Ein Horizont, der sich weitet und den Blick freigibt in Richtung Zukunft – diese Assoziation soll schon der Name der Beratungsstelle OFEK (hebräisch für Horizont) hervorrufen, sagt Geschäftsführerin Marina Chernivsky.
Seit drei Jahren steht der Verein Jüdinnen und Juden bei, die Erfahrungen mit Antisemitismus machen mussten und Unterstützung suchen. Seit Kurzem hat OFEK, bisher bundesweit und in Berlin lokal vertreten, ein weiteres Standbein in Baden-Württemberg und nun auch in Frankfurt am Main.
Man will aktiv für und mit der jüdischen Community vor Ort arbeiten.
Das Ziel: »communitybasierte Interventionen« in Hessen, wie es der Verein selbst formuliert. Das bedeute, aktiv für und mit der jüdischen Community vor Ort zu arbeiten, eng vernetzt mit den Gemeinden, sagt OFEK-Beraterin Ricarda Theiss. Um diese Vernetzung sowie die Kontakte zu anderen Beratungsstellen und Akteuren kümmert sich Theiss derzeit, während sie schon die ersten Beratungsanfragen bearbeitet.
Finanziert wird das Projekt aus Mitteln des Landesprogramms »Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus« und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).
Alltagsantisemitismus »Das priorisierte Ziel ist derzeit, OFEK Hessen bekannt zu machen«, sagt Theiss. Man wolle den Menschen verdeutlichen, dass man auch Fälle von latentem oder Alltagsantisemitismus ernst nimmt und auch dann beratend zur Seite steht, wenn etwa die Grenze zur Strafbarkeit noch nicht überschritten wurde.
»Die Perspektive der Betroffenen ist für uns entscheidend«, sagt Theiss, die neben ihrer Arbeit bei OFEK und im ZWST-Sozialreferat an der Frankfurter Fachhochschule lehrt und im Jüdischen Museum Workshops anbietet. »Für mich ist es ein empowerndes Moment, für die eigene Community aktiv zu sein«, sagt Theiss.
Bei Anfragen könnten dabei sehr unterschiedliche Aspekte von Bedeutung sein: von psychologischer über juristische Beratung bis hin zur Kontaktaufnahme mit der Polizei oder der Arbeit mit der Institution, wo sich der Vorfall ereignete. Schon die ersten Anfragen machten deutlich, wie das in der Praxis oft verschränkt sei, sagt Theiss.
Viele Vorfälle gelangen nicht zur Anzeige aus Misstrauen gegenüber Polizei und Behörden.
In Hessen, wie auch bundesweit, haben antisemitische Straftaten im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Insgesamt 78 Taten haben die Behörden registriert, ein Anstieg von 56 Prozent gegenüber 2017. Das teilte das hessische Innenministerium im Februar mit. Im gesamten Bundesgebiet kommt das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr auf rund 2000 Fälle (2018: 1799).
misstrauen Und das ist nur das Hellfeld. Viele Vorfälle gelangten gar nicht zur Anzeige, weil es mitunter Misstrauen gegenüber Polizei und Behörden gebe, sagt OFEK-Gründerin und Geschäftsführerin Chernivsky. Auch dank der Dokumentationsarbeit der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS), mit der OFEK zusammenarbeitet, sei eine Annäherung an das tatsächliche Ausmaß des Problems möglich. Die Bandbreite der Arbeit reicht von psychologischer bis zu juristischer Beratung.
Die OFEK ist 2017 aus dem Kompetenzzentrum der ZWST heraus entstanden.
Entstanden ist OFEK 2017 aus dem Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der ZWST, das Chernivsky ebenfalls mitgegründet hat. Damals habe man eine Leerstelle erkannt, sagt die ausgebildete Psychologin.
Die Wirkung von Antisemitismus sei oft nicht ernst genommen worden. Viele Betroffene hätten nicht gewusst, wohin sie sich wenden sollten. Hier will OFEK Abhilfe schaffen.
Diskriminierungserfahrung Anders als andere Opferberatungsstellen spezialisiere man sich ganz bewusst auf Diskriminierungserfahrungen, die Juden machten. »Wir ringen um die Hörbarkeit innerjüdischer Perspektiven auf Antisemitismus und wissen, was es bedeutet mit Antisemitismus konfrontiert zu werden«, sagt Chernivsky. Beratung nach derlei Vorfällen und gerade auch Empowerment-Arbeit, die stärken soll, seien ein »sensibler Prozess«, bei dem auch historische und biografische Erfahrungen berücksichtigt werden müssten. Das müsse aus der Community selbst kommen.
Drei Handlungsfelder sind für den Verein dabei zentral: erstens, die Beratung nach antisemitischen Vorfällen jeglicher Art – anonym, vertraulich, kostenfrei. Auch Angehörige, Zeugen oder anderweitig Beteiligte erhalten auf Wunsch Unterstützung.
Ein weiterer Bestandteil sind Beratungen von Gruppen, und das auch unabhängig von konkreten Vorfällen. Und drittens gehört die gezielte fallbezogene Fachberatung von Institutionen wie Schulen oder Behörden bei Fragen der Organisationsentwicklung dazu, etwa damit es dort gar nicht erst zu antisemitischen Vorfällen kommt oder sich an den Bedingungen für die Betroffenen dort etwas ändert.
Allein vom Anliegen der Beratenen hängt ab, ob Anzeige erstattet wird, oder welche sonstigen Konsequenzen folgen sollen.
Dabei stünden stets die Anliegen der Beratenen im Vordergrund. Allein davon hänge in jedem Einzelfall ab, wie weiter vorgegangen wird, ob es etwa bei einem vertraulichen Beratungsgespräch bleibt, ob Anzeige erstattet oder gemeinsam ein anderer Umgang gesucht wird. »Wir wollen Ratsuchenden ein Sicherheitsgefühl vermitteln und Handlungsoptionen aufzeigen«, sagt Chernivsky. Alles werde gemeinsam entschieden.
vorsicht Chernivsky geht es auch darum, den Menschen deutlich zu machen: »Niemand soll das alleine verarbeiten.« Mitunter beobachtet sie eine »ausgewogene Vorsicht« im Umgang mit Alltagsantisemitismus. OFEK geht davon aus, dass Antisemitismus ein »systemisches Problem« sei und nicht bloß vermeintliches Fehlverhalten Einzelner.
Deshalb sei auch die Arbeit mit und an Institutionen so wichtig, etwa an Schulen. Dort agiere man nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern versuche, Reflexionsprozesse anzustoßen. Erfolge zeigten: »Strukturelle Veränderungen sind möglich.« Das sei auch für Ratsuchende eine Erfahrung, die Mut mache, sagt Chernivsky.
Wichtig ist ihr auch, dass Betroffensein nicht bedeute, sich als »passives Opfer« zu sehen. Chernivsky macht klar: Für einen antisemitischen Angriff tragen nie die Betroffenen die Verantwortung. Antisemitismus müsse man immer politisch als Ausdruck eines »historischen und kollektiven Hasses« sehen. Hinzu komme vielfach eine »Einfühlungsverweigerung aus der Mehrheitsgesellschaft«, was dazu beitragen könne, dass man sich ohnmächtig fühlt.
»Und es gibt nichts Schlimmeres als Ohnmacht«, sagt Chernivsky. Die zu überwinden, »daran arbeiten wir gemeinsam«.
Bundesweite Hotline: 030/51 30 39 88. In Hessen ist Beraterin Ricarda Theiss montags von 12 bis 15 Uhr und mittwochs von 9 bis 12 Uhr unter 0159/01 35 93 90 und 069/94 43 71 50 und per E-Mail zu erreichen: theiss@ofek-beratung.de; weitere Informationen: ofek-beratung.de.