»Antisemitismus ist keine Meinung, Antisemitismus ist ein Verbrechen«, stellt Josef Schuster unmissverständlich klar. Angesichts von antisemitischen Stereotypen und Antisemitismus in Deutschland – etwa bei politischen Akteuren, Boykottbewegungen und auch bei Corona-Demonstrationen – fragt sich der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: »Wie werden wir Juden gesehen? Als Fremde oder als religiöse Minderheit, die seit 1700 Jahren zu diesem Land dazugehört?«
Die wechselvolle Geschichte des Judentums in Deutschlands sei »von Höhen und Tiefen und tiefsten Abgründen« geprägt. Daher sei das Datum »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« auch kein Jubiläum oder Jubeljahr. Das Festjahr biete allerdings die große Gelegenheit, das Bewusstsein dafür, wie lange Juden schon in Deutschland leben und Kultur und Gesellschaft mitgestalten, deutlich zu machen. »Viele verbinden mit Juden nur den Holocaust – ohne selbst viel über den Holocaust zu wissen.«
Schlüsselrolle Beim »Kölner Gespräch 2021« des Kolpingwerks Deutschland sprach sich Schuster daher dafür aus, die Erinnerungskultur weiterzuentwickeln. Eine Schlüsselrolle sieht er dabei im Besuch von Gedenkstätten, um Verständnis, Wissen und Empathie zu vermitteln. Zudem betonte er, dass der Zentralrat schon länger mit Verlagen und der Kultusministerkonferenz zusammenarbeitet, um jüdische Geschichte und Kultur in Schulen zu vermitteln. Dazu zähle auch eine entsprechende Qualifikation von Lehrpersonal.
Auch das Begegnungsprojekt »Meet a Jew« des Zentralrats erwähnte Schuster bei seinem Auftritt vor dem katholischen Sozialverband. Weitere konkrete Vorschläge werde es im Sommer durch eine Arbeitsgruppe geben. »Es muss vermieden werden, Juden nur in ihrer Opferrolle oder im Zusammenhang mit Antisemitismus zu sehen.«
Besondere Verantwortung komme dem Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen im Allgemeinen sowie den Religionsgemeinschaften im Besonderen zu, um die Basis der demokratischen Gesellschaft zu stärken. Schuster lobte in diesem Zusammenhang das »heute sehr solide Fundament des christlich-jüdischen Verhältnisses«. Die Geschichte der Juden in Deutschland sei »auch, wenn nicht sogar vorrangig, als christlich-jüdische Geschichte zu lesen«. Der Zentralratspräsident erinnerte daran, dass die Judenfeindlichkeit der Kirchen bis heute überliefert ist. Zugleich konstatierte er, dass in beiden christlichen Kirchen eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit stattgefunden hat und noch andauert. Heute gebe es eine klare Abgrenzung vom Antijudaismus.
Einordnung Von diesem war auch Adolph Kolping (1813–1865) nicht frei. Schuster ordnete den in der katholischen Kirche als »Seligen« verehrten Priester aus dem 19. Jahrhundert als Kind seiner Zeit ein. »Das gehört zum Gesamtbild dazu, aber es schmälert nicht seine Verdienste um die soziale Frage.« Die Bundesvorsitzende des Kolpingwerks Deutschland, die Bundestagsabgeordnete Ursula Groden-Kranich, sowie der geistliche Präses, der Priester Josef Holtkotte, dankten Schuster für diese Einordnung und sicherten die Unterstützung des Verbands zu.
Das insbesondere im Handwerk sowie in der Arbeitnehmerbildung tätige Kolpingwerk mit rund 225.000 Mitgliedern in Deutschland und insgesamt 400.000 weltweit in rund 60 Ländern versteht sich als Weg-, Glaubens-, Bildungs- und Aktionsgemeinschaft, die verantwortliches Leben und solidarisches Handeln fördern will.
Der Verband hatte sich dieser Tage mit der Erklärung »Erinnerungskultur als gesamtgesellschaftlicher Auftrag« zu Wort gemeldet und sein traditionelles »Kölner Gespräch«, das jährliche gesellschaftliche Ereignis des Kolpingwerks, als digitales Format diesem Thema gewidmet. Ursula Gorden-Kranich unterstrich die gesamtgesellschaftliche Verantwortung des Verbands und seiner Mitglieder, »damit aus Worten Taten werden können«. Josef Schuster zitierte in diesem Sinne abschließend Adolph Kolping: »Der Mut wächst, je größer Hindernisse sind.«