Bautzner Straße 20 – das ist eine besondere Adresse für die Jüdische Gemeinde Dresden. In dem Gebäude, das die Israelitische Religionsgemeinde 1937 erwarb, konstituierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg die jüdische Gemeinde neu. In den ersten Jahren nach dem Krieg waren Gemeindeverwaltung und Betraum dort untergebracht.
Doch die Geschichte des Hauses und seiner jüdischen Bewohner reicht weiter zurück. Daran erinnert eine neue Gedenktafel. Sie wurde Ende August im Beisein der Nachfahren ehemaliger Bewohner eingeweiht. Zwei Jahre arbeitete die Gesellschaft für Kultur, Ingenieurwesen und Wissenschaften (KIW-Gesellschaft) an der Erinnerungstafel. Unterstützt wurde sie dabei von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und den Vereinen Kulturbüro Sachsen, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden und Bildungsstätte Hatikva.
Gestaltet wurde die Gedenktafel von KIW-Mitglied Konstantin Arkush.
Gestaltet wurde die Gedenktafel von KIW-Mitglied Konstantin Arkush. »Es ist bemerkenswert, dass ein Verein, der vollständig aus Zuwanderern besteht, sich so lange und so intensiv mit dem Leben deutscher Juden beschäftigt, die vor 75 Jahren an diesem Ort gelebt haben«, sagte Ursula Philipp-Drescher, Vorstandsmitglied der Dresdner Gemeinde.
Schuhcremefabrik Das Wohn- und Geschäftshaus an der belebten Bautzner Straße gehörte ab 1920 Louis und Henriette Schrimmer. Das jüdische Ehepaar betrieb im Hinterhaus eine Fabrik für Schuhcreme und chemische Produkte. Ab 1940 wurde das Gebäude vom NS-Regime zum sogenannten Judenhaus bestimmt. Juden wurden aus ihren Wohnungen vertrieben und in den Judenhäusern zusammengepfercht. Rund 40 Judenhäuser gab es ab 1939 in Dresden.
Die meisten Bewohner und Zwangsbewohner der Bautzner Straße 20 überlebten die NS-Zeit nicht. Auch das Ehepaar Schrimmer wurde deportiert und im KZ Theresienstadt ermordet. Einem Neffen gelang jedoch die Flucht in die USA. Heute ist Bill Schrimmer 95 Jahre alt und hält immer noch Vorträge vor Schülern über seine Erinnerungen an die Pogromnacht und die Verfolgung, berichtet seine Enkelin, Michelle Offsey.
Anlässlich der Einweihung der Gedenktafel sagte sie: »Mein Großvater hat mir viel von Dresden erzählt – das Gute, aber auch das Schlechte. Man konnte ihn aus Deutschland vertreiben, aber niemals Deutschland aus seinem Herzen und seinen Gedanken reißen.«
»Judenhaus« Zu den Zwangsbewohnern der Bautzner Straße 20 zählten auch Irmgard Conradi und ihre Mutter Rosa. 1939 wurde Rosa verschleppt, während ihre Tochter in der Schule war. Tagelang wartete die damals Neunjährige vergeblich auf die Rückkehr der Mutter. Erst 2008 fand die Familie heraus, dass Rosa Conradi 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet worden war.
Irmgard Conradi war zwölf Jahre alt als sie ins KZ Theresienstadt deportiert wurde.
Als Irmgard Conradi zwölf Jahre alt war, wurde sie ins KZ Theresienstadt deportiert. Dort erlebte sie drei Jahre später die Befreiung. 1949 wanderte sie nach Australien aus. Die heute 89-Jährige engagiert sich nach wie vor im Jewish Holocaust Centre von Melbourne und sandte eine Botschaft nach Dresden: »Dass ich überlebt habe, grenzt an ein Wunder. Es ist wichtig, an die Ereignisse von damals zu erinnern, aber bis heute fällt es mir schwer, über meine Mutter zu sprechen.«
Die Zeitzeugen werden immer weniger. Umso wichtiger ist es aus Sicht der jüdischen Gemeinde, Orte der Erinnerung zu schaffen und die Biografien der Verfolgten und Ermordeten dem Vergessen zu entreißen. Ursula Philipp-Drescher betont: »Ich hoffe, dass viele Passanten vor der Gedenktafel innehalten werden und sich mit diesem schlimmen Stück deutscher Geschichte auseinandersetzen.«