Herr Abdollahi, in einem Beitrag für »Die Zeit« haben Sie 2017 geschrieben: »Und falls Sie jetzt ganz genau wissen wollen, woher ich eigentlich komme: Sprechen Sie mich an.« Woher kommen Sie?
Ich weiß gar nicht, warum das immer so von Interesse für Leute ist, woher man kommt. Wenn man mich anguckt, dann kann man sich so ein bisschen was überlegen, wo ich herkomme, aber wir sind bisher noch nie weitergekommen.
Sie sind zu Gast beim »Open Round Table. Jüdisch-muslimisches Gespräch über Flucht« des Dialogprojekts Schalom Aleikum. Was verbinden Sie mit Flucht?
Gar nichts, ehrlich gesagt, denn ich bin nicht geflohen. Ich war fünf Jahre alt und bin mit der Iran-Air-Linienmaschine ganz normal nach Deutschland eingereist. Zum Thema Flucht habe ich überhaupt keine Assoziation.
Wie erinnern Sie sich an Ihre Ankunft?
Wir sind in Frankfurt am Main gelandet. Dort hat mich mein Onkel abgeholt, und dann sind wir – meine Großmutter, ich und mein Onkel – nach Hamburg gefahren. Mein Großvater war bereits hier, meine Tante auch, und dann war ich hier. Das war es dann auch. Soweit ich weiß, habe ich meine Eltern vermisst, habe gefragt, was mit denen ist und wann sie kommen. Aber ich war sehr nahe bei meiner Großmutter, deswegen war ich gar nicht in einem anderen Umfeld, denn ich habe sowieso die meiste Zeit bei ihr verbracht. Die Erwachsenen haben viel darüber gesprochen, was war, woher sie kommen; sie haben Erinnerungen gehabt. Aber für mich war das – soweit ich mit erinnern kann –, den Iran zu verlassen und hierherzukommen, keine große Sache.
Sind Sie auf einen Aspekt neugierig beim Round Table?
Ich freue mich, in so einem Forum eingeladen geworden zu sein. Ich schätze Lena Gorelik sehr. Es ist immer sehr augenöffnend, denn Menschen, die so unmittelbar die gleichen Erfahrungen gemacht haben und aufeinandertreffen, die lassen diesen ganzen Smalltalk weg und unterhalten sich sehr direkt. Und dieses sehr direkte Austauschen, von dem, was einem so passiert und was man auch als Lösung sieht, ist dann für die Zuschauer meistens ein bisschen schockierender, weil sie nicht damit rechnen, dass es so direkt ist.
Gibt es so etwas wie eine muslimische Perspektive auf die Flucht?
Der Islam basiert auf der Flucht. Die »Hidschra« von Mekka nach Medina ist ja ein ganz zentraler Bestandteil des Islam. Deswegen wird sich damit auch sehr viel auseinandergesetzt. Es gibt, glaube ich, zwei verschiedene Definitionen: zum einen das, was im Westen als Flucht angesehen wird. Also: Menschen kommen aus einem anderen Land zu uns. Denen ging es dort ganz schlecht, und deswegen suchen sie jetzt Schutz. Und zum anderen gibt es die andere Seite: Ich entscheide mich dafür, den Ort, an dem ich bin, zu verlassen, um woanders ein besseres Schicksal zu haben. Ich glaube, da gibt es keine muslimische Perspektive, da ist jeder Mensch gleich. Wenn man sein Zuhause verlassen muss, weil einem Bomben auf dem Kopf fallen, ist es herzlich egal, welchen Glauben man hat. Und wenn man sich dafür entscheidet, dass man hier nicht mehr leben möchte, weil man da nicht mehr weiterkommt, ist es auch das Gleiche.
Wie kann wieder mehr Dialog in der – gefühlt zunehmend gespaltenen – Gesellschaft stattfinden?
Wenn man mit Menschen mit Migrationsgeschichte spricht, dann erzählen sie das seit 50 Jahren. Und bei der einheimischen Bevölkerung ist es gerade so angekommen, dass da irgendetwas nicht stimmt. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Gesellschaft gespalten ist. Sie war immer schon so. Einige Dinge sieht man etwas mehr, etwas weniger. Noch nie gab es so viel Dialog, wie wir jetzt haben, noch nie gab es so viel Kommunikation. Am Antisemitismus, an Islamophobie, am Umgang mit Migranten, Arbeitslosigkeit, Klassismus hat sich nicht besonders viel verändert im Laufe der Jahre.
Mit dem TV-Journalisten sprach Katrin Richter.