Seit ich denken kann, wollte ich Tierärztin werden. Allerdings war ich keine gute Schülerin. Deshalb war es immer mein Ansporn, dieses Studium unbedingt zu machen. Auch meine Eltern waren verzweifelt, weil ich so schlecht in der Schule war. Der Berufswunsch war tatsächlich der einzige Strohhalm. Das hat mich auch wirklich sehr motiviert.
Ich hatte während meiner Schulzeit zwei Deals: einen mit mir selbst, dass ich unbedingt Tiermedizin studieren und deswegen irgendwie die Schule schaffen will, den zweiten mit meinen Eltern – dass sie mir ein Pferd kaufen, wenn ich das Abitur schaffe.
Das waren die beiden Vereinbarungen, die mich durch meine Schulzeit gebracht haben. Ich glaube, ohne sie hätte ich es nicht geschafft. Meine Eltern haben sich auch tatsächlich an ihr Versprechen gehalten: Nachdem ich das Abitur in der Tasche hatte, kauften sie mir ein Pferd.
Tierliebe Woher meine Tierliebe kommt, weiß ich gar nicht so genau. Meine Familie ist überhaupt nicht tierfanatisch, sie hat eigentlich nichts mit Tieren zu tun. Weder meine Eltern oder Geschwister noch meine Großeltern besaßen je Haustiere. Allerdings hat mein Urgroßvater, der aus der Ukraine kam, mit Pferden gehandelt.
Vielleicht kommt meine Tierliebe ja daher. Und auch mein Opa mochte Pferde. Er hatte früher einen Bauernhof außerhalb von Wien, und als Kind war es das Größte für mich, wenn wir dorthin fuhren. Ich habe es schon immer geliebt, auf den Bauernhof zu fahren. Meine Mutter hatte eine gute Freundin, die auch tieraffin war. Wenn sie mit ihrer Familie Ferien auf dem Land machte und mich mitnahm, war das für mich der schönste Urlaub.
Ferien auf dem Bauernhof waren für mich als Kind der schönste Urlaub.
Ich wurde 1981 in Frankfurt am Main geboren und bin dort auch aufgewachsen. Ich besuchte den jüdischen Kindergarten und danach die jüdische Schule. Nach der sechsten Klasse wechselte ich auf eine nichtjüdische Schule. Das war auf jeden Fall interessant, da vorher die ganze Umgebung nur jüdisch war. Aber ich denke, es war gut, auch kennenzulernen, dass es noch etwas anderes gibt als das jüdische Leben. Denn das jüdische Leben in Frankfurt damals war natürlich sehr überschaubar. Alle kannten einander.
In der neuen Klasse waren wir sieben oder acht jüdische Kinder und ungefähr acht türkische Kinder der zweiten Generation. Es war eine ganz bunte Mischung, und wir haben uns dort sehr wohlgefühlt. Ich fand, es war eine Erweiterung meines Horizonts.
SCHWESTERN Zu Hause lebten wir traditionell. Wir feierten alle Feiertage und jeden Schabbat. Wir Mädchen sind auch von der Schule aus jeden Freitag in die Synagoge gegangen, und mein Vater geht immer noch jeden Samstag und an den Feiertagen. Meine Mutter kam aus einem sehr religiösen Haushalt, deshalb waren wir auch zu Hause koscher. Meine kleine Schwester ist sieben Jahre jünger als ich, meine ältere Schwester nur anderthalb Jahre älter. Dadurch hatte ich eigentlich nur Vorzüge.
Sie war eine ganz tolle große Schwester und hat mich immer sehr an die Hand genommen. Wir hatten immer ähnliche Freunde und haben viel zusammen gemacht. Für sie war das vielleicht nicht immer so cool, aber für mich war es natürlich super. Ich glaube, Geschwister zu haben, hat nur Vorteile. Meine Schwestern sind eigentlich meine besten Freundinnen.
Kulturschock Nach dem Abitur begann ich zunächst eine Ausbildung zur Pferdewirtin. Zusammen mit einer guten Freundin wollte ich einen Hof eröffnen und Pferde verkaufen. Wir sind dann tatsächlich als zwei Mädchen aus der Stadt aufs hessische Land gezogen. Das war total verrückt, ein richtiger Kulturschock. Alle im Ort dachten, wir seien ein lesbisches Paar. Später erfuhr ich, dass die Gegend dort eine braune Hochburg war. Die Ausbildung habe ich dann ganz schnell abgebrochen, ich habe einfach gesehen, dass das doch nichts für mich ist: sehr viel körperliche Arbeit und nichts mit dem Kopf.
Ich begann stattdessen ein Tiermedizinstudium in Budapest und hatte dort eine wirklich tolle Zeit. Nach dem Physikum ging ich nach München, um das Studium zu beenden. Meine Doktorarbeit schrieb ich in Berlin, und im Anschluss zog ich für ein Jahr nach Wien.
Meine Eltern sind beide in Wien aufgewachsen, deshalb hatte ich immer einen besonderen Bezug zu der Stadt. Ich wollte noch ein Jahr praktisch arbeiten und durchlief in einem Studienpraktikum an der Uni Wien alle Stationen der Kleintiermedizin. Das war ganz toll.
Wir haben früher meistens die Feiertage in Wien verbracht.
Wien an sich ist einfach eine tolle Stadt. Ich war auch dankbar dafür, es noch einmal anders kennenzulernen. Denn unsere Familie dort war immer sehr religiös. Wir haben früher meistens die Feiertage in Wien verbracht und waren hauptsächlich in der Synagoge oder den kleinen Stiebels. In meiner Zeit an der Universität habe ich eine ganz andere Sicht auf die Stadt bekommen und sie noch einmal neu kennengelernt.
NISCHE Der Liebe wegen zog ich schließlich wieder zurück nach Berlin, da mein heutiger Mann dort lebte. Anfangs arbeitete ich in Potsdam in einer Tierklinik und machte mich dann mit einer mobilen Tierarztpraxis selbstständig. Ich hatte überlegt, was hier ein Nischenprodukt sein könnte. So kam ich auf den mobilen Tierarztservice, der damals noch sehr in den Kinderschuhen steckte.
Mittlerweile sind wir drei Tierärzte und eine vierte Kraft, die immer mal wieder aushilft. Wir haben viele Diagnostikmöglichkeiten wie etwa einen mobilen Ultraschall, damit kann man schon sehr viel machen. Außerdem können wir Blut am gleichen Tag analysieren und haben eine Zahnstation, wir entfernen viel Zahnstein und ziehen Zähne. Wir operieren auch bei den Leuten zu Hause. Wir haben eine OP-Kiste und einen OP-Tisch und machen alles steril. Unser Spektrum ist insgesamt schon riesig.
Meine Tochter habe ich früher, als sie noch ein Baby war, zu meinen Einsätzen mitgenommen. Auch meinen kleinen Sohn nehme ich heute mit. Die Tierbesitzer finden das immer total nett. Sie sehen ein kleines Kind und freuen sich, und das lockert sie dann auch auf. Ich bin bei den Einsätzen ja auch nie allein, sondern es fährt immer noch eine Tierarzthelferin mit.
Die meisten Leute sind sehr dankbar dafür, dass wir mobil sind. Das Nachhausekommen zu den Patienten ist einfach etwas ganz anderes, als wenn die Leute in eine Praxis gehen müssen. Die Besitzer sind anders, nicht so gestresst, viel entspannter, denn in ihren vier Wänden kennen sie sich aus und fühlen sich wohl. Sie müssen nicht irgendwohin fahren und ihr Tier einpacken. Und auch für die Tiere selbst ist es natürlich viel stressfreier ohne Transportbox und Fahrt. Es ist wirklich ein anderes Arbeiten.
Alles, was wir tun, hat immer auch eine psychologische Bedeutung für die Tierbesitzer.
Das ist auch das Schöne an der Sache: Es ist sehr intim und privat. Wir bekommen viel positives Feedback, und das darf man am Ende des Tages nicht vergessen. Natürlich arbeiten wir, weil es unser Job und unser Beruf ist, aber jeder möchte auch gerne die Bestätigung haben, dass er es gut macht. Das ist einfach ein schönes Gefühl und macht Spaß.
Für mich ist es der tollste Beruf. Nach meinen beiden Kindern ist das quasi mein drittes Baby. Oder, wenn man die Tiere dazu zählt, mein siebtes. Es ist nicht nur einfach mein Job, ich hänge auch emotional sehr daran. Die Arbeit ist durchaus anstrengend, gerade das Emotionale. Man fiebert ja mit den Leuten mit.
Die Besitzer laden natürlich einiges bei uns ab. Manchmal kann man Krankheiten nicht heilen, das ist dann sehr frustrierend. Ein großer Teil unseres Jobs ist es, Tiere einzuschläfern. Gerade das möchte man lieber in häuslicher Umgebung machen. Alles, was wir tun, hat immer auch eine psychologische Bedeutung für die Tierbesitzer. Im Studium gab es kein Semester, in dem man gelernt hat, wie man die Besitzer betreut. Dabei ist das etwas ganz Wichtiges. Es macht einen großen Teil unserer Arbeit aus.
MAKKABI Ich versuche, so oft wie möglich zum Reiten hinauszufahren. Das ist für mich Abschalten und Sport zugleich. Ich habe zwei Pferde und bin vor vier Jahren auch bei den Makkabi-Spielen mitgeritten. Das war ein Riesen-Event und hat super viel Spaß gemacht. Früher bin ich fünfmal pro Woche geritten, aber mit den Kindern ist es jetzt etwas weniger geworden. Solange mein Sohn wach ist, putze ich das Pferd und bin im Stall, sobald er einschläft, reite ich auf dem Platz.
Ausritte gehen im Moment natürlich nicht. Aber im Stall und beim Reiten vergeht die Zeit einfach wahnsinnig schnell, da ist man dann vier, fünf Stunden weg und kann vollkommen abschalten. Aufs Land zu ziehen, könnte ich mir aber nicht vorstellen. Ich bin einfach ein Stadtkind. Ich liebe es in der Natur, aber auf dem Land zu wohnen, fände ich schwierig, auch wegen der Mentalität der Leute. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Ich mag das Multikulti in Berlin. Es ist einfach schön, wenn die Leute offen sind und einen so akzeptieren, wie man ist.
Meine große Schwester lebt heute in New York, meine kleine Schwester in Berlin. Und meine Eltern sind mehr oder weniger nach Israel ausgewandert. Also, in Frankfurt ist eigentlich keiner mehr aus meiner Familie. Ich selbst könnte mir eher nicht vorstellen, im Ausland zu leben. Ich bin schon sehr in Deutschland verwurzelt, meine Mentalität ist sehr deutsch-jüdisch. Ich bin sozusagen ein richtiger Jecke.
Aufgezeichnet von Simone Flores