Die vergangenen Schawuot-Tage dürften in der Rottweiler Gemeinde mit einer gewissen Nervosität, aber wohl auch großer Vorfreude begangen worden sein. Dies hatte aber weniger mit dem Feiertag selbst zu tun als vielmehr mit der Tatsache, dass sich für den Tag unmittelbar nach dem Chag der wohl prominenteste mögliche deutsche Gast überhaupt in der Synagoge angesagt hatte: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Im Rahmen seines dreitägigen Besuchs in der ältesten Stadt Baden-Württembergs, in dem wie schon bei seinen Besuchen in Altenburg und Quedlinburg vor allem Begegnungen mit Bürgerinnen und Bürgern im Zentrum stehen sollten, stattete der Bundespräsident zur Mittagszeit auch der 2017 eröffneten Synagoge eine Visite ab. Der Besuch in dieser Synagoge ging dabei weit über eine reine Höflichkeitsgeste hinaus, sondern hatte – auch in der aktuellen politischen Situation – großen Symbolcharakter.
Flüchtlingsfamilie Steinmeiers Aufmerksamkeit galt nämlich neben der Synagoge und der Situation der Gemeinde nicht zuletzt einer ukrainischen Flüchtlingsfamilie, die seit einiger Zeit in Rottweil wohnt, sowie der Situation jüdischer Geflüchteter in der Stadt überhaupt. Es handelt sich dabei um eine elfköpfige Familie aus Kiew, die unter dramatischen Umständen via Moldawien, Rumänien und Tschechien nach Deutschland und hier nach Rottweil gelangt ist.
In diesem Jahr konnte die Gemeinde Schawuot mit vier Rabbinern feiern.
Die Geschäftsführerin der Israelitischen Kultusgemeinde Rottweil, Tatjana Malafy, konnte Bundespräsident Steinmeier, der von Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß begleitet wurde, im Gebetsraum des Gebäudekomplexes sichtlich stolz berichten, dass die streng orthodox lebende Familie – es handelt sich um die beiden Eltern und ihre neun Kinder – gleich drei Rabbiner in ihren Reihen hat, »weshalb wir die Feiertage gleich mit vier Rabbinern, also auch unserem eigenen Rabbiner Aaron Bachkala, begehen konnten«, betonte Malafy. Die Synagoge sei sowohl am Schabbat als auch an den beiden Schawuot-Tagen sehr gut gefüllt gewesen, auch bei den anschließenden gemeinsamen Mahlzeiten im Gemeindesaal.
Solidarität Von rund 300 Flüchtlingen in der Stadt seien etwa 40 jüdisch, erzählte Tatjana Malafy dem Bundespräsidenten. Die Stadt helfe sehr bei der Unterbringung. So habe man auch für die Kiewer Familie inzwischen ein Haus gefunden. Allerdings sei das nicht in allen Fällen möglich, weshalb in der Synagoge, die gleichzeitig auch das Gemeindezentrum ist, zurzeit auch jüdische Geflüchtete untergebracht sind. Umgekehrt kümmere sich die Gemeinde, soweit dies möglich sei, auch um nichtjüdische Flüchtlinge in der Stadt – die gegenseitige Solidarität sei groß.
Wie auch in anderen jüdischen Gemeinden in Deutschland hätten die vielfach aus der früheren Sowjetunion stammenden Gemeindemitglieder die ukrainischen Neuankömmlinge herzlich willkommen geheißen und diese ihrer vollkommenen Solidarität versichert.
Das Essen für die Gemeinde kommt meist aus Straßburg, da es in Rottweil keinen koscheren Caterer gibt.
Der Bundespräsident seinerseits nutzte seinen Besuch nicht zuletzt, um ein klares politisches Statement abzugeben. Nachdem er schon beim Termin im Rottweiler Rathaus gesagt hatte, er habe zurzeit keinen Wunsch, den russischen Präsidenten zu treffen, sprach er in der Synagoge vom »brutalen Überfall« Russlands auf die Ukraine und der «bedrückenden» Begegnung mit ukrainischen Schoa-Überlebenden – »der jüngste 91, der älteste 97« – und der paradoxen Situation, dass diese Menschen, die einst vor dem Nazi-Terror Richtung Osten geflohen sind, nun ausgerechnet nach Berlin gekommen sind, wo die Schoa ihren Anfang nahm.
Torarollen Der Bundespräsident erfuhr während seiner Visite noch mehr Wissenswertes über das jüdische Leben in Rottweil: etwa, wo die drei Torarollen geschrieben wurden, welche die Gemeinde, die rund 350 Mitglieder hat, zurzeit besitzt und wer sie gestiftet hatte. Es sind dies neben dem Oberrat der Israeliten Badens und dem Landkreis auch noch private Sponsoren. Eine vierte wird zurzeit zu Ende geschrieben. Ebenso interessiert nahm Steinmeier zur Kenntnis, dass es unter den drei ukrainischen Rabbinern, die nun in Rottweil leben, auch einen Sofer, einen Toraschreiber, gibt.
Dass das koschere Essen für die Gemeinde im Moment meist aus Straßburg kommt, da es in Rottweil und der weiteren Umgebung keinen koscheren Caterer gibt, erfuhr der Bundespräsident ebenfalls. Am Schluss des Besuches übergab ihm Tatjana Malafy ein Paket mit koscheren Straßburger Lebensmitteln und eine Flasche Koscher-Champagner. Und sie sprach eine Einladung an den Bundespräsidenten aus. Die Gemeinde könne im Dezember ihr 20-jähriges Bestehen feiern, sagte die Geschäftsführerin: »Und sehr gerne würden Sie zu diesem Fest einladen«.
Wenn der Bundespräsident erst zu einem späteren Termin Zeit habe, nochmals nach Rottweil zu kommen, könne man den Jubiläumsanlass auch verschieben, so Malafy. Ob das möglich sein wird, ist offen, vom aktuellen Besuch Steinmeiers wird die Gemeinde auf jeden Fall noch eine geraume Zeit zehren.