Gemeindetag

»Die Esskultur hat sich verändert«

Der israelische Koch Avi Steinitz über Kaschrut und Gesundheitsbewusstsein

von Katrin Richter  05.09.2016 18:27 Uhr

»Privat esse ich gerne, was meine Frau zubereitet«: Avi Steinitz ist Chefkoch und lebt in Tel Aviv. Foto: Stephan Pramme

Der israelische Koch Avi Steinitz über Kaschrut und Gesundheitsbewusstsein

von Katrin Richter  05.09.2016 18:27 Uhr

Herr Steinitz, Sie kochen im Dezember für die Gäste des Gemeindetags des Zentralrats der Juden. Ist das eine besondere Herausforderung?
Ich komme aus der Welt der Hotellerie, der Kongresse und bin große Events gewohnt. Jede Veranstaltung ist allerdings einzigartig. Man muss sie planen, sie gut durchdenken.

Was ist für Sie dabei besonders zu beachten?
Zum einen ist jedes Event, bei dem man auf ein neues Team trifft, einzigartig. Und zum anderen sind es immerhin 1200 Menschen, die sich gut mit Essen auskennen und auch etwas Besonderes erwarten.

Steht denn das Menü schon?
Ich denke langsam darüber nach. Aber ich weiß schon, dass ich dem Menü einen israelisch-mediterranen Einfluss verleihen möchte. Das Frühstück wird sicherlich sehr israelisch werden. Da der Gemeindetag koscher ist, werden wir zum Frühstück kein Fleisch servieren. Das Gala-Dinner und auch andere Buffets werden ebenfalls israelisch-mediterran. Also ganz einfach.

Und welche persönliche Note wollen Sie dieser großen Veranstaltung in Berlin geben?
Nun, man kann seine persönlichen Vorlieben nicht 1200 Menschen aufdrücken, aber ich halte mich an meine Prinzipien: eine einfache Küche mit frischen Zutaten und Respekt vor dem Produkt. Ich koche mediterran mit nahöstlichen Einflüssen. Und die ganze Welt weiß, dass, wenn man sich mediterran ernährt, seiner Gesundheit und seinem Körper etwas Gutes tut. Viel Olivenöl, wenig Butter. Aber beim Kochen gibt es viele Wege. Vor allem muss man auf die Menschen und ihre Geschmäcker eingehen. Und wenn der etwas mehr Butter verlangt, dann bin ich dabei nicht fanatisch. Meine persönliche Note lautet: Die Menschen sollen sich wohlfühlen.

Mit welcher Küche sind Sie aufgewachsen?
Davon ausgehend, wäre ich vielleicht nie ein Küchenchef geworden. Oder anders gedacht: Vielleicht bin ich gerade deswegen Koch geworden.

War es denn wirklich so schlimm?
Bei uns zu Hause wurde gekocht, aber es war kein spezielles Essen. Meine Eltern wurden beide in Israel geboren, und die Küche meiner Mutter war hauptsächlich durch die ihrer Mutter, durch die europäisch-polnische Küche, geprägt. Es war alles gutes Essen, aber ich wollte vieles lernen. Nach der Armee ging ich dann in die Schweiz. Das hat mich sehr stark geprägt. Heute gehört es schon fast zur Selbstverständlichkeit, ins Ausland zu gehen, aber damals war das für mich ein echter Wendepunkt. Ich habe bei einer großen Schweizer Hotelkette gearbeitet. Später war ich dann im Hotel King David in Jerusalem, im Dan-Hotel in Eilat und in Tel Aviv.

Können Sie nach all den Jahren in der Spitzenküche trotzdem noch den Geschmack Ihrer Kindheit in Ihrer Kochkunst festhalten?
Den Geschmack der Kinderjahre, den verliert man nicht, und man vermisst ihn später immer wieder und möchte ihn wiederaufleben lassen.

Ist so etwas möglich?
Die Zubereitung von Essen wie in meiner Kindheit gestaltet sich einfach, weil die Speisen in den Hotels »traditionell« sind. Man findet in jedem Hotel ein Sandwich, und in jedem israelischen Hotel sieht man am Wochenende Eiersalat auf der Speisekarte. Wenn ich heute koche, dann verwende ich einige Rezepte aus meiner Kindheit mit – und bekomme ausgesprochen positive Reaktionen.

Also werden die Teilnehmer des Gemeindetages auch Speisen aus Ihren ersten Lebensjahren probieren können?
Ja, definitiv!

Wie schwer ist es denn aus Sicht eines israelischen Küchenchefs, in Berlin koscheres Essen zuzubereiten?
Generell bin ich es gewohnt, im Ausland und an nicht-koscheren Orten zu kochen. In den vergangenen Jahren haben sich einige Dinge für mich zum Vorteil entwickelt. Vor 30 Jahren bedeutete »Gourmet food« ein Steak mit Butter. So etwas isst heute kaum noch jemand. Man isst das Fleisch einfach geröstet oder gegrillt. Über die Jahre gestaltete sich das koschere Kochen immer einfacher. Die Art und Weise, wie Menschen heute speisen, genau wie das Menü, hat sich verändert, und damit ist es auch einfacher geworden, koscher zu kochen.

Was hat sich denn aus Ihrer Sicht verändert?
Vor 30 Jahren wurde zum Beispiel nicht auf Allergien geachtet, und deshalb gab es kein gluten- oder laktosefreies Essen. Heute weiß jeder Küchenchef, wie man für Menschen mit Glutenintoleranz ohne Milch kocht. Man muss gar nicht »koscher« sagen, es genügt auch ein einfaches »laktosefrei«, um Produkte ohne Milch zu bekommen. Vor 30 Jahren waren diese Sachen den Menschen unbekannt. Keiner wusste etwas mit Sojamilch anzufangen. Heute ist Sojamilch für alle ein Begriff.

Aber am Gemeindetag müssen Sie wohl nicht um Akzeptanz für koscheres Essen werben ...
Nein, denn die Besucher hier sind koscheres Essen gewohnt. Deshalb werden sie zum Beispiel Shrimps sowieso nicht vermissen. Schwieriger ist es, Menschen von einem koscheren Menü zu überzeugen, wenn sie täglich nichtkoschere Speisen zu sich nehmen – und auch zu sich nehmen können.

Werden Sie Ihren Mitköchen eine Art Einführung oder einen Kochkurs geben?
Selbstverständlich! Das Hotel hat eine koschere Abteilung. Demnach wissen sie, wie man für koschere Events kocht. Trotzdem werde ich den Köchen Einweisungen geben und schon eng mit ihnen zusammenarbeiten, bevor wir die Menüs erhalten, Was Kaschrut angeht: Vor vier Jahren habe ich für die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf gearbeitet. Jemand im Vorstand hat damals entschieden, dass Studenten, die Hotelmanagement studieren und später als Bedienung arbeiten werden, lernen sollten, wie man koscheres Essen zubereitet. Dabei waren sie gar nicht jüdisch. Warum wurde es dann beschlossen?

Ja, warum?
Der Gedanke war der, dass es für diese Studenten bei einer Bewerbung von großem Vorteil sein kann, wenn sie Kenntnisse der koscheren Küche vorweisen können. Viele Hotels betreiben inzwischen koschere Küchen, zum Beispiel auch das Intercontinental in Frankfurt am Main, und deshalb wird es für die Studenten einfacher, wenn sie darüber Bescheid wissen. Nach einem Jahr haben sie festgestellt, dass koscheres Essen gar nicht so anders ist als herkömmliches. Das hat eben auch mit der weltweit veränderten Esskultur zu tun, von der ich vorhin gesprochen habe. Wenn man heutzutage ein chinesisches Huhn kocht, ob nun koscher oder nicht, verwendet man in beiden Fällen keine Butter.

Beziehen Sie Ihre Produkte aus Berlin?
Das hängt davon ab, um welche Produkte es geht. Gemüse und Fisch vom Stammlieferanten, bei einigen Käsesorten und natürlich bei Fleisch und Geflügel ist es komplizierter. Bei trockenen Zutaten, etwa bei Schokolade, achten viele Hersteller, die weltweit liefern, auf Kaschrut. Der große belgische Schokoladenhersteller Callebaut zum Beispiel produziert seine ganzen Produkte koscher. Für uns ist das toll. Egal, wo man sich aufhält, sogar in Saudi-Arabien, wird Callebaut-Schokolade bestellt: Sie ist überall koscher! In den USA, aber auch weltweit, gibt es einen großen Markt für koschere Produkte. Koschere Zubereitung verursacht auch keine wirklichen Probleme, außer an Pessach. Dennoch kann man heute zum Beispiel das ganze Jahr über Olivenöl kaufen – nicht, weil die Fabriken extra auf Kaschrut achten, sondern weil bei Zugabe von Brot das Öl nicht mehr glutenfrei wäre. Ich erinnere mich an Zeiten, als die Maschgichim solche Fälle ansprachen, aber heute ist die Esskultur komplett anders. Das macht es für uns umso leichter.

Welches Essen kochen Sie nach der Arbeit für sich selbst, um sich zu entspannen?

Ich gehe essen, oder ich bestelle mir etwas. Als ich als Küchenchef im Hotel gearbeitet habe, musste ich kochen und koordinieren. Ich gab vor, wer wie zu kochen hat. Kochen ist einfach meine Arbeit – und, ehrlich gesagt, kein Berufskoch kommt gerne spät von der Arbeit und möchte auch noch zu Hause am Kochtopf stehen. Ich war neulich in der Toskana in Italien, und wir gingen an einen Ort, um uns zu entspannen. Wir waren vier Küchenchefs.

So etwas ist möglich?
Ja, klar! Auch der Küchenchef des Hilton in Tel Aviv war dabei. Wir wollten zuerst in ein Restaurant mit einem Michelin-Stern gehen, aber ich war dagegen. Ich bevorzuge einfache Kost. Wir gingen dann in eine traditionelle »Locanda«, eine Gaststätte, in der drei Damen kochen – und wissen Sie was? Das Essen war viel besser als in einem Sterne-Restaurant! Nun sind wir aber Küchenchefs und können uns so etwas nur im Urlaub erlauben. Normalerweise geht das nicht. Privat esse ich gerne, was meine Frau zubereitet. Sie ist eine fantastische Köchin und kocht für die Familie. Tja, so spielt das Leben.

Mit dem israelischen Koch sprach Katrin Richter.

Gemeindetag des Zentralrats
Der Gemeindetag, den der Zentralrat der Juden in Deutschland 2012 in Hamburg, 2013 in Berlin und nun zum dritten Mal vom 8. bis zum 11. Dezember 2016 in Berlin organisiert, ist die größte jüdische Veranstaltung in Deutschland.

Neben vielfältigen politischen, kulturellen und religiösen Diskussionen erwartet die Teilnehmer ein buntes Rahmenprogramm mit Stadtführungen, Ausstellungsbesuchen und sportlichen Aktivitäten. Möglich sind etwa der Besuch einer Multimediashow am Brandenburger Tor oder der Liebermann-Villa am Wannsee. Auch für musikalische Unterhaltung ist gesorgt: Am Donnerstagabend, dem 8. Dezember, wird Amir Haddad (geboren in Paris, aufgewachsen in Israel), der in diesem Jahr mit der Ballade »J’ai cherché« für Frankreich beim Eurovision Song Contest antrat, für die Besucher ein Konzert geben.

Eine Anmeldung zum Gemeindetag ist für Gemeindemitglieder unter www.gemeindetag-2016.de möglich. Bis zum 30. September 2016 besteht die Möglichkeit, sich zu einem Sonderpreis anzumelden. Danach gilt der reguläre Preis.

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