Hamburg

Dialog über Gräben hinweg

Rabbiner Joseph Carlebach (1883–1942) Foto: ullstein

Am 9. November 1990 – dem Tag des Gedenkens an die Pogromnacht von 1938 – stellte Miriam Gillis-Carlebach im Gästehaus der Universität Hamburg ihr Buch Jüdischer Alltag als humaner Widerstand 1930–1941 vor. Es enthielt viele Dokumente ihres Vaters, des Hamburger Oberrabbiners Joseph Carlebach.

Das Buch war das Ergebnis ihres einjährigen Forschungsaufenthalts in der Hansestadt. Einen Tag zuvor, am 8. November, hatte Gillis-Carlebach noch ein Gespräch mit dem damaligen Präsidenten der Universität, Peter Fischer-Appelt, geführt.

»An diesem Tag, erst an diesem Tag, kam – so darf man sagen – Joseph Carlebach offiziell an die Universität Hamburg, vermittelt durch seine Tochter«, denn zu seinen Lebzeiten gab es keine Beziehungen zwischem dem bekannten Rabbiner und der Universität, sagte die Historikerin und ehemalige Vizepräsidentin der Universität Hamburg, Barbara Vogel, bei der Präsentation des neunten Joseph-Carlebach-Konferenzbandes, der vor Kurzem erschienen ist.

Bar-Ilan-Universität Die Konferenz selbst hatte im Herbst 2012 an der Bar-Ilan-Universität im israelischen Ramat Gan stattgefunden. Erstmals ging es dabei um die biografische Annäherung an die Mitglieder der nachfolgenden Generationen der großen Carlebach-Familie.

Sowohl Joseph Carlebachs Kinder Miriam, Direktorin des gleichnamigen Instituts an der Bar-Ilan-Universität, und Julius, der von 1989 bis 1997 Rektor der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg war, als auch der bedeutende Journalist und Gründer der israelischen Zeitung Maariv, Esriel Carlebach, sowie der »singende Rabbiner« Shlomo Carlebach sind Protagonisten der geistigen Familientradition, die bis in die Gegenwart reicht. Sie ebneten den Weg für einen Dialog über die durch die Schoa aufgerissenen Gräben hinweg.

Die heterogenen interdisziplinären Beiträge der Konferenz, die in dem Band abgedruckt sind, spiegeln die Vielfalt der »Carlebach-Tradition« wieder: gelebtes Judentum, universalistisches Denken, fachübergreifend in den verschiedenten wissenschaftlichen Disziplinen, aber immer dem Menschen dienend.

Dynastie Gleichzeitig wurden auch die engen Familienbande, das Zugehörigkeitsgefühl zur »Carlebach-Dynastie«, aufgezeigt, wie es die 92-jährige Miriam Gillis-Carlebach bei der Buchvorstellung formulierte. Die Erziehungswissenschaftlerin ist die Tochter des letzten Oberrabbiners und Rektors der Talmud-Tora-Schule in Hamburg, Joseph Carlebach und seiner Frau Charlotte, geborene Preuss.

1993 gründete Gillis-Carlebach mit finanzieller Unterstützung der Hamburger Wissenschaftsbehörde das Joseph-Carlebach-Institut an der Bar Ilan-Universität, dessen Rektorin sie bis heute ist. Die Konferenzen der beiden Universitäten finden immer abwechselnd alle zwei Jahre in Hamburg und in Ramat Gan statt.

Die wissenschaftlichen Tagungen setzen sich mit dem Leben und Wirken Joseph Carlebachs auseinander. Er war nicht nur ein über Hamburgs Grenzen hinaus bekannter Rabbiner, Naturwissenschaftler und Schriftsteller, sondern auch ein schöpferischer Erzieher. Das Ehepaar Carlebach hatte neun Kinder.

Die gesamte Familie war am 6. Dezember 1941 in das KZ Jungfernhof in der Nähe von Riga (Lettland) deportiert worden. Am 26. März 1942 wurden Joseph Carlebach und seine Frau Charlotte sowie ihre drei jüngsten Töchter im Wald von Bikernieki bei Riga erschossen. Der jüngste Sohn Salomon (Shlomo Peter) überlebte die Gewaltherrschaft in neun verschiedenen Konzentrationslagern. Die älteren fünf Kinder waren von Carlebach und seiner Frau rechtzeitig nach England in Sicherheit gebracht worden.

Miriam Gillis-Carlebach/Barbara Vogel (Hrsg.): »›Ihre Wege sind liebliche Wege und all ihre Pfade sind Frieden.‹ Wege Joseph Carlebachs. Universale Bildung, gelebtes Judentum, Opfergang«, Dölling und Galitz Verlag 2014, 216 S., 19,80 €

Porträt der Woche

Zurück ins Land der Eltern

Liliana Goldstein de Kühne stammt aus Argentinien und folgte ihrer großen Liebe

von Gerhard Haase-Hindenberg  07.09.2024

Frankfurt

Resilienz finden

Der Jewish Women* Empowerment Summit diskutierte über die Folgen des 7. Oktober – und was Einzelnen nun helfen könnte

von Johanna Weiß  07.09.2024

Berlin

Von Generation zu Generation

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  06.09.2024

München

Schüsse aufs Konsulat: Bayern will Präventionskonzepte prüfen

Für eine Verschärfung des Sicherheitskonzepts des Münchner Oktoberfestes sieht Herrmann hingegen keinen Anlass

 06.09.2024

Kreuzberg

Zu Zondek ans Urban

Im Vivantes-Klinikum zeigt eine Ausstellung sieben Episoden aus dem Leben des einstigen Chefarztes Hermann Zondek

von Katrin Richter  06.09.2024

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

Potsdam/Berlin

Neue Stiftung für Ausbildung von Rabbinern nimmt Arbeit auf

Zentralratspräsident Schuster: »Die neue Ausbildung öffnet wichtige internationale Horizonte und Netzwerke innerhalb des liberalen und konservativen Judentums«

von Yvonne Jennerjahn  06.09.2024 Aktualisiert

Medien

»Unsere Zukunft in die Hand nehmen«

Jenny Havemann ist Organisatorin des zweitägigen »Media Tel Aviv – Israeli-European Summit«. Ein Gespräch über die deutsche Israel-Berichterstattung, Objektivität und den 7. Oktober

von Katrin Richter  06.09.2024

München

Rabbiner offerieren »Gemeindepaket«

Mit besonders auf kleine Gemeinden abgestimmten Dienstleistungen will die Europäische Rabbinerkonferenz halachische Standards aufrechterhalten

 05.09.2024