Wie gut, dass die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Görlitz keine Zeitreise machen konnten, als sie am 7. März 1911 ihre neue Synagoge einweihten. Hätten sie 100 Jahre in die Zukunft blicken können, wären sie erschüttert gewesen: Zwar ist der monumentale Kuppelbau immer noch imposant. Von der prächtigen Jugendstilmalerei sind jedoch lediglich Flecken übrig, der goldene Stuck ist verblasst. Die farbigen Fenster sind zerstört, statt über Marmorböden läuft man über kahlen Beton und Holzdielen.
100 jahre Und doch ist es ein Wunder, dass die Stadt Görlitz und der im Jahre 2004 gegründete Förderkreis Görlitzer Synagoge am vergangenen Sonntag überhaupt das 100-jährige Bestehen der Hauses feiern konnten – nach dem jüdischen Kalender auf den Tag genau. Denn als einziges jüdisches Gotteshaus in Sachsen wurde es in der Pogromnacht im November 1938 nicht zerstört. Die Feuerwehr löschte damals den Brand – die genauen Umstände sind nicht bekannt.
Trotzdem besiegelte diese Nacht bis heute das Schicksal der Synagoge. Seither ist dort nie wieder ein Gottesdienst gefeiert worden. Wenig deutet noch auf die ursprüngliche Funktion hin: die Stuckverzierungen mit der Menora und den Löwen als Wahrzeichen des Stammes Juda, die Davidsterne im leeren Toraschrank, die hebräische Inschrift »Ich habe Gott stets vor Augen«.
moderne Um 1900 zählte die jüdische Gemeinde in Görlitz rund 700 Mitglieder. Das neue Gotteshaus in der Otto-Müller-Straße sollte zum Symbol des Selbstbewusstseins und der Modernität werden. Der Auftrag ging an die angesehenen Architekten William Lossow und Hans Max Kühne aus Dresden. Man entschied sich für einen Baustil auf der Höhe der Zeit. Auch technisch setzte die Konstruktion Maßstäbe. »Die Synagoge ist eine Perle, ein unglaublich bedeutendes architektonisches Denkmal« schwärmt Markus Bauer, der Vorsitzende des Förderkreises Görlitzer Synagoge. Nur weiß die Stadt Görlitz – die das Gebäude seit 1963 besitzt – anscheinend nicht so recht, was sie mit diesem Schmuckstück anfangen soll.
Während der DDR-Zeit überließ man den Bau mehr oder weniger sich selbst. 1972 sollte er sogar abgerissen werden. Erst nach der Wende begann eine grundlegende Sanierung. Seit 2008 ist das Haus baulich so weit gesichert, dass wieder Veranstaltungen mit bis zu 230 Personen dort stattfinden dürfen. Die meisten organisierte bisher der Förderkreis. Der etwa 50 Mitglieder starke Verein legt Wert darauf, dass die Veranstaltungen einen Bezug zum Ort haben.
Die ehemalige Synagoge als Veranstaltungssaal wie jeden anderen zu nutzen, hält der Historiker Bauer für »unsensibel«. Im vergangenen Jahr entwickelte der Förderkreis ein Nutzungskonzept. Ein wichtiger Aspekt: Es soll wieder ein Gebetsraum entstehen. Nicht im Zentralsaal, sondern in der kleinen ehemaligen Werktagssynagoge.
Leben Eine Gemeinde, die den Gebetsraum regelmäßig nutzen würde, gibt es derzeit nicht. Markus Bauer weiß nicht, wie viele jüdische Bürger Görlitz hat: »Es gibt kein Verständnis für jüdisches Leben in dieser Stadt. Da ist es nicht ganz leicht, sich öffentlich zum Judentum zu bekennen.« Die jüdischen Mitglieder des Fördervereins kann man an einer Hand abzählen. Es sind Zugezogene – wie Alex Jacobowitz aus New York. Der Neu-Görlitzer hat kein Problem damit, sein Judentum offen zu zeigen und gab am Sonntag anlässlich des Synagogenjubiläums Besuchern einen kurzen Einblick in die Religion und führte sie durch das Gebäude.
»Nur zwei Jahre hat es gedauert, dieses schöne Haus zu errichten. Und seit 50 Jahren weiß man nicht, was man damit anfangen soll«, sagt Jacobowitz kopfschüttelnd. Dass die Stadtverwaltung Bedenken dagegen hat, Veranstaltungsort und Gebetsraum zu kombinieren, hält der Musiker für Unsinn: »Es ließe sich doch abstimmen, dass nicht gerade ein Gottesdienst und ein Konzert gleichzeitig stattfinden. Wir sind flexibel.«
streit Vor gut zwei Jahren wäre es fast zum Eklat gekommen, weil Juden in der Synagoge der Pogromnacht gedenken und eine Torarolle in das Gebäude tragen wollten. Die Stadtverwaltung schien zu fürchten, dass die Synagoge dadurch neu »geweiht« würde. »Es gibt viele Bedenken und viel Unsicherheit«, beschreibt Markus Bauer die Stimmung. Man habe gar nicht vor, eine Torarolle in der Synagoge aufzubewahren: »Eine solche Kostbarkeit in diesem weitgehend ungesicherten Gebäude über Nacht zu lassen – das kann ich mir gar nicht vorstellen.« Für Gottesdienste müsste die Torarolle eben mitgebracht werden.
Den Gebetsraum wünscht sich der Förderkreis nicht nur für die Görlitzer Juden, sondern auch für Besucher und die jüdischen Bürger im benachbarten polnischen Zgorzelec. »Wir möchten die Kontakte nach Zgorzelec verstärken«, unterstreicht Markus Bauer. Der Stadt hat der Förderkreis Görlitzer Synagoge einen Nutzungsvertrag angeboten.
Er sieht vor, dass der Verein das Programm für die Synagoge gestaltet. Die Stadt als Eigentümerin hätte aber das letzte Wort bei der Auswahl der Veranstaltungen. Der Förderkreis hofft, dass der Rat Ende des Monats über den Vertrag beraten und zu einem positiven Beschluss kommen wird.
schirmherr Entscheidet er sich gegen die Vereinbarung, will der Förderkreis seine Bemühungen einstellen. »Wir haben uns bisher heftig engagiert. Wir haben all die Dinge gemacht, die eigentlich Sache der Stadt Görlitz wären und alles umsonst. So wollen wir das nicht mehr weiter betreiben«. sagt Bauer.
Auch Führungen und die Festveranstaltung zum 100. Jubiläum hat der Förderverein in die Hand genommen – und den Oberbürgermeister als Schirmherrn gewonnen. »Wir wollen ja keinen Krieg«, betont der Vereinsvorsitzende.