Es ist Freitagabend in einem eleganten Hotel in Leipzig. 62 Männer und Frauen bereiten sich auf den Schabbat vor. Die Männer setzen eine Kopfbedeckung auf. Petra Kunik aus Frankfurt segnet die beiden Kerzen, grüßt mit einem lauten »Schabbat Schalom« und bittet darum, gemeinsam die Schabbat-Engel zu empfangen. Die Teilnehmer vertiefen sich in ihre Texte, die auch die ins Deutsch transkribierte Fassung enthalten.
Majid Khoshlessan aus Mannheim erkundigt sich vorsichtig, ob zehn jüdische Männer anwesend seien, die Mindestzahl für einen Gottesdienst. Nur zwei Herren melden sich. Ein wenig enttäuscht spricht er einen Segen über den Wein aus und reicht den silbernen Becher herum. Kunik verteilt die zwei großen geflochtenen Challot.
Anteil Diese Szene spiegelt die aktuelle Situation in vielen christlich-jüdischen Gesellschaften wider. Dass kaum Juden in den Gesellschaften aktiv sind, liegt vor allem an deren verhältnismäßig geringer Zahl. Eva Schulz-Jander, die Vorsitzende der Gesellschaft in Kassel und Präsidiumsmitglied des Deutschen KoordinierungsRats (DKR), des Dachverbandes der 80 christlich-jüdischen Gesellschaften, ist stolz auf die 20 jüdischen Mitglieder von insgesamt 260. »Wir berücksichtigen die Interessen der Zuwanderer, die sich viel weniger für den interreligiösen Dialog interessieren als für jüdische Geschichte.«
Majid Khoshlessan, der jüdische Vorstand der Rhein-Neckar Gesellschaft, sieht das anders. »Die russischen Juden interessieren sich sehr für Israel, aber viel weniger für Religion, weil sie säkular sind.« Außerdem hätten Juden in Deutschland, auch aus der zweiten und dritten Generation der Schoa, Vorbehalte gegen Deutsche. »Sie lehnen den religiösen Dialog mit Gojim ab.«
Unkenntnis Mary Sofer, die jüdische Vorsitzende in Hannover, begründet die Tatsache, dass sehr wenige Juden in den Gesellschaften aktiv sind, mit dem Hinweis: »Die russischen Juden wissen noch zu wenig über die eigene Religion und Tradition des Judentums und haben daher kaum Interesse am jüdisch-christlichen Dialog. Die Überlebenden der Schoa waren damals aktiv und suchten diesen Dialog, um hier ein neues Leben aufzubauen.«
Wie notwendig der christlich-jüdische Dialog immer noch ist, zeigte jüngst ein Text im evangelischen »Deutschen Pfarrerblatt«. Darin hatte ein Autor die Rechtmäßigkeit der Gründung Israels bezweifelt. Ricklef Münnich, evangelischer DKR-Präsident: »Das war ein absoluter Skandal und ein Beispiel für Antisemitismus in der Kirche und Leugnung des Existenzrechtes Israels.« Münnich unterscheidet zwischen den »guten Worten« in Bekenntnissen und der Stimmung in manchen Gemeinden. »Antisemitismus in Deutschland äußert sich weitgehend als Anti-Israelismus.«
Workshops Dieser Judenhass bereitet Schulz-Jander Sorgen. Auch ihre Nachbarn führen die internationale Finanzkrise auf »jüdische Financiers« zurück. Dann müsse sie fragen: »Und wie ist es mit den evangelischen und den katholischen Financiers?« Ihre Gesellschaft veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Friedrich-Ebert-Stiftung Workshops für Lehrer und Schüler, um sie über Antisemitismus aufzuklären. »Wir bemühen uns, die berechtigte Kritik an der Politik der israelischen Regierung nicht gleichzusetzen mit dem Staat Israel und den Juden in Deutschland.«
Unter jungen Deutschen ist hingegen das Interesse am Judentum vergleichsweise groß, berichtet die Studentin Anne Strotmann, die neue Geschäftsführerin der Gesellschaft in Paderborn. Sie erlebte noch keinen Antisemitismus, dafür aber »eine größere Vorsicht. Man ist scheu, sich überhaupt mit dem Judentum zu beschäftigen. Nur wenige hier kennen Juden und haben Kontakt zu jüdischen Gemeinden. Außerdem beschäftigt man sich gerade eher mit dem Islam.«