Bevor es am vergangenen Montag so richtig losging mit der Eröffnung der Ausstellung L’Chaim – Auf das Leben!, lehnte Lala Süsskind, die frühere Berliner Gemeindevorsitzende, lässig an einem der Bistrotische und gab sich hoffnungsfroh. »Ich glaube, dass dieser Titel eine Menge Leute neugierig auf die Ausstellung machen wird.«
Schon kurz darauf wird diese Hoffnung zumindest für den Eröffnungsabend bestätigt: Ein in jeder Hinsicht gemischtes Publikum strömt in die Lobby vor dem Plenarsaal des Abgeordnetenhauses. Vor allem der Untertitel »Die Vielfalt jüdischen Lebens in Berlin entdecken« dürfte so manchen Hauptstadtbewohner angelockt haben, um hier zu erfahren, was er oder sie schon immer über Juden wissen wollte.
Mehr als zwei Jahre lang waren die Ausstellungsmacher von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) mit der Konzeption dieser Themenschau beschäftigt. In rund 60 Stunden Interviewmaterial ging man Gedanken und Gefühlen von Juden auf den Grund. Die Ausstellung beleuchtet verschiedene Oberthemen. »Ankommen in Berlin« ist ein solches, »Heimat« ein anderes. Eine weitere Abteilung informiert über jüdische Religion, und wer diese große Texttafel komplett liest, erfährt die Unterschiede zwischen liberalem und orthodoxem Judentum wie auch etwas über Masorti, was sich irgendwo dazwischen befindet. Filmbeispiele werden gezeigt, aus Synagogen mit Ritualen in aschkenasischer und sefardischer Tradition.
interviews Auf den Texttafeln der Abteilung »Biografien« werden jene 37 Menschen vorgestellt, die auf den Monitoren zu sehen und deren oft sehr emotionale Aussagen über Kopfhörer wahlweise auf Deutsch, Englisch oder Arabisch zu hören sind. Lediglich 120 Minuten sind die hier gezeigten Interviews insgesamt lang.
Joachim Seinfeld, einer der Ausstellungsmacher, erläutert in seiner Eröffnungsrede, was mit den 58 Stunden Interviews geschehen soll, die noch kein Teil der Ausstellung sind. Nach und nach würde das Videomaterial digital aufbereitet und zusammen mit einem pädagogischen Begleitprogramm Schulen und Lehrern via WLAN zur Verfügung stehen.
Die Ausstellung selbst werde durch die Republik wandern und nicht nur in politischen Institutionen, sondern auch in Bildungseinrichtungen gezeigt werden – eine Ankündigung, die Sawsan Chebli befürwortet. Die Staatssekretärin mit palästinensischen Wurzeln engagiert sich für einen Dialog zwischen Muslimen und Juden.
»Vor allem setze ich mich beim Thema Antisemitismus unter Muslimen und jungen Migranten dafür ein, dass das als Problem gesehen wird und wir die richtigen Antworten geben und entsprechende Initiativen stärken«, sagte die SPD-Politikerin der Jüdischen Allgemeinen. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, fühlt sich durch eine solche Aussage in seiner Hoffnung bestätigt.
optimismus »Die Ausstellung beweist, dass, wenn Menschen guten Willens aufeinandertreffen, Religion absolut keine Rolle spielt.« Sie sei damit »hoffentlich die Initialzündung für weiteres Engagement nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland«.
Diesen Optimismus vermag die Autorin Yael Wilms nicht zu teilen. »Was ich hier sehe sind ein paar Texttafeln und einige Interviews. Das aber sagt für mich nichts über das jüdische Leben in Berlin aus. Ich frage mich, wie das Jugendliche ansprechen soll, wenn es mich als Erwachsene schon nicht erreicht. Ich denke, dass dazu auch Fotos gehört hätten, die das jüdische Leben illustrieren.«
Man darf also gespannt sein, ob die erweiterte Ausstellung solch kritische Stimmen überzeugen kann – wenn sie denn erst einmal im Netz zur Verfügung steht. Vielleicht könnte ja auch eine Anregung der Kinderärztin Marguerite Marcus aufgegriffen werden – auch sie ist unter den 37 Porträtierten –, Begleitveranstaltungen zu organisieren. Mögliche Themen nennt sie bereits: »Die Außendarstellung von Frauen im Judentum« zum Beispiel oder »Die Veränderung der jüdischen Religion durch die Konvertiten in den Synagogen«.