Er sei nicht sicher, ob er beweisen könne, dass es jüdische Ossis gibt, doch er könne nachweisen, dass es Juden gibt, die sächseln können, sagte der Schriftsteller Dmitrij Kapitelman zu Beginn der letzten Veranstaltung von »Jüdische Ossis« und erntete damit auf Anhieb einige Lacher.
Das zweitägige vom Institut für neue soziale Plastik initiiere Mini-Festival mit Lesungen, Gesprächen und Musik – zu einem bislang unbesprochenen Kapitel deutscher Gegenwart –, wie es in der Ankündigung hieß, fand am 11. und 12. März am Hans Otto Theater in Potsdam statt. Organisiert wurde es vom Institut für neue soziale Plastik unter Leitung der Publizistin und Dramaturgin Stella Leder.
Fokus Das Festival setzte vier Schwerpunkte: »Die Rückkehrer«, eine Lesung über Alfred Dreifuß, den früheren Intendanten des Hans Otto Theaters, »Von denen, die gingen« mit einer Lesung von Barbara Honigmann und einem Gespräch mit Gregor Gysi. Im dritten Schwerpunkt, »Von denen, die blieben«, sang André Herzberg; Sandra Anusiewicz-Baer und Lara Dämmig lasen aus ihrem Buch Jung und jüdisch in der DDR. Der vierte Teil des Festivals trug den Titel »Die Gegenwart« und fragte provokant: »Gibt es eigentlich jüdische Ossis?«
»Wir können nicht so tun, als ob Ostdeutschland ein gemütliches Zuhause war.«
Anetta Kahane
Gespannt verfolgten über 200 Zuschauer das Geschehen auf der Bühne der Reithalle. Zum Auftakt las Kapitelman aus dem Kapitel »Der nette Nazi Dirk«. Eine gelungene Kombination aus schwarzem Humor und einer Milieuschilderung eines Teils Ostdeutschlands Mitte der 90er-Jahre. Kapitelman, gebürtiger Kiewer, war im Alter von acht Jahren mit seiner Familie als sogenannter Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen.
Die Familie wohnte zunächst in der Großwohnsiedlung Grünau im Leipziger Westen, eine der größten Plattenbausiedlungen des Landes, in der auch zahlreiche Nazis lebten, wie der Schriftsteller sagt. Schon früh wurde der Sohn des jüdisch-ukrainischen Mathematikers Leonid Kapitelman mit Fremdenfeindlichkeit, Hass und Gewalt konfrontiert. Wobei nicht klar war, ob dies nur seiner »ausländischen« Herkunft zu verdanken war oder der Tatsache, einen jüdischen Vater zu haben.
Suche Der 37-Jährige, bekannt geworden durch seinen autobiografischen Roman Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters, beschreibt bildreich sein Aufwachsen im Osten Deutschlands, wobei der Ausgangspunkt der Geschichte eigentlich eine gemeinsame Reise mit seinem Vater nach Israel war. Dabei ging es um nichts Geringeres als die Suche nach der jüdischen Identität.
Als Kapitelman seinem Vater vorschlägt, einfach in Israel zu bleiben – »ein Gegenentwurf zu Leipzig« –, erwidert der: »Du hast keine jüdische Mutter, du wärst hier immer ein Jude zweiter Klasse!« Seine Schilderungen über einen Alltag in einem sozialen Brennpunkt im Osten des Landes sorgten für Erstaunen unter den Zuschauern. Schwer vorzustellen, wie Kapitelman, der durch sein eloquentes Auftreten besticht, mit seinen Akademikereltern in einem Klima von Hass und Ignoranz überleben konnte.
Die Psychologin Marina Chernivsky, die das Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) leitet, moderierte souverän, wobei sie dem Publikum einen kleinen Einblick in ihr eigenes Leben als Jüdin gab, die es vor über 20 Jahren – auf Spurensuche – von Israel nach Deutschland verschlagen hatte. »Dann bin ich hier in Berlin irgendwie hängen geblieben«, sagt sie, und viele im Publikum, die möglicherweise Ähnliches erlebt haben, nicken. Ein Mix aus Lesung und Dialog.
zuhause »Wir können nicht so tun, als ob Ostdeutschland ein gemütliches Zuhause war«, sagte die Journalistin Anetta Kahane, geboren 1954 in Ost-Berlin. Ihre Eltern waren überzeugte Kommunisten. Ihr Vater habe alle als »Genossen« betrachtet, wobei er total verdrängt habe, dass es sich um die Kinder und Enkel der »Täter« gehandelt habe. Nach der Wende gründete Kahane die Amadeu Antonio Stiftung gegen rechte Gewalt. Damit war sie mehrfach zum Ziel rechtsextremer Angriffe und antisemitischer Anfeindungen geworden.
»Ich bin dankbar dafür, dass wir über jüdisches Leben berichten können.«
Reinhard Schramm
Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, fand versöhnlichere Worte für das Leben der Juden in Ostdeutschland – zu DDR-Zeiten wie heute. 1944 in Weißenfels in Sachsen-Anhalt geboren, überlebte er gemeinsam mit seiner Mutter Rosel die letzten Kriegsmonate in einem Versteck.
Heute sei positiv, wie sich die Jüdische Gemeinde nach der Wende in Thüringen entwickelt habe. »Ich bin dankbar dafür, dass wir über jüdisches Leben berichten können.«
Ob es »jüdische Ossis« gibt oder gegeben hat, sei schwer zu beantworten, da waren sich alle Teilnehmer der kurzweiligen Veranstaltung einig. Aber, wie Kapitelman treffend formulierte: »Es gibt eben viele Deutschlands. Auch viele Ostdeutschlands!«