Wir schreiben den 19. Juli 1894. Bern. Abends gegen 17 Uhr. In der Philosophischen Fakultät II wird eine junge Frau Geschichte machen. Als dritte Russin und vierte Frau wird sie im Hauptfach Botanik und in den Nebenfächern Zoologie und Geologie mit »summa cum laude« promoviert. Sie, das ist das »Fräulein Lydia Rabinowitsch«.
Berlin im Jahr 1912. Aus dem »Fräulein« ist eine Frau geworden – Frau Professor, um genau zu sein, und wieder schreibt sie Geschichte, denn sie ist die zweite Frau in Deutschland und die erste Frau in Berlin, die sich diesen Titel erarbeitet hat. In einem Fachgebiet, das fast ausschließlich in Männerhand ist. Lydia Rabinowitsch-Kempner zählt damals bereits zu den bekanntesten Bakteriologinnen. Sie war Expertin für Tuberkulose und enge Mitarbeiterin von Robert Koch.
zeitrechnung Und in dem nach Robert Koch benannten Institut wurde am Mittwoch vergangener Woche mit Lydia Rabinowitsch-Kempner. Bakteriologin, Tuberkuloseforscherin, Berlins erste Professorin die 300. Miniatur des Verlags Hentrich & Hentrich vorgestellt. Dort, so Verlagsleiterin Nora Pester in ihrer Rede, erfolge die Zeitrechnung »nicht in Jahren, Monaten oder Tagen, sondern in Miniaturen«.
Was am 24. September 2003 mit den ersten vier Bänden begann, ist seitdem eine Erfolgsgeschichte im praktischen Format für fast jede Tasche geworden. »Kaum zu glauben, dass wir diese gewaltige Zahl erreicht haben.« Nicht im Traum habe Hermann Simon, Herausgeber der Miniaturen, daran gedacht, »als der Verleger Gerhard Hentrich mit seinem Mitarbeiter und mir Anfang 2003 im Centrum Judaicum (…) überlegte, was man so machen könne«, schrieb Simon, dessen Rede von seiner Tochter Lea verlesen wurde.
Fans hat die kleinformatige Buchreihe allemal: Auch Lothar Wieler, Direktor des Robert Koch-Instituts, zählt dazu. Wieler nannte Rabinowitsch-Kempner eine »exzellente Wissenschaftlerin« und beglückwünschte die Autorin Katharina Graffmann-Weschke und den Autor Benjamin Kuntz zur Jubiläumsausgabe. Begleitend zu der 300. »Jüdischen Miniatur« wird es bis Ende des Jahres eine Ausstellung im Robert Koch-Institut geben, die auch digitalisiert werden soll.
manuskript »Schon wieder 100 rum«, sagte Nora Pester zu Beginn ihrer Rede, die übrigens den Verlag von Gerhard Hentrich bei Band Nummer 91 übernommen hatte. »Und ausgerechnet diese Nummer musste ich Jahre später neu vergeben, weil das Manuskript über den Bankier Leopold Koppel bis heute nicht bei mir eingegangen ist.«
Die Spitzenreiter, hob Pester hervor, sind mit 40 der 300 Bände sowieso Mediziner – gefolgt von den Kunst- und Kulturschaffenden. Und wer wird Nummer 400 sein?
Katharina Graffmann-Weschke, Benjamin Kuntz: »Lydia Rabinowitsch-Kempner. Bakteriologin. Tuberkuloseforscherin. Berlins erste Professorin«. Hentrich & Hentrich, Leipzig 2022, 84 S., 8,90 €