Herr Feist, Sie fordern, die Spuren jüdischen Lebens in Sachsen sichtbarer zu machen und Gebäude mit jüdischer Geschichte ins Bewusstsein zurückzuholen. Wieso kommt dieser Vorstoß gerade jetzt?
Anlass sind zwei Fälle in Berlin. Der Bundespräsident forderte vor seinem Einzug in die Präsidentenvilla, die jüdische Geschichte des Hauses durch eine Stele kenntlich zu machen. Dem Historiker Julien Reitzenstein ist es kürzlich gelungen, ein weiteres Gebäude dem Vergessen zu entreißen. Es handelt sich um die Villa des Unternehmers Richard Semmel, die während der Zeit des Nationalsozialismus unter massiver Ausnutzung von dessen Status als geflüchteter Jude an den Inhaber der Firma Kühne fiel. Heute beherbergt sie die irakische Botschaft, ohne jeglichen Hinweis auf ihre jüdische Vorgeschichte.
Kennen Sie ähnliche Fälle auch in Sachsen?
Noch habe ich keine konkreten Gebäude im Auge. Aber das Beispiel der orthodoxen Ez-Chaim-Synagoge in Leipzig zeigt, dass es um eine wichtige Sache geht: Der Bürgerverein Kolonnadenviertel Leipzig bemüht sich seit Jahren um ein würdiges Gedenken an die 1938 in der Pogromnacht zerstörte Synagoge. Aber die Firma, der das Grundstück heute gehört, reagiert gar nicht. Das finde ich sehr schade.
Gilt Ihr Interesse vor allem öffentlichen Gebäuden, oder auch privaten?
Ich würde erst einmal mit den öffentlichen Gebäuden anfangen, weil ich finde, dass die öffentliche Hand noch in einer ganz anderen Verantwortung steht als Privatleute. Verwaltungen und Regierungsstellen sind meist in repräsentativen Gebäuden untergebracht. Da sollte man einfach mal gucken: Welche Geschichte steckt dahinter?
Welche Art des Gedenkens stellen Sie sich vor?
Es geht mir überhaupt nicht um Restitution, sondern um das Kenntlichmachen: Das ist ein Stück Kultur und Architektur Sachsens. Der Reichtum jüdischen Lebens hatte einen großen Anteil an der Entwicklung Sachsens. Im ganzen Land gab es früher starke jüdische Gemeinden – davon ist heute eigentlich kaum etwas bekannt. Es ist an der Zeit, dies systematisch aufzuarbeiten und ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückzuholen. Angesichts des zunehmenden Antisemitismus ist es umso wichtiger, den Reichtum jüdischer Kultur und Architektur dem Vergessen zu entreißen.
Wie geht es jetzt weiter mit Ihrem Vorschlag?
Als Beauftragter der Sächsischen Staatsregierung für das Jüdische Leben werde ich in meinen nächsten Bericht die von dem Historiker Julien Reitzenstein im Magazin »Cicero« erhobene Forderung aufnehmen, eine zentrale Stelle einzurichten, die das Thema systematisch aufarbeitet. Ich kann mir gut vorstellen, eine solche Fachstelle in meinem Geschäftsbereich zu koordinieren. Bereits jetzt könnte man auf lokale Historiker und Vereine zugehen, die sich mit der Geschichte – auch der jüdischen Geschichte – des Freistaats befassen, ihre Informationen zusammentragen und sie untereinander vernetzen.
Mit dem Beauftragten der Sächsischen Staatsregierung für das Jüdische Leben sprach Karin Vogelsberg.