theater. Ich sorge dafür, dass immer frisches Obst bereitsteht und Kaffee. Es soll gemütlich bei uns sein. Montags habe ich einen Jour fixe mit meinen Vorgesetzen. Das ist ganz gut fürs Feedback. Am Dienstag versuche ich regelmäßig, ein Teammeeting stattfinden zu lassen mit den Technikern, den Damen hier um mich herum und den Ehrenamtlichen. Am Abend kommt dann etwas ganz anderes: Ich treffe mich mit meiner Laienspielgruppe. Das sind 14 Leute, die vor etwa zwei Jahren auf mich zugekommen sind mit der Frage, ob ich nicht mal Regie bei ihnen führen und sie ein wenig unterweisen würde in der Schauspielerei.

Ich höre jetzt nicht einfach auf mit dem, was ich vor meiner Festanstellung gemacht habe. Ich muss nur den Überblick behalten und gut planen. Nach wie vor werde ich schreiben und als Schauspielerin arbeiten. Und ich werde auch künftig mit meiner Band Klezmorim auf der Bühne stehen, Reisen nach Israel und Palästina planen und begleiten. Damit habe ich 2010 begonnen, das ist mir wirklich wichtig. Am liebsten bin ich mit Kleingruppen unterwegs, die auf irgendetwas spezialisiert sind. Jetzt habe ich zum Beispiel gerade eine Anfrage von Biobauern hier aus der Gegend bekommen, die ins Jordantal fahren wollen, um zu erfahren, wie es dort mit der ökologischen Landwirtschaft läuft.

Israel ist mein Sehnsuchtsort. 1961 wurde ich dort geboren, in Eilat, und meine Kindheit war einfach wunderbar. In meiner Erinnerung sehe ich mich am Strand, immer nackig, immer in der Natur. Ich war so frei und unbelastet.

Mein Großvater stammte aus Chemnitz. Er ist im KZ umgekommen. Mein Vater kam als 18-Jähriger nach Palästina. Nach meiner Geburt hat er darauf bestanden, dass in meinen Papieren unter Nationalität »israelisch« eingetragen wurde und nicht, wie früher üblich, »jüdisch«. Von Anfang an hat man mir klargemacht: Das Jüdische ist deine Religion, das ist Privatsache, das geht niemanden etwas an, du bist Israelin. Und das empfinde ich so bis heute. Ich fühle mich Israel verbunden und verpflichtet, und das Land fehlt mir sehr. Wie gern bin ich regelmäßig, so wie mir das meine Großmutter gezeigt hat, donnerstags mit dem Bus nach Tel Aviv gefahren zum Carmel-Markt, habe da kiloweise sonnengereiftes Obst und frisches Gemüse eingekauft. Ich zog ein hässliches Metallwägelchen hinter mir her, wie meine Oma eben.

Die Vorfahren meiner Mutter sind marokkanischen Ursprungs, aber schon in der vierten Generation in Israel zu Hause. Doch das ändert nichts daran, dass ich viel Orientalisches in mir spüre: Ich mag Leute um mich, Trubel, und ab etwa acht Personen macht mir das Kochen richtig Spaß: Hühnchen in Zitrone, Lamm in Tomatensoße ... oder italienische Küche.

Gäste Das Orientalische ist mir geblieben, auch als meine Eltern in den 70ern nach Deutschland gezogen sind und ich ein deutsches Schulmädchen wurde mit einer zweiten Staatsbürgerschaft. In Israel und später in Ostafrika bin ich sozusagen in der Hotelbranche, in der meine Eltern tätig waren, groß geworden. Das erklärt einmal mehr, warum es für mich kaum etwas Schöneres gibt, als dafür zu sorgen, dass sich viele Gäste bei mir wohlfühlen.

Ab und zu, meistens an einem Sonntag, lade ich zu uns nach Grafing ein. Ich gebe einen Salon. Die Idee dazu war entstanden, als wir 2009, nach zwei Jahren Israel, wieder zurück nach Bayern gekommen waren und ein Haus draußen vor der Stadt gesucht haben, weil sich Stella das zum Trost gewünscht hatte. In Grafing wurden wir fündig, bezogen ein freistehendes Haus, das mit einem sehr großen Raum von etwa 50 Quadratmetern ausgestattet war, mit offenem Kamin und einer Glaswand zum Garten hin.

Viel zum Hineinstellen hatten wir nicht, ein Sofa eben und ein Klavier. Da war mir klar: Diesen Raum müssen wir mit anderen Menschen teilen. Also lud ich Freunde ein, es gab zu trinken, zu essen und Kultur. Mittlerweile kommen auch die Freunde der Freunde mit. Sie haben Klappstühle dabei und Schüsseln voller Essen. »Tretet ein«, sage ich, »hier ist der Tisch, dort stehen die Gläser.« Jeder soll sich wie zu Hause fühlen und sich auch nicht daran stören, wenn ich zwischendurch die Wäsche in die Maschine stopfe oder mit meiner Mutter telefoniere. Und Bobby, unser Mischlingshund, ist immer mittendrin.

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