»Das Gedenken heute zeigt, wie aufrichtig und real es sein muss, nicht nur der Opfer des Holocaust zu gedenken, sondern wie wir auch die lebenden Juden schützen müssen.« Franziska Schmidtke von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Thüringen fand klare Worte nach der Gedenkveranstaltung am 27. Januar.
An diesem Tag schalteten sich knapp 70 Personen online hinzu und verfolgten die Reden und die Musik des Bratschisten Lev Guzman. Der Ruf der wenigen verbliebenen Überlebenden sei heute leise geworden, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Reinhard Schramm. »Gleichzeitig werden nationalistische Stimmen lauter, gepaart mit Antiziganismus und Antisemitismus. Auch in Deutschland schauen Sinti, Roma und Juden besorgt in die Zukunft.«
Familiengeschichten Er berichtete von seinen Reisen in die heutige Gedenkstätte: »Immer wenn ich am 2. August mit meinem Freund Romani Rose in Auschwitz der Ermordung der Insassen des ›Zigeunerlagers‹ im Jahr 1944 gedenke, spüre ich die Gemeinsamkeit unserer Familiengeschichten besonders stark. Die Sinti und Roma sagen mir: ›Ihr Juden könnt froh sein. Im Notfall schützt euch Israel.‹ Und ich antworte: ›Aber euch bedrohen nur die Rechtsextremisten. Uns Juden stehen viele rechts, religiös, insbesondere muslimisch und links orientierte Antisemiten gegenüber.‹«
Empört berichtete der langjährige Vorsitzende von Briefen an ihn, mit den Worten: »Kann es sein, dass ein vermeintlicher Antisemitismus durch das Verhalten der Juden ausgelöst wird? Gibt es Antisemitismus überhaupt, oder ist es berechtigte Kritik an der Politik des Staates Israels?« Er kritisierte scharf die BDS-Bewegung, die ihn an die Boykottaktion der Nationalsozialisten von 1933, »Kauft nicht bei Juden!«, erinnerten.
Populismus Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, erinnerte daran, dass der Begriff Antisemitismus »in aktuellen Diskussionen von Populisten als Waffe genutzt werden kann, der die Falschen trifft«. »Häufig tritt uns der Antisemitismus verkleidet als Israelkritik entgegen.« Eine Kritik, die es schon seit der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 gebe. Er betonte, dass die Konsequenz aus der deutschen Geschichte nicht verhandelbar sein dürfe.
Die ungarische Holocaust-Überlebende Éva Fahidi-Pusztai, war als Zeitzeugin online zugeschaltet.
Auch die Boykottbewegungen gelte es differenziert zu betrachten. »Es sind sehr unterschiedliche Akteure dabei, darunter auch eine Reihe absolut integrer Wissenschaftler, die sich ihr ganzes Berufsleben vehement gegen Antisemitismus und für eine reflexive Geschichtskultur eingesetzt haben.
2021, das Jahr, das so anders begann als geplant: Gedenkstunden, Begegnungen, Zeitzeugengespräche – vielleicht ein Vorgeschmack, wie künftig an eine Zeit erinnert wird, die mehr als 76 Jahre zurückliegen wird. Éva Fahidi-Pusztai, eine ungarische Holocaust-Überlebende, sagte online: »Die Freiheit ist doch etwas ganz Besonderes. Man kann es sich nicht vorstellen, wie es ist, sie nicht zu haben.«