Josef Galkin ist aufgeregt. Der elfjährige Berliner Schüler steht vor Rabbiner Yitshak Ehrenberg und soll die Bedeutung mehrerer Mischnajot erklären, die er in den vergangenen Tagen studiert hat. Unruhig, aber auch erwartungsvoll, wartet er auf die erste Frage des Rabbiners.
Unter welchen Bedingungen, fragt Ehrenberg ihn als Erstes, dürfe ein Jude sein Gebet unterbrechen? Die Antwort kommt prompt. »Das Gebet ist das Höchste. Es gibt aber auch Ausnahmesituationen«, führt er aus. »Wenn zum Beispiel eine ungiftige Schlange beim Gebet mein Bein umschlingt, bete ich einfach weiter. Wenn jedoch eine Giftschlange mein Bein hochkriecht, schlage ich sie weg und bringe mich in Sicherheit.«
Ehrenberg nickt zufrieden, lobt den Schüler und fragt dann ebenso zugewandt wie geduldig nach der Bedeutung einer anderen Mischna. Nachdem der Junge auch diese beantwortet hat, erhält er als Preis mehrere Bücher – und tosenden Applaus der anderen anwesenden Kinder. So wie Josef Galkin kamen am Sonntagmittag insgesamt zwei Dutzend Kinder aus Deutschland und Österreich im Alter von neun bis zwölf Jahren nach Berlin zur Yeshivas Beis Zion.
Spielerisch Im Rahmen der Abschlussveranstaltung des »Sijum Mischnajot« referierten die größtenteils orthodoxen Schüler einzelne Abschnitte der mündlichen Tora. Dies war gewissermaßen der Höhepunkt des Sijum, denn die Kinder bereiteten sich in Berlin seit Donnerstagabend auf die Abfrage durch Rabbiner Ehrenberg vor, der ihr Wissen auf spielerische Art und Weise prüfte.
Extra aus München angereist ist an diesen drei Tagen »Sijum Mischnajot« auch Ilya Babkin. Der Zwölfjährige wird vom Rabbiner nach den ersten drei Mischnajot der Sprüche der Väter gefragt. »In der ersten Mischna hat Mosche die Tora am Berg Sinai erhalten«, antwortet Ilya. »In der zweiten geht es darum, dass die Welt auf drei Grundfesten aufgebaut ist: auf der Tora, auf guten Taten und dem Dienst für Gott.«
Mit etwas Hilfe des Rabbiners kann er dann auch die dritte Mischna beantworten, die Antigonos zum Thema hat: »Seid nicht wie Sklaven, die ihrem Herrn um einer Belohnung willen dienen. Seid wie Sklaven, die ihrem Herrn bedingungslos dienen«, zitiert er.
Das zentrale Ziel des Sijum sei die Stärkung und Bewahrung der religiösen Identität der Kinder, sagt Yossil Remes, Organisator des Sijum. »In Deutschland und Österreich gibt es in manchen Städten nur eine Familie, die streng religiös lebt. Hier in der Jeschiwa von ›Lauder Yeshurun‹ sollen die Kinder all dieser Familien zusammenkommen, um zu erfahren, dass sie nicht alleine sind.« Der Sijum solle Kraft und Inspiration spenden.
Emotional Einen anderen Aspekt des Sijum hebt Rabbiner Ehrenberg hervor. Das Lernen der Mischnajot solle stets von positiven Gefühlen begleitet sein. »Wenn man es als von außen auferlegte Pflicht ansieht, macht es keinen Sinn, Mischnajot zu lernen. Ihr sollt Spaß haben am Lernen. Es soll euch sein eine Freude. Nur dann werdet ihr es ein Leben lang behalten.«
Auch deshalb hat die Jeschiwa ein Rahmenprogramm auf die Beine gestellt, das einen Ausgleich zum Lernen der Talmudabschnitte darstellt. Am Freitagmittag unternahmen die Kinder einen Ausflug in den Kletterpark Jungfernheide, und Sonntagfrüh, kurz vor der Abfrage des Gelernten durch Rabbiner Ehrenberg, machten sie einen Ausflug zum Legoland Discovery Center am Potsdamer Platz.
Um den Zusammenhang von Freude und Lerneffekt zu illustrieren, zitierte der Rabbiner zum Abschluss sinngemäß eine Mischna, die er passenderweise als Kind gelernt hat: »Wenn wir Mischnajot lernen als Kind, ist es, als schreibe man den Inhalt auf ein leeres Blatt Papier. Das im Kindesalter Gelernte bleibt automatisch ein Leben lang im Kopf gespeichert.«