Viele Mitglieder der Jüdischen Gemeinde haben sich am Dienstagabend auf dem Mülheimer Synagogenplatz zum Lichterfest versammelt – und stehen im Regen. Aber nicht alleine: Neben Bürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (SPD) und Mitgliedern der muslimischen und christlichen Gemeinden sind auch Mülheimer Künstler und andere engagierte Bürger gekommen, um sich solidarisch zu zeigen, Fettgebackenes zu essen und Rabbiner Reuven Konnik kennenzulernen, der im August die Nachfolge von Rabbi Paul M. Strasko übernommen hat.
Mit dem Mülheimer Weihnachtsmarkt im Rücken lässt der eintretende Regen die knapp 100 Menschen auf dem Synagogenplatz etwas enger zusammenrücken. Wer keinen Schirm dabei hat, findet ein Dach zum Unterstellen. Die Chanukkia steht vorsorglich unter dem Vordach des zentralen Medienhauses. Rabbiner Konnik setzt zum ersten Lied und einer gefühlvollen Version des »Ma’oz Zur« an. Der Schamasch brennt bereits. Schon hat Konnik die erste Kerze in der Hand. Besonders die Kinder versuchen, einen Platz zu ergattern, von dem aus sie sehen können, was passiert.
Tradition Der Regen lässt nach. Die Mülheimer Bürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld reicht dem Rabbiner den gläsernen Windschutz der Kerze. Sie lobt Chanukka als gute Gelegenheit, um Bürger unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Nationalitäten zusammenzubringen. Sie sagt: »Es ist das dritte Mal, dass die Gemeinde Chanukka öffentlich feiert. Wir führen damit eine Tradition fort, die auf eine Idee von Rabbi Paul M. Strasko zurückgeht, der in die USA zurückgekehrt ist.«
Strasko habe sich damit dafür einsetzen wollen, dass die Gemeinde nicht nur auf Grausamkeiten schaue, sondern auch auf friedliche Aspekte von Gegenwart und Zukunft blicken kann. »Man muss das Judentum als gelebte Wirklichkeit kennenlernen. Mit Respekt und wohlwollender Neugier«, so die Bürgermeisterin.
Michael Rubinstein, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, bedankt sich bei Mühlenfeld für die konstante Unterstützung der Gemeinde. Er freut sich, dass die Gemeinschaft wieder angewachsen ist. «Ich freue mich auch darüber, dass jüdische und nichtjüdische Bürger wieder gemeinsam Chanukka feiern können. Hätte uns das früher jemand gesagt, wir hätten wohl nur vorsichtig gelächelt«, so Rubinstein.
wunder Lob spendet er auch für ein interreligiöses Kindergartenprojekt der Gemeinde, das fünfjähriges Jubiläum feiert. Er sagt: »Dort lernen jüdische, christliche, muslimische und nichtreligiöse Kinder friedlich und selbstverständlich miteinander. Gleichzeitig wächst die Anzahl der Menschen, die einen Keil dazwischentreiben wollen.« Rubinstein kritisiert diejenigen, die als »Menschenhasser und geistige Brandstifter gegen Menschen hetzen, die sie nicht aus ihrem Alltag kennen.« Der Gemeindegeschäftsführer sagt, gerade dafür brauche es derzeit ein Wunder. Was, so fragt er, wäre da passender als Chanukka?
Auch Rabbiner Konnik pflichtet Rubinstein bei. Er erklärt, das Fest des Lichtes werde nicht nur gefeiert, um eines Wunders zu gedenken. Der Leuchter, so Konnik, erhelle auch den richtigen Weg. Der Rabbiner resümiert: »Die Vorbereitungen für die heutige Veranstaltung waren entspannt, und ich bin mehr als zufrieden mit dem Zulauf!« Der Gemeindechor beendet den offiziellen Teil der Veranstaltung mit einem weiteren Lied und eröffnet damit den kulinarischen Ausklang. Schon wenige Minuten später wird Fettgebackenes verteilt, die Gäste begrüßen einander, unterhalten sich.
Neben den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde sind auch nichtjüdische Freunde und Interessierte gekommen. So nimmt zum Beispiel der Mülheimer Künstler Jochen Leyendecker an der Chanukkafeier bewusst teil. Der Bildhauer sagt: »Solidarität zu zeigen, ist für eine Stadt wichtig. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen. Das ist wichtig für uns – und für unsere jüdischen Freunde und Mitbürger.«
berlin Vor dem Brandenburger Tor ist auch in diesem Jahr die erste Kerze an einem riesigen Chanukkaleuchter entzündet worden. An der vom Jüdischen Bildungszentrum Berlin organisierten Feier nahmen unter anderem Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman teil.
»Dieses Licht steht auch für das Wiederaufblühen jüdischen Lebens in Deutschland. Berlin ist heute wieder das größte Zentrum jüdischen Lebens in Deutschland: ein Anziehungspunkt für junge Juden aus aller Welt. Darauf können wir stolz sein«, sagte der Innenminister vor dem Entzünden der Kerze.
»Ich glaube, dass wir Wunder geschenkt bekommen. Aber das man Wunder dann auch behutsam schützen und behüten muss«, so der CDU-Politiker weiter. »Es ist an uns, Toleranz in dieses Land zu bringen, sie zu fördern und zu erhalten. Nicht nur an einem so schönen Fest, nicht nur an Weihnachten und nicht nur am Fastenbrechen, sondern an jedem Tag.«
Köln Zur gleichen Zeit feierten in Köln mit Tanz und Musik rund 200 Mitglieder der Synagogen-Gemeinde die erste Kerze auf dem Theo-Burauen-Platz. »Es ist wichtig, dass die jüdische Gemeinschaft zeigt, dass sie ein Teil der Gesellschaft ist«, sagte Ebi Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, während der Feier, an der auch Rabbiner Jaron Engelmayer teilnahm.
In Stuttgart wurde die erste Kerze vor dem Neuen Schloss entzündet. Vorstandssprecherin Barbara Traub, Kultusminister Andreas Stoch (SPD), Bürgermeister Martin Schairer (CDU) und Landesrabbiner Netanel Wurmser sprachen Grußworte. Auch in Erfurt wurde vor dem Rathaus das erste Licht an einem großen Chanukkaleuchter gezündet. Nach Ansprachen von Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) und dem Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, wurde der Lichtersegen gesprochen.
In anderen Gemeinden findet das öffentliche Lichterzünden nicht mit der ersten Kerze statt. In Dortmund zum Beispiel ist am Sonntag zur sechsten Kerze eine Feier am Phönixsee mit Rabbiner Avichai Apel und Oberbürgermeister Ulrich Sierau (SPD) geplant. (mit epd)